Urlaub ist Krieg

Nachbarschaft Sauschwaben treffen auf Kuhschweizer - oder wie man lernt, sich nicht zu mögen. Ein Blick auf die national bedingte Frontlage in einem mediterranen Ferienort

Ihr seid hier nicht bei euch in Deutschland. Rennen Sie nicht wie die Nilpferde durch die Wohnung! Knallen Sie nicht so laut die Türen!“, brüllte mich die Schweizerin an, als ich ihr die Tür öffnete. Auf der fülligen Brust wölbte sich der Schriftzug ‚Sexy‘ in silbernen Schuppen. Kupfernes Haar, füllige Lippen, schön und jung, aber etwas überfordert:

„Wir sind eine sechsköpfige Familie, die Zwillinge können nicht schlafen, bei dem Krach, den Ihre Kinder machen. Wir haben schon tausendmal darüber gesprochen.“

„Wir haben Ruhe ab zehn Uhr abends abgesprochen, es ist noch nicht einmal acht! Sollen wir auf den Stühlen kleben bleiben, vielleicht schon ab sieben?“

„Ja, verdammt!“, schrie die Schweizerin.

Meine deutsche Truppe, für die Schweizerin unsichtbar, kicherte in der Küche: „Ab sieben! Warum nicht ab fünf?“

Wir waren zwei befreundete Familien aus Berlin, vier Erwachsene und vier Kinder.

„Es ist nicht lustig! Verdammte Scheißdeutsche!“, heulte die Schweizerin.

Das Gekicher war nicht friedensfördernd, und ich fand, es wäre auch nicht nötig gewesen. Vor allem, weil sich alle Scheißdeutschen in der Wohnung versteckt hielten, und ich, einzige Nichtdeutsche, allein an der Frontlinie für meine Wahlheimat schwitzen musste. Aber es gab kein Zurück. Nach einer Woche unfruchtbarer Verhandlungen steckten wir auf dem Kriegspfad fest, und es blieb nur die Flucht nach vorn. „Ihre Babies schreien auch ununterbrochen, wir beschweren uns aber nicht dauernd, wie Sie. Schon gar nicht bei der Vermieterin! Petzen ist das Letzte. Gehen Sie doch gleich zum Bürgermeister, er wird Ihnen auch nicht helfen: Um sieben, nach der Siesta fängt in Malpica der Tag doch erst an!“

Malpica ist ein winziger spanischer Urlaubsort an der galizischen Atlantikküste. Von drei Seiten durch den Ozean bedrängt, schießen steile, schmale, eng aneinander gerückte Häuser in die Höhe. Ohne Gärten, ohne Balkons. Aber wozu brauchen die Malpicianer auch solche Privatidyllen, wenn die Strandpromenade nur ein paar Schritte hinter der Haustür beginnt? Auf den Betonbänken am Kai sitzen die Alten mit entblößten Bäuchen und in Gummi­latschen, unbeweglich wie Eidechsen, in Anbetung der Sonne erstarrt. Auf der Promenade flanieren Paare in Scharen, spielen Jungen Fußball am Strand, reiten Halbwüchsige ihre Motorräder. Von irgendwoher hört man einen Frauenchor.

Wir sitzen bei einem siebengängigen Menü von kleinen ozeanischen Schweinereien und genießen die mediterrane Lebendigkeit. Die Spanier sind so viel freier, spontaner und authentischer als wir. Wir blicken auf ein Fischerboot, über dem fordernde Möwen kreischen. Bei einem Bäcker ächzt und seufzt ein Teig unter einer mehligen Männerhand. Ein paar Meter weiter lädt ein Metzger Schweine von einem Kleintransporter, die in Eukalyptushainen aufgewachsen sind. Schweine, die unseren Industrieschweinen natürlich weit überlegen sind.

Aber nicht alles ist besser. Unsere Vermieterin Dolores weiß, dass wir in Deutschland in soliden Villen mit dicken Wänden wohnen. Nicht wie hier. „Sehen Sie, unsere Häuser, viel schlechter, dünner, hellhöriger.“ Sie spricht langsam und in schlechtem Englisch zu uns, nicht, um Reflexionen über unsere Kulturen anzustellen, sondern um uns klarzumachen, dass wir uns mit den Schweizern arrangieren müssen.

Dolores liegt nicht ganz richtig. Wir wohnen nicht in einem soliden Haus mit Garten, sondern in einem dünnwandigen Mietshaus im Norden Berlins. Aber das wird Dolores nie erfahren. Nicht, weil wir es ihr verheimlichen würden, sondern weil es sie nicht interessiert. Ganz so, wie es uns nicht interessiert, dass Dolores im Morgengrauen im Dachgeschoss unsere Wäsche in einem Steintrog einweicht, dann in ihren Laden eilt, dann in der Küche brät und backt, dann ihre goldene Armbanduhr ablegt, um ihre Hände in den Schaum zu tauchen, unsere Wäsche zu schrubben und sie in die Waschmaschine zu stapeln und sie am späten Abend, wenn sie den Laden abgeschlossen hat, auf eine lange Leine zu hängen.

