Noch nicht erlöst

Konzert Nick Cave & The Bad Seeds stellten nach fünf Jahren ein neues Album vor - und gaben eins von nur vier Konzerten weltweit im Berliner Admiralspalast
Die Haare sind gefärbt, sonst ist alles echt: Nick Cave 2013
Die Haare sind gefärbt, sonst ist alles echt: Nick Cave 2013

Foto: Mischa Leinkauf

Als am 17. Januar um 17 Uhr der Onlineticketshop aufmachte, waren innerhalb weniger Stunden alle Karten vergriffen. Personalisierte, nicht übertragbare Tickets. Also auch keine Chance auf eine Schwarzmarktkarte. Einlass nur mit Ausweis.

Ausverkauft. Vorfreude. Erwartungen. Der Admiralspalast war voll am gestrigen 13. Februar. Nick Cave kam mit seiner Band „The Bad Seeds“ für ein einziges Konzert nach Berlin, um sein neues Album Push The Sky Away vorzustellen. Es wird erst am 21. Februar auf dem Markt sein, doch die beiden bereits vorveröffentlichten Stücke „We No Who U R“ und „Jubilee Street“ lassen Großes erahnen.

Bereits Stunden vor Konzertbeginn warteten Hunderte vor dem Admiralspalast, um in vorderster Front dabei zu sein, wenn „Nick Cave & The Bad Seeds“ nach fünf Jahren ein neues Album vorstellen. Die Neugier, die großen Erwartungen gepaart mit der Freude, eines der raren Tickets für eins der nur vier weltweiten exklusiven Launch-Konzerte erstanden zu haben, ließ die Zeit bis zum Konzertbeginn kurz erscheinen.

Der Vorhang öffnete sich erstaunlich pünktlich um acht Uhr abends. Doch statt einer Band wurden wir von einer Leinwand begrüßt. Man zeigte uns erst einmal einen Film, der die Band bei ihren Aufnahmen zum neuen Studioalbum begleitet. Schön gemacht von den beiden englischen Filmkünstlern Iain Forsyth und Jane Pollard und doch unnötig, da wir doch hier waren, um die Musiker live zu sehen. Auch die darauf folgende Umbaupause war aus dramaturgischer Sicht schlecht platziert.

Wie ein moderner Prediger

Alles verflogen, als schließlich „The Bad Seeds“ die ersten Akkorde der aktuellen Singleauskopplung „We No Who U R“ anstimmten und Nick Cave mit frisch geschwärztem Haar und ganz in schwarz gekleidet auf die Bühne trat. Seine 55 Jahre sah und merkte man ihm nicht an: energetisch, lasziv und immer auch ein wenig selbstironisch. Mit seiner fantastischen Band, welche hier ohne ihren Schweizer Drummer Thomas Wydler auskommen musste, jedoch von einem Streichquintett, einem zauberhaften Kinderchor und wie Meerjungfrauen anmutenden Teenagern als Backgroundsängerinnen begleitet, sprang Nick Caves Freude an der Musik in Sekunden auf das Publikum über. Und dieses war überraschend gemischt: Junge Leute, Mitte 20 und solche, die mit Cave älter geworden sind, man hörte alle möglichen Sprachen um sich herum, manche waren wohl eigens für das Konzert angereist.

Es schien, als ob der Musikvirtuose Warren Ellis, mit dem Nick Cave unter dem Namen „Grinderman“ in den vergangenen zwei Jahren zwei Alben veröffentlichte, als zweiter Frontman operiert. Sie bildeten ein unterhaltsames Gespann und schienen, sich ab und zu durch kleine ungeplante Improvisationen herauszufordern. Nick Cave, der schmale, fast schmächtige Mann mit der Ausstrahlung eines gezähmten Löwen, der trotzdem immer wieder daran scheitert sich selbst zu bändigen, zog mich und alle anderen in Bann. Das Bühnenbild und –licht war schlicht und ließ genug Raum für Musik und die besondere Persönlichkeit von Nick Cave und Warren Ellis. Nick Cave selbst ist ein Entertainer und weiß sehr genau, wie er das Publikum mitnimmt. Nicht selten sprang er auf ein kleines Podest direkt am Bühnenrand um näher am Publikum zu agieren. Von hier aus, direkt am Publikum wirkte er wie ein moderner Prediger.

Kurve zur Leichtigkeit

Mit beängstigend eindringlichem Blick, dem Mut, einzelnen Gästen lang in die Augen zu schauen, und dem exzessiven Einsatz seines belehrenden Zeigefingers beeindruckte er – und diese Melancholie war immer noch da. Doch wie schon angedeutet, drehte er mit selbstironischen Bemerkungen oder Gesten immer wieder die Kurve zur Leichtigkeit. Schön zu sehen, als er vor dem Titel „From Her To Eternity“ den achtköpfigen Kinderchor bat, nun nicht mitzumachen aber doch bitte aufmerksam zuzuschauen, da sie bestimmt etwas lernen könnten. Daraufhin begab sich Warren Ellis ohne Instrument zum Streicherquintett und begleitete dirigierend, in Ekstase, den gesamten Song. Ellis, Jahrgang 65 mit Mähne und Vollbart etwas älter wirkend und Cave, Jahrgang 57, ließen die Bühne zittern, als seien sie noch zwanzig. Im Anschluss erkundigte sich Nick Cave höflich bei den Kindern nach deren Gemütszustand.

"From Her To Eternity“ vom gleichnamigen Album aus dem Jahre 1984 war der Einstieg in eine Reihe von älteren Songs, die sie nun spielten, nachdem sie zuvor das gesamte am 21. Februar erscheinende Album hinter sich gebracht hatten. Neun Songs mit eingängigen Melodien, deren Texte eher Gedichten und Erzählungen ähneln, ohne die Cave-typischen Reime vermissen zu lassen. „Wikipedia is Heaven“ und „Hannah Montana does the african savanna“ sind nur zwei Songzitate, deren Verständnis sich nicht sofort erschließt. Aber das Album will nicht gefällig sein.

Im November kommt „Nick Cave & The Bad Seeds“ mit „Push the Sky“ auf Deutschlandtour. Hingehen.

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