Russische Frauen und magere Katzen

Kehrseite "Sie können noch nicht mal lesen. So primitiv sind die, die Dummköpfe!" Voller Ablehnung stellt Irina den Eimer mit dem Schmutzwasser ab. "Auch ...

"Sie können noch nicht mal lesen. So primitiv sind die, die Dummköpfe!" Voller Ablehnung stellt Irina den Eimer mit dem Schmutzwasser ab. "Auch geizig. Und lügen, immer lügen." Das ist Olja, ihre Freundin. Sie sitzt auf einem Plastikstuhl und raucht. Ihre übereinander geschlagenen Beine sind braun und glatt, wie das Holz eines Streichinstruments. Wir sitzen mitten in der Istanbuler Altstadt, im Dienstraum eines billigen Hotels. Keine Umgebung für Fotomodels, die kurz, nur ein paar Schritte, vor dem Weltruhm stehen. In der Ecke brummt eine antike Waschmaschine, ein Halbautomat. Neben mir ein Haufen schmutziger Wäsche. Das Zimmer hat keine Fenster, ist niedrig, Betonboden. Es ähnelt einer Zelle. Weil es draußen regnet, ist es hier drinnen besonders deprimierend. Olja wackelt mit ihren glatten Beinen und bohrt Luftlöcher mit dem rot lackierten Nagel ihres großen Zehs.

"Lügner und Angeber sind sie. Nennen sich alle Unternehmer." Sie - das sind die Männer, mit denen Olja und Irina, die künftigen Models, zu tun haben. In ihrer von Fototerminen freien Zeit putzen sie hier, wechseln Bettwäsche, waschen. Zum Glück hat das Hotel nur sechs Zimmer und eine Dusche. Es ist eher eine billige Pension.

Der Besitzer, Hakan, hockt an der Rezeptionstheke in einem winzigen Korridor gleich am Eingang. Hinter Hakans Rücken hängt ein Holzbrett mit drei Zimmerschlüsseln, sein schmaler Tisch ist mit Papier und Zigarettenasche bedeckt. Eine Treppe führt zu den Gästezimmern im ersten Stock. Der Dienstraum befindet sich unter der Treppe. Manchmal schaut Hakan neugierig zu uns rein, von seiner Ecke aus. Er macht einen netten Eindruck.

"Und Hakan?", frage ich, "der ist doch ein richtiger Unternehmer."

"Auch ein Angeber. Aber okay", sagt Irina und stippst wütend die welke Wäsche in die Maschine. Beide Mädchen tragen ihre dunkelblonden Haare zum Zopf gebündelt mit bunten, perlengeschmückten Klemmen. Hakan schreit etwas zu uns herein, auf Türkisch. Irina antwortet und wirft genervt die Maschine an. Der Regen macht alle ganz kirre. Ich lobe ihr Sprachtalent, sie wirkt irritiert und winkt ungnädig ab. Beide leben seit ein paar Jahren hier. Sie haben genug davon. Ich bin seit gestern in Istanbul, schlafe noch eine Nacht im Hotel und fliege übermorgen mit einem Billigflieger wieder davon. Meine Landsmänninnen sind freundlich zu mir, wenn auch etwas reserviert, ja misstrauisch.

"Sprichst du Deutsch? Arbeitest du?", fragt mich Irina.

Ohne meine Antwort abzuwarten, greift Olja ein: "Unsere Freundin Sveta, sie wohnt in Venedig. Ihr Mann ist Banker, er reicht ihr gerade bis zur Schulter. Aber sie muss nicht arbeiten, nur wenn sie will. Du musst sehen, was für ein Haus sie hat!"

"Spinnst du?", unterbricht Irina, "sie wohnt in Verona!"

"Na und? Was brüllst du so rum?"

Hakan schreit wieder etwas in unsere Richtung, dieses Mal entschiedener. Die Mädchen haben zu tun, ich auch. Ich bin gekommen, um Istanbul zu sehen, nicht um in einem Hinterzimmer über Schicksale russischer Frauen zu plaudern. Außerdem ist der Regen vorbei. Mein deutscher Mann und ich, wir beeilen uns Richtung Basar. Es ist die erste von den Mädchen empfohlene Sehenswürdigkeit.

Eine unspektakuläre Gasse fließt sanft in ein buntes, verzweigtes Labyrinth. Aus dunklen Ecken schimmern unzählige Teppiche und Kupfergefäße. Erstaunlich ist die Hingabe beim Kaufen und Verkaufen.

"Mein Frräund! Mein Frrräund!" Ein Mann kommt auf uns zu. Er ist sehr mager, sein gelbes Hemd und die hellbraune Hose hängen auf ihm wie auf einem Bügel. Ungeniert greift er meinen Mann am Ellbogen und versucht, uns einzureden, dass wir ihm gestern versprochen haben, seine Teppiche anzuschauen. Er spricht laut und Deutsch. Von dem Hagel aus grollenden Rs betäubt, folgen wir ihm in seine Teppich-Höhle. Uns entgegen schreitet ein rundlicher, glatter Mensch. Unser Freund übergibt ihm uns wie eine Jagdtrophäe, serviert ein Tablett mit Tee. Nun plaudern wir. Ein dritter Mann, der sich wie ein Schatten durch den Raum bewegt, rollt Teppiche vor uns aus. Der Rundliche führt das Gespräch. Die Komplimente an seine Teppiche werden immer öfter mit Komplimenten an alles Deutsche vermischt. Der Grad der vorgetäuschten Herzlichkeit steigt. Schließlich teilt er uns vertraulich mit, die Deutschen seien die besten Touristen. "Die Russen, das ist schlimm!" Er schüttelt mit dem Kopf. Einige Minuten lasse ich die verdorbenen Russen am Pranger stehen, dann entscheide ich einzugreifen. Als er erfährt, dass ich aus Russland komme, stolpert er, bleibt aber nicht lange verlegen. Er sagt, dass er eigentlich die Ukrainer meinte und es folgt die Zugabe: "Die Rumänen, ja, die Schlimmsten sind die Rumänen! Mein Gott!" Er blickt entsetzt gen Himmel. Ich fühle mich dennoch ein bisschen beleidigt. Und bin es, die beinahe einen Teppich gekauft hätte!

Als wir draußen sind, danke ich meinem Mann, dass er mich vor dem Kauf bewahrt hat. Wir wandern durch vertrödelte Gänge und suchen nach einem Ausgang aus dem Basar. Wie viel Russisch hier im Umlauf ist! Um uns her schnüffeln breitschultrige russische Händler: binnen einer Nacht überqueren sie das Schwarze Meer auf Tragflügelbooten, machen ihre Einkäufe, abends sausen sie zurück. In ihnen haben die einheimischen Händler ebenbürtige Gegenspieler. In manchen Läden arbeiten sogar Russen (bzw. Ukrainer, bzw. Rumänen) als Verkäufer oder Aufreißer. Viele Waren sind Russisch ausgeschildert, mit ulkigen Fehlern, die auf Deutsch etwa "Pilzmantel" oder "Damenschrumpfer" heißen würden.

Endlich finden wir einen Ausweg aus dem Basar. Wie angenehm, denke ich, dass wir nicht diese riesigen karierten, weiß-blau-roten Plastiktaschen schleppen, die für das Fußvolk der globalisierten Welt überall in Gebrauch sind. Mit leichten Rucksäcken eilen wir in die Altstadt, anderen Sehenswürdigkeiten entgegen. Genießen die fülligen, frisch gefangenen, frisch gegrillten Makrelen in Brot. Mein Mann schaut nach oben und bewundert die prachtvollen Minarette, meine Blicke dagegen bleiben an den überfüllten Mülltonnen kleben, an den mageren, scheuen Katzen drum herum. Im Übrigen fühlen wir uns an sehr bekannte Alltagsszenen erinnert: mein Mann an sein Berliner Kreuzberg, ich an den Kaukasus meiner Kindheit.

Kleine Händler auf kleinen Hockern mit ihrem Allerlei in kleinen Altpapierbastsäcken. Die Häuser in den engen Gassen klettern aufeinander wie emporsteigende Pilzkolonien. Frauen mit misstrauischen Blicken. Scharen müßiger Männer in weißen Socken und gebügelten Hosen. Als wir so einen Schwarm vor ihrem Stammcafé passieren, umhüllen uns deftige Parfümdüfte. Viele haben ein großes Schlüsselbund in der Hand, das verleiht einen Schuss Wichtigkeit. Im Unterschied zu ihren Frauen sehen sie in die Welt mit Neugier. Ich zupfe an meinem Rock und denke, wie toll es sein könnte, unter einer Burka zu laufen.

Als wir am Abend ins Hotel zurückkommen, um uns warme Kleidung anzuziehen, treffen wir keine bekannten Gesichter. Hinter der Theke sitzt ein junger Mann und starrt in den kleinen Fernseher. Die Tür zum Hinterzimmer mit der Waschmaschine ist zu.

Am nächsten Mittag verlassen wir das Hotel. Olja und Irina trinken türkischen Kaffee aus winzigen Tassen, sie bieten mir auch eine an. Ich erfahre, dass beide aus einem ukrainischen Dorf stammen. Getrennt zogen sie in die nahe Stadt, wo sie abwechselnd in einem Kiosk als Verkäuferin arbeiteten. Hierher gekommen sind sie, um Geld zu verdienen. Ich habe nicht erfahren, ob das mit der geplanten Modelkarriere eine Erfindung war. Die Sonne scheint, die Mädchen sind blendender Laune. Bis zum nächsten Regen. Der kommt bald. Dann werden sie in der kalten, feuchten Bude hocken und auf diese Stadt und deren Männer schimpfen. Istanbul muss herhalten für alles, was Olja und Irina satt haben: die schmutzige Wäsche, den schlechten Atem, die feuchten Füße, die ungeliebten heißen Mohairbäuche.

Nellja Veremej ist 1963 in der Sowjetunion geboren und lebt als freie Autorin in Berlin.


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