Zwei Jahrhunderte jung

Ausstellung Was Kunstvereine so können, zeigt aktuell Hannover mit einer Schau der Künstlerin Ulla von Brandenburg
Ausgabe 17/2014
Ulla von Brandenburg, Forrest II
Ulla von Brandenburg, Forrest II

Foto: Raimund Zakowski

Bundesweit genießt Hannover ja den zweifelhaften Ruf, die langweiligste Stadt Deutschlands zu sein. Eine Einschätzung, die zumindest von den beiden Kunstvereinen der Landeshauptstadt regelmäßig torpediert wird. Eben noch hat in der Kestnergesellschaft die schottische Bildhauerin Karla Black reüssiert, der Liebling des New Yorker Star-Galeristen David Zwirner. Nun schmeißt im Kunstverein die großartige Ulla von Brandenburg den Ausstand für den scheidenden Direktor René Zechlin.

Glaubt man den Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV), dann sind hierzulande mehr als 120.000 Menschen in über 300 solcher Vereine organisiert. Wie wichtig das Engagement dieser letztendlich mitgliederfinanzierten Hybride im Zwischenraum von Galerie und Museum ist, zeigen neben Hannover vor allem auch Städte wie Dortmund, wo der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in einer Stadt mit Haushaltssperre die buntgescheckte Fahne der zeitgenössischen Kunst hochhält. Oder Bremen, wo die Umtriebe der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) 1991 in der Gründung des Neuen Museums Weserburg gipfelten. Selbst im kulturell bestens versorgten Berlin fällt ein Verein wie die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK) mit exzellenten Ausstellungen wie Love Aids Riot Sex auf, die mittels basisdemokratischer Entscheidungen kuratiert werden.

Dass im Kunstverein Hannover nun ein starker Akzent auf Ulla von Brandenburg als Filmkünstlerin gelegt wird, ist typisch für das Haus. Drinnen ist nicht Draußen heißt der Parcours, mit dem die 1974 in Kassel geborene Künstlerin ihr Publikum in eine an Theater oder Kino erinnernde Apparatur einspannt.

Lock- und Täuschmanöver

Schon im Foyer hört man den Gesang von Shadowplay, der in einen hohen Raum mit schwarzen Wänden lockt. Nur wenige weiße Flecken sind ausgespart und allmählich wird klar, dass man von der Mimikry eines Scherenschnittes umgeben ist. Zentral im Raum befindet sich ein großes Zelt in Flickenoptik. Darin zeichnet sich auf einer Leinwand ein Schattenspiel ab, in dem sich drei Schauspieler schminken, um kurz darauf eben dies in einer Spiel-im-Spiel-Situation mit Puppen nachzuspielen. Der in Knittelreimen vorgetragene Gesang, für den von Brandenburg eine Art Kunstsprache entwickelt hat, entfaltet eine hypnotische Wirkung, die beinahe das Täuschungsmanöver dieser Installation überdeckt: Auch hinter der Leinwand findet kein Schattenspiel statt, sondern wiederum nur die filmische Reproduktion eines Schattenspiels im Maßstab 1:1.

Das große Brimborium, mit dem die Künstlerin dem Medium Film einen Anstrich von Liveness, von Unmittelbarkeit zu geben versucht, ist Teil einer Strategie. Schon die mediale Mimikry des gemalten Scherenschnittes hat es ja angedeutet: Es geht um die Offenlegung von Inszenierung. Dass ein solches Verfahren den Besucher nicht nur aus-, sondern auch einschließen kann, zeigt der Film Die Straße. Hier trifft ein Fremder auf eine entrückte Gemeinschaft, deren Rituale und Umgangsformen sich ihm nicht erschließen. Abgespielt wird der Film in einem Raum, der den Kulissen der Straßenzüge im Film nachempfunden ist. Zudem liegen vereinzelt Requisiten aus dem Film innerhalb dieses Interieurs aus.

Keine Frage, die Ausstellung Drinnen ist nicht Draußen fordert ihre Besucher. Wirft man einen Blick auf das Motivinventar – Schatten, Spiegel, der Fremde –, findet man die seit der romantischen Literatur klassischen Allgemeinplätze der Identitätsproblematik. Wenn Ulla von Brandenburg mithilfe der Kamera wie in einem Märchen von Andersen ihren Schauspielern die Schatten abschneidet oder Tonspuren von den Bildern löst, rüttelt sie prüfend am Baum des Subjekts als kleinstmögliche soziale Entität. Das Medium Film, von der Psychoanalyse immer schon interessiert theoretisch begleitet, bietet ihr die Möglichkeit, Narben und Nähte auch bei ihren Figuren offenzulegen.

Weniger Pflichten

Dass man im Kunstverein Hannover etwas voraussetzungsreicher einsteigt, hat auch mit dem allgemeinen Selbstverständnis der Kunstvereine zu tun. Den Museumspflichten von Kanonisierung und Konservierung sind sie enthoben, es zählt allein das Kunsterlebnis. Die Vermittlung von Gegenwartskunst im Verbund mit einem verstärkten Geltungsbewusstsein des Bürgertums ist seit ihrer Entstehung im frühen 19. Jahrhundert wesentlich für die Institution Kunstverein. Da meist nicht verkauft wird und auch kein eigenes Sammlungsportfolio im Wert gesteigert werden muss, sieht man hier häufiger installative Arrangements als gerahmte Werke. Diese Marktferne und ein Hunger auf gegenwärtige Kunstpositionen machen die Vereine auch für international gefragte Künstler attraktiv. Zum Beispiel für Ulla von Brandenburg, deren erste Soloshow übrigens 2008 im Kunstverein Braunschweig stattgefunden hat.

Ulla von Brandenburg: Drinnen ist nicht Draußen Kunstverein Hannover bis 22. Juni 2014

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden