In Zeiten eines sich wandelnden Heimatbegriffs fügte sich das Strickmuster des Heimatfilms - zumindest äußerlich - in die jeweilige gesellschaftliche Landschaft ein. Schon in den siebziger und achtziger Jahren wurde das Thema von renommierten Autorenfilmern unter dem Stichwort "Kritischer Heimatfilm" aufgegriffen. Beim Publikum fand die Auseinandersetzung mit dörflichen Familien- und Geschlechterrollen und autoritären Sozialbeziehungen jedoch wenig Anklang. Ungleich erfolgreicher waren hingegen Serien wie Die Schwarzwaldklinik oder Familie Hesselbach, die nicht nur thematisch, sondern auch optisch an den biede ren Charme der fünfziger Jahre erinnerten. Und auch in den neunziger Jahren scheint die Thematik des Heimatfilms nicht an Anziehungskraft verloren zu ha
skraft verloren zu haben: Stefan Ruzowitzkys Die Siebtelbauern und Viehjud Levi von Didi Danquart sind mit Sicherheit nicht die letzten Vertreter eines Genres, das - zwar vielfach gescholten - nach wie vor für tragfähig gehalten wird, um über gesellschaftliche Zustände zu räsonieren.Da das Genre nicht mehr ausschließlich mit der naiven Natur- und Heimatseligkeit der Nachkriegsfilme und ihren konservativen bis reaktionären Klischees in Zusammenhang gebracht wird, verwundert es auch nicht weiter, wenn Regisseure den Begriff "Heimatfilm" heute wieder für ihre Filme reklamieren oder zumindest nicht ungern als Etikettierung der Kritik akzeptieren. Didi Danquart kündigt seinen Film Viehjud Levi nicht explizit als Heimatfilm an, wie es beispielsweise Detlev Buck mit seinen Kömödien aus der norddeutschen Provinz getan hat, doch auch er hat nichts gegen den Titel einzuwenden, sofern man dem Begriff eine andere Bedeutung zubilligt: "Heimatfilm in dem Sinn, dass es im Film um ganz spezielle Merkmale und Prägungen geht, die es nur so in einer bestimmten Gegend gibt, in meinem Fall im Schwarzwald". Danquart und auch Thomas Strittmatter, der Autor des gleichnamigen Theaterstücks Viehjud Levi (1982), stammen beide aus dieser Region. Es kommt Danquart jedoch nicht ausschließlich auf die lokale Verankerung an, es geht ihm gleichzeitig um eine Universalität, die er als Dokumentarfilmer in Sarajevo erlebt hat: "die Erkenntnis, dass der Nachbar, der Freund quasi über Nacht zum Anderen werden kann, zum Moslem, zum Serben, zum Kroaten, zum Feind."Der Filmemacher erzählt die Geschichte des Viehhändlers Levi (Bruno Cathomas), der alljährlich in ein Schwarzwaldtal kommt, um dort seine Geschäfte zu machen. Er wird seit jeher als Eindringling in die "heile" Dorfgemeinschaft betrachtet, aber die Bauern achten ihn, da er sie mit nützlichen Waren versorgt. Doch 1933 hat sich die "Dorfidylle" grundlegend verändert: die Reichsbahn schickt einen Abgesandten, den linientreuen Ingenieur Kohler (Ulrich Noethen), um einen eingestürzten Eisenbahntunnel wieder instandzusetzen. Mit ihm bricht eine neue Zeitrechnung an: der Nationalsozialimus verdrängt die alte, überkommene Ordnung; die Nische, in der sich der Viehhändler Levi eingerichtet hat, wird endgültig zerstört. Der Widerstand der Dorfbewohner ist schnell gebrochen; mit der neuen Ideologie können sie sich arrangieren, unheimlich ist ihnen zunächst lediglich die Moderne, die die Männer aus der Großstadt mitbringen: der Volksempfänger, den der Ingenieur im Gasthaus aufstellen will, wird vom Wirt als "neumodischer Quatsch" abgelehnt: "Es ging, wie es bisher war, und es wird auch weiter so gehen", doch schon am nächsten Abend lauschen die Gäste den Propagandareden und deutschem Liedgut. Levi, der mit seinen Tieren über die Dörfer zieht, bekommt von der Veränderung zunächst wenig mit - auch als seinem treuen Begleiter, einem Kaninchen, der Kopf abgeschlagen wird und die Reifen seines Wagens zerstochen werden, erkennt er noch nicht den Ernst der Lage. Anders als in Strittmatters Theaterstück kommt der Viehhändler am Ende nicht ums Leben. "Wenn der Levi", so Danquart, "im Film noch entkommen kann, dann bleibt noch eine Hoffnung. Vielleicht ist mir der Levi auch zu sehr ans Herz gewachsen, um am Ende mir und den Zuschauern alle Hoffnung zu nehmen."Mit seinen ruhigen, langen Einstellungen, seinem lakonischen Erzählstil gibt der Film den Darstellern viel Raum sich zu entfalten - die kleinen Gesten und Augenblicke rücken in den Vordergrund; die Schwarzwaldlandschaft eignet sich dafür hervorragend als Kulisse. Der Heimatbegriff erlangt bei Danquart eine ganz ursprüngliche Bedeutung zurück: Heimat als Verlust, als etwas, das einem entrissen werden kann; erst aus der Gemeinschaft ausgegrenzt, wird der Viehhändler Levi zum Viehjud. "Die Konstruktion des Fremden und des Eigenen", so Danquart, "ist das Leitmotiv des ganzen Films, nicht nur für die Figur des Levi."
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