Weiser Schimmel

Ausstellung Das Stuttgarter Kunstmuseum präsentiert das fröhlich-sperrige Werk von Dieter Roth. Auch 15 Jahre nach seinem Tod wächst es weiter
Ausgabe 02/2015

Eines lässt sich jetzt schon sagen: 2015 wird Roth-Jahr! Im März holt Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann die Ausstellung Und weg mit den Minuten vom Kunsthaus Zug in den Hamburger Bahnhof nach Berlin. Das Kunstmuseum Stuttgart hat im Dezember noch schnell die Dieter-Roth-Werkschau Balle Balle Knalle eröffnet. Offensichtlich erfreut sich das spaßig-sperrige Werk des 1930 in Hannover geborenen Auslandsschweizers mit Weltenbummlerbiografie – nur in Island und der Schweiz verlebte er mehrere Jahre am Stück – wachsender Beliebtheit.

In Stuttgart soll der Einstieg in Roths Werk über die literarische Arbeit passieren, wie schon der Titel andeutet, der einem Gedicht entlehnt ist. Werkgenetisch ist das plausibel, arbeitete Roth doch zunächst als Konkreter Poet, dessen Gedichte langsam in grafische Flächen übergingen. Dieser Ausstieg aus dem Buch ist in Stuttgart sehr anschaulich nachgezeichnet, nur leider vermag er nicht das uferlose Œuvre Roths zu klammern, geschweige denn zu erklären. Spätestens bei den Literaturwürsten, für die Roth Bücher von Martin Walser und Georg Wilhelm Friedrich Hegel gehäckselt und buchstäblich zu Würsten verarbeitet hat, wird das klar.

Negativ Beuys

Am besten erschließt sich Roth sowieso, wenn man die konzeptuelle Tiefe hinter den Lachern sieht. Nehmen wir zum Beispiel die Vorzugsausgabe von Poeterei 3–4 (1968). Hier schafft es Roth, mit 38 Textseiten eine ganze Holztruhe zu füllen, indem er Stanniolbeutel bedruckt, die wiederum mit Hammelkoteletts, Sauerkraut und dergleichen befüllt sind. Nicht nur hat das Druckbild auf der gekräuselten Folie eine zerbrechlich-schöne Anmutung. Auch wird niemand bezweifeln, dass es sich um große deutsche Dichtung handelt, Umfang und Sauerkraut bezeugen es.

Die Vorzugsausgabe mag zeigen, wie Blödsinn bei Roth permanent auf der zweiten Silbe betont wird. Unzählige Felder beackerte dieser bildende Borderliner, malte, schrieb, filmte, dichtete, fotografierte, zeichnete, verlegte oder lärmte einfach nur. Dieter Roth oder diter rot, Dieterich Roth, DRIT-EROT, um nur einen Bruchteil seiner Synonyme zu nennen, war trotz allen Radikalinskitums eine protestantische Fleißbiene, die sich in der stetigen Produktion ihrer selbst versichern musste. Das zeigen die in Stuttgart zumindest teilweise präsentierten, randvoll beschriebenen und mit Skizzen versehenen Tagebücher ebenso wie die monumentale Videoinstallation Solo Szenen (1997/98): Auf 131 Fernsehgeräten läuft Roth. Beim Aufstehen, der Morgentoilette, lesend, beim Kochen, aber meistens bei der Arbeit. Rückstandsloser lässt sich die Grenze zwischen Leben und Werk nicht entfernen.

Andererseits, und das ist einer dieser genialen Widersprüche, die Roth so interessant machen, suchte er immer wieder nach künstlerischen Strategien der Selbstauslöschung, nach der Ablösung der Werke von seiner Person. Die zahlreichen Synonyme mögen das bezeugen, noch viel mehr aber die vielen Kollaborationen mit Künstlerfreunden wie Richard Hamilton oder Stefan Wewerka. Die interessantesten dieser Zusammenarbeiten sind sicherlich die Siebdruckbilder 1–4 (1967), die Roth nach Anweisung des Dichters und Fluxus-Künstlers Emmett Williams anfertigte. Idee und Ausführung sind hier komplett voneinander abgekoppelt.

Nicht zuletzt zeugen auch die berühmten Schimmelbilder von Roths Entgrenzungsstrategie. Im zweiten Stock befindet sich ein Kabinett mit solchen adrett platzierten solcher Arbeiten, die einen die Skandalkraft dieser Geste, Schimmelsporen in die Museumsreinlichkeit zu tragen, beinahe vergessen lassen. Auch hier wird Roths konzeptueller Weitblick allzu leicht zugunsten von Witz oder Provokation übersehen. Dass aber, wie in Kleiner Sonnenuntergang (1968), eine Salamischeibe im Verwesungsprozess aussehen kann wie eine scheinende Sonne, muss ja Roths Kalkül gewesen sein, als er die Wurst hinter Glas rahmte. Auch in Käserennen (1970), einer Reihe nebeneinander gerahmter Käsescheiben, ist die temporale Dimension, nämlich das Abrutschen des schimmelnden Käses, von Beginn an eingeplant. Diesen originellen Akt, Prozesse in seiner Arbeit anzulegen, kann man nicht hoch genug einschätzen, und es ist eine Freude zu sehen, wie diese Bilder noch immer prozessieren.

Hier ist sie also wieder, die Loslösung der Künstlerpersönlichkeit vom Werk, die noch stärker im Materialkonvolut Große Tischruine (begonnen 1978) hervortritt. In einer Mischung aus Werkzeugkeller, Bar und Kino erweitert sich eine Ateliersituation des Künstlers, die den Kern der Installation bildet, bei jeder Präsentation um gefundene Materialien. Roth stößt kurz an und verschwindet dann hinter den Auswüchsen. Anders als bei Joseph Beuys, dessen Werkkosmos ähnlich stark um die Künstlerfigur kreist, stehen Roths Arbeiten für sich und verweisen nicht permanent auf eine Leerstelle. Wie sehr Roth die Bedeutungshuberei von Beuys als Negativfolie zu seiner Arbeit begriffen haben muss, belegt übrigens das Werk Karnickelköttelkarnickel. Bitterböse in seiner Materialsprache, hat Roth das Totemtier des Schamanen aus Kleve nachmodelliert – aus, na klar, Karnickelkötteln.

Dieter Roth: Balle Balle Knalle Kunstmuseum Stuttgart Bis 12. April

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