Berlin strahlt vorweihnachtsfreudig. Kein Baum, der nicht Lichterketten, trägt, keine Laterne ohne glühende Sternschnuppenmontur. Wärmetupfer braucht unser verfrorenes Herz und Hoffnungssignale unser vom Religions- und Konsumterror mehr denn je strapazierter Geist. Das agile Potsdamer Einstein-Forum hätte sich kaum einen passenderen Zeitpunkt für ihre Tagung "Zum Glück" aussuchen können, zumal der Glücksbegriff seit einigen Jahren in der Philosophie und Psychologie eine Konjunktur hat. Sogar Ulrich Wickert hat´s gemerkt und gönnte der Tagesschau einen flotten Einblick in die Glückswerkstatt der Denker, bevor der Wetterbericht sibirische Kälte ausmalte.
Wer in diesen Tagen über Glück redet, kann sich der Erwartungshaltung, er habe einen Mangelzustand zu beheben, nicht entziehen. Daher brachte die Direktorin des Forums, Susan Neiman, das Tagungsziel auf die einsichtige Formel "Wir wollen natürlich alle glücklicher werden". Doch es kam, wie es kommen musste, die vielbeschworene "happiness" hielt sich hinter immer neuen Theoriekonstruktionen versteckt oder tauchte mal in der einen, mal in der anderen terminologischen Verkleidung auf, beinahe nicht wiederzuerkennen.
Für den immer heiteren Oxford-Gentlemen Bernard Williams ist Glück ein äußerst strittiges Konzept, das nicht naiv betrachtet werden darf. Schließlich gibt es glückliche Menschen, die kein glückliches Leben haben. Keine der diversen Glücksauffassungen dürfe zur letztgültigen erklärt werden, denn jede beruhe auf einer eigenen Weltsicht.
Wir müssen Williams Recht geben, jedenfalls wenn wir dem Psychologen Norbert Schwarz folgen wollen. Man muss der Rede von Glück dann sogar noch vorsichtiger begegnen. Für Schwarz hat sich in unzähligen Befragungen immer wieder bestätigt, dass die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben von völlig zufälligen, kaum kontrollierbaren Aspekten abhängig ist. Ob sich jemand glücklich nennt, hängt entscheidend vom gegebenen Ort, dem Wetter oder dem vorangehenden Gesprächsverlauf ab. Wer etwa in einem kalten Keller mit flackerndem Neonlicht seine Wohnverhältnisse beurteilt, der kann ins Schwärmen geraten; wer sich in einer Luxussuite aufhält, die eigene Behausung als miserabel empfinden. Aus den Statistiken Schwarz´ grinst uns "Glück" als Ergebnis psychologischer Gesprächsmanipulationen an. Und von "objektiver" Selbsteinschätzung kann erst gar keine Rede sein. Als Schwarz Polen und Ostdeutsche kurz nach der Wende über ihr Glück im frisch importierten Kapitalismus befragte, da zeigten sich die Polen - trotz deutlich schlechterer Lebensbedingungen gegenüber ihren deutschen Nachbarn - weitaus zuversichtlicher. Es gibt eben keine "West-Polen", die sich als Projektionsfläche aufdrängen.
"Glück" wird massenweise produziert, man muss nur zugreifen - je höher der Einsatz, desto reicher die Ernte. Schönheitsoperationen zum Beispiel sind herausragende Optionen auf dem Glücksmarkt. Das behaupten zumindest Schönheitschirurgen, und behauptet auch - rein provokativ - der Chicagoer Germanist und Philosoph Sander Gilman. Man kann lange über Glück und Unglück philosophieren, aber den neuen Körper - fettfrei und silikongestärkt - kann man vorführen, anfassen, und notfalls wieder ein bisschen zurechtzuppeln.
Während Gilman das in den Hochglanzkliniken verfertigte Glück aber als Maskerade des modernen Menschen entlarven will, ist Peter D. Kramer ein echter Fan der kosmetischen Chirurgie. Dem Psychiater aus Rhode Island geht es dabei allerdings eher um Geisteszustände, er arbeitet nicht mit dem Skalpell, sondern mit "Prozac", einem Anti-Depressivum, das Mitte der neunziger Jahre als ein Durchbruch in der Behandlung von Depressionen gefeiert worden ist. Hätte es doch schon immer und für jeden "Prozac" gegeben! So finstre, ungesunde Schriften wie die Kierkegaards oder Poes wären uns erspart geblieben. Denn mit dem Mythos, Melancholie und tiefe Gedankenwelt seien intrinsisch miteinander verbunden, muss nach Kramer endlich aufgeräumt werden. Die Pillen werden´s richten: der Mensch ist ein sonniges Wesen und kann auf Spukgeschichten verzichten.
Die Erfahrung indes, wie gut sich ein Winter mit Kierkegaards Krankheit zum Tode überleben lässt, ist Kramer offenbar entgangen. Man kann sich über das Verhältnis zwischen dem Verlangen, "nicht man selbst sein zu wollen" und dem, "verzweifelt man selbst sein zu wollen", wunderbar den Kopf zerbrechen und dabei getrost windige Straßenecken vergessen. Sowohl aus dem existentiellen Zwiespalt wie auch aus der geschäftigen Versunkenheit lugt manchmal das Glück hervor. Der Gießener Philosoph Martin Seel und die Philosophin Candance Vogler aus Chicago meinen es dort jedenfalls entdeckt zu haben.
Nach Seel taucht Glück nur dann auf, wenn wir nicht planwirtschaftlich danach suchen. Wer die Erfüllung all seiner Wünsche verfolgt, muss oft feststellen, dass am Ende jeder Erfüllung eine Enttäuschung wartet. Graf Vronski etwa sehnte sich sein halbes Leben nach Anna Karenina - die andere Hälfte verbrachte er damit, sich mit ihr zu Tode zu langweilen. Als glücklich empfinden wir einen Augenblick aber erst dann, wenn er unsere Erwartungen übersteigt. Unsere Sehnsucht nach Glück beinhaltet immer ein Verlangen nach dem Unvorhersehbaren, denn wer freut sich wirklich über Weihnachtsgeschenke, die ihm längst bekannt sind? Aristoteles´ Vorstellung vom glücklichen Leben als eines Prozesses lässt sich dann verwirklichen, wenn man seinen Lebensplan für jegliche Zufälle und die Vergänglichkeit von Glücksmomenten offen hält. Mit Kierkegaard gesprochen, gehört also für Seel zum "man selbst sein wollen" dazu, "nicht man selbst sein zu wollen", sonst dreht man sich nur unendlich im Kreis seiner eigenen Glücksvorstellungen.
Vielleicht aber war der Auftritt, den Candance Vogler dem Glück verschaffte, am überzeugendsten. Auch sie vertraut nur dem jähen Glücksmoment, dem Zufall der erfüllten Situation, trennt ihn jedoch, viel stärker als Seel und als ein Großteil der vom Glück umtriebenen Philosophen, vom Projekt eines guten Lebens. Für die ersehnten Lichtblicke gibt es nach Vogler nur eine Bedingung: bereit zu sein, sich von der eigenen Welt angenehm überraschen zu lassen. Dann kann man gerade mitten in einer konzentrierten, selbstvergessenen Tätigkeit, die keine Zeit lässt, sich Gedanken über das eigene Wohl zu machen, Augenblicke glücklicher Welterweiterung erleben. Dem übernächtigten Blick der Leserin wirken die Lichterketten plötzlich ungemein schön und angenehm vergänglich.
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