Im Kosovo drohe eine Hungersnot, liest man in der Tageszeitung. Flüchtlinge durchsuchen die Ruinen verlassener Häuser nach Eßbarem. Abends in der Uraufführung von Edward Bonds Das Verbrechen des 21. Jahrhunderts im Bochumer Schauspielhaus läßt der britische Dramatiker eine Frau, die in den Ruinen eines »Säuberungsgebietes« haust, sagen: »Man muß ganz weit rausgehn, um was zu finden«.
Unversehens hat das Stück, das der Bochumer Intendant Leander Haußmann inszeniert hat, ganz konkreten Bezug zum Tagesgeschehen. Dabei hat Bond es eher als negative Utopie angelegt. Sein Stück ist in einer namenlosen Zukunft angesiedelt, in der die Welt gespalten ist. »Die Menschen sind in zwei Klassen aufgeteilt«, hat Bond im S
ine Hungersnot, liest man in der Tageszeitung. Flüchtlinge durchsuchen die Ruinen verlassener Häuser nach Eßbarem. Abends in der Uraufführung von Edward Bonds Das Verbrechen des 21. Jahrhunderts im Bochumer Schauspielhaus läßt der britische Dramatiker eine Frau, die in den Ruinen eines »Säuberungsgebietes« haust, sagen: »Man muß ganz weit rausgehn, um was zu finden«.Unversehens hat das Stück, das der Bochumer Intendant Leander Haußmann inszeniert hat, ganz konkreten Bezug zum Tagesgeschehen. Dabei hat Bond es eher als negative Utopie angelegt. Sein Stück ist in einer namenlosen Zukunft angesiedelt, in der die Welt gespalten ist. »Die Menschen sind in zwei Klassen aufgeteiltXX-replace-me-XXX171;, hat Bond im Spiegel kommentiert, »in die Kriminellen und die Erfolgreichen.« Der unmenschliche Kampf dieser Gruppen sei das Verbrechen des 21. Jahrhunderts.Solche Äußerungen verschärfen den Klassenkampfverdacht, in den Bond immer wieder gerät. Seine dezidierten Kommentare machen ihn für viele suspekt. Dabei liegen die Dinge in seinen Stücken oft komplizierter. Im Verbrechen des 21. Jahrhunderts bilden die großen, einfachen Strukturen nur einen weit entfernten Hintergrund. Die eigentlichen Kämpfe laufen auf der Mikro-Ebene ab: zwischen Hoxton, Grig, Sweden und Grace, allesamt Ausgeschlossene, aber keine unschuldigen Opfer. Der Schauplatz liegt irgendwo in riesigen Ruinenfeldern, im Niemandsland außerhalb der Ghettos von Gewinnern und Verlierern. Wie Bond es verlangt, hat Franz Havemann die Bochumer Bühne mit Staub und Steinen bestückt, mit Küchenutensilien und einem schäbigen Verschlag. Ein Steg führt über Mauerreste nach hinten. Hinzugefügt hat Havemann nur eine große Leinwand schräg über der Bühne. Da ziehen Wolken vorüber und sorgen für Weite.In dem Verschlag wohnt Hoxton (Margit Carstensen). Sie hat Kinder umgebracht, die sie eigentlich in Pflege geben sollte, und mußte deshalb fliehen. Über den Steg kommt als erster Grig (Ralf Dittrich), auf der Suche nach Wasser. Hoxton droht mit einer Eisenstange und will ihn davonjagen. Mit rohen Satzstümpfen blafft sie ihn an: »Wasserhahn in der Wand - da unten - halber Tag - siehst du Hunde in der Pfütze.« Doch für Grig geht es ums Überleben. Er ist hartnäckig und bleibt.Fast entspannt man sich, wenn er in der nächsten Szene friedlich mit dem Abwasch aus der Hütte kommt. Aber die Gewalt hat sich mit ihm eingenistet. Bei Bond muß man mit dem Schlimmsten rechnen. In der Darstellung von Grausamkeiten ist er kompromißlos. Auch deswegen gehörte er zu den letzten Opfern der britischen Theaterzensur, bevor sie abgeschafft wurde. Ein Häftling taucht auf, Sweden (Andreas Pietschmann) heißt er und ist auf der Flucht. Die anderen beiden wollen ihn loswerden, haben Angst, seinetwegen mit der Armee zu tun zu bekommen. Doch