Unser Interesse gilt dem typisch Spanischen, dem Pittoresken, wir wollen unterhalten werden, und das machen die Einheimischen wirklich gut. Von der Sonne erschöpft, schauen wir aus dem Fenster unseres Apartments auf die Straße, wo gerade die Feierlichkeiten zu Ehren des heiligen Jakobus beginnen. Den gedörrten Überresten des himmlischen MitkämpfersSantiago schreiben die Spanier ihre Befreiung von den Mauren zu und sein Gedenktag am 25. Juli wird mit entsprechender Hingabe gefeiert. Am frühen Abend reihen sich die älteren Damen unter einer Straßenlaterne und preisen Jakobus in choralem Gesang. Bald darauf zieht eine Prozession Verkleideter, angeführt von einem einem Dudelsackpfeifer und einem Clown mit schönem Teint, leichter Fahne und wenigen Zähnen. Abends schwebt ein dichter Dunst von gegrilltem Fisch über der Stadt. Autos hupen, Motorräder grollen, Feuerwerkskörper knallen. Die Gassen borden über vor Menschen und die authentischen Spanier ziehen lachend und singend bis zum Morgengrauen durch die Stadt.

Im Urlaub gilt ein ungeschriebener, einseitiger Nichtangriffspakt zwischen dem Herkunftsland der Urlauber und den Einwohnern des Reiselands. Die Schweizerin, die in der Sankt-Jakobus-Nacht kein Auge zugebracht hatte, wusste das, deshalb heulte sie vor Wut und stand am folgenden Tag vor unserer Tür.

Wir fühlten uns im Recht.

„Ihre Babies schreien auch ununterbrochen, wir beschweren uns aber nicht dauernd. Und schon gar nicht bei der Vermieterin. Petzen ist das Letzte!“, donnerte ich. Und weil ich fühlte, dass ich es moralisch richtig anpackte, setzte ich noch einen drauf: „Schweizer Babys haben das Recht zu weinen. Deutschen Kindern wird nach dem Abendbrot der Mund zu geklebt.“ Ich hätte auf der Welle weiter reiten können. Entschied mich aber für eine wirkungsvolle Pause.

„Scheißdeutsche“, schleuderte mir die Schweizerin nochmal ins Gesicht. Und weil klar war, dass nur noch der effektvolle Abgang blieb, drehte sie sich um und rannte die Treppen hinauf. Eine Sekunde später knallte die Tür in der vierten Etage so heftig, dass das ganze Haus bebte.

„Ich habe mir die Schweizer ja zivilisierter vorgestellt! Ein Marktweib, das blöde Hemd mit dem blöden ‚Sexy‘, und das Geschrei!“

Die Scheißdeutschen stimmten mir zu.

„Ich hatte noch sowas wie ‚Scheißnazis‘ erwartet. Ihr auch?“ Lachend fiel ich auf einen Stuhl, erschöpft von meiner Heldentat. Wir lachten und lachten, laut, um einen Anflug von Peinlichkeit zu übertönen, der sich in unseren klaren Sieg mischte. Wie sieht das aus? Wir, die beiden deutschsprachigen Familien in unserem Apartmenthaus geraten uns öffentlich in die Haare und ziehen auch noch Dolores, die Vermieterin, mit hinein.

„Nein“, schüttelt Dolores resigniert den Kopf. „Andere Apartments habe ich nicht, ihr müsst euch arrangieren. Ihr sprecht doch die gleiche Sprache.“

Ein paar Tage später traf ich die Schweizerin auf der schmalen Stiege ins heiße Dachgeschoss, wo wir unsere Bikinis und Badehosen trockneten.

Wir standen uns mit einem Bündel Wäsche in den Händen gegenüber, sahen uns in die Augen, sprachen kein Wort und ließen uns gegenseitig nicht vorbei. Wir steckten fest.

„Es tut mir leid.“

„Was?“ keifte die Schweizerin und bebte vor Wut.

„Es tut mir leid“, sagte ich lauter und etwas sicherer.

„Wie?“

„Das mit Ihren Babys. Das Geschrei stört uns ja gar nicht, ich habe das nur aus Fiesheit gesagt. Und wir haben Türstopper gekauft, im Eineuroladen.“

„Gibt es hier einen?“, fragte sie verblüfft.

„Gleich um die Ecke.“

Die Schweizerin lehnte sich an die Wand:

„Gehen Sie durch.“

Ich stieg