auch er bleibt. Zuletzt tritt Grace (Annika Kuhl) auf, Hoxtons Tochter. Noch bevor sie ein Wort gesprochen hat, schleudert sie Steine nach ihrer Mutter: Sie hat von den toten Kindern erfahren. Keiner traut dem anderen. Jedes neue Gesicht ist eine Bedrohung, und jeder hat sein eigenes Trauma.In der sechsten Szene bricht aus unterschwelliger Gewalt der offene Schrecken vor. Aus dem Off kommen lange regelmäßige Schreie. Sweden kommt mit leeren Augenhöhlen nach vorn. Die Armee, an die Grig ihn verraten hat, hat ihn grausam bestraft. Sweden sucht Halt bei den beiden Frauen. Dann ersticht er sie. Grig verrät ihn abermals, und zuletzt liegt der Flüchtling als blutiges Wrack ohne Augen und Füße auf der Bühne. Die Hilfe, die ihm sein Verräter jetzt anbietet, schlägt er aus.Logisch sind die Grausamkeiten nicht. Bond erklärt sie nicht, eher konstatiert er, daß sie geschehen. Die Situationen, in die er seine Figuren wirft, liefern keine schlüssigen Motivationen. Aber sie lassen Willkür geradezu erwarten. Schon in Gerettet, dem Stück, mit dem er bekannt wurde, hat Bond aus Hoffnungslosigkeit und kaputter Kommunika tion die Grundierung für einen widerlichen Mord gemischt. Jetzt kommen echte Not und Paranoia dazu.In ihren starken Momenten verleiht die Bochumer Inszenierung dem Unlogischen eine überzeugende Materialität. So spröde und verhärmt, wie Margit Carstensen auf die Bühne kommt, schafft sie gleich am Anfang das Klima von Mißtrauen, aus dem nur Katastrophen entstehen können. Ralf Dittrich gibt den abgehackten Sätzen seines Grig eine eindringliche Poesie. Sehr ruhig läßt Leander Haußmann seine Akteure verletzen und ihre Wunden vorzeigen. Da erscheinen Swedens Morde fast zwangsläufig.Überhaupt hat Leander Haußmann die Uraufführung sehr vorsichtig inszeniert - von Spaßtheater keine Spur. Einmal blitzt etwas haustypische Ironie auf, aber ansonsten hat der Regisseur gewissenhaft den Text umgesetzt. Selbst Bonds wortlosen Epilog: Ein makelloser heller Raum tut sich hoch über der Bühne auf. Grig steht darin, in einem weißen Kittel. Er geht ein paar Schritte, starrt und stößt ein Schmerzgeheul aus. Kurz: Bond erlaubt sich die große Geste. Er läßt sein Stück in einer ort- und raumlosen Klage über das Böse an sich fließen. Die konkreten Kämpfe von Ruinenbewohnern sind plötzlich ganz weit weg.Ohnehin übertreibt das Stück mitunter die vornehme Distanz. Es riskiert, die Zuschauer kalt zu lassen. Das mag daran liegen, daß das überschaubare Vier-Personen-Stück die Tiefen des Bochumer Theaters nur mit Schwierigkeiten füllt. Zudem nimmt aber Bonds abgeklärt-anthropologischer Blick dem Geschehen einen Teil seiner Dringlichkeit. Das Bild des geblendeten Sweden läßt keinen Zweifel, daß die Grausamkeit schon immer da war, spätestens seit Ödipus. Der Schutt-Schauplatz könnte überall sein - wenn man will, in sicherer Entfernung.Die nötige Dosis Korrektheit ist nicht weit. Man braucht nur aus den luftigen Weiten des Großen Hauses in die Theaterkneipe herabzusteigen. Da wird Zerbombt von Sarah Kane gespielt. Ihr, seinem Schützling, hat Edward Bond Das Verbrechen des 21. Jahrhunderts nach ihrem Selbstmord im Februar gewidmet. Auch Zerbombt läßt willkürliche Gewalt wohlkalkuliert einbrechen. Die Bochumer Inszenierung von Uwe Dag Berlin ist etwas sehr aufgedreht, aber hier gibt es auf jeden Fall kein Ausweichen. Die Entladung geschieht direkt im Jetzt, auf einer engen Bühne, die ein ganz normales Hotelzimmer zeigt. Apocalypse now.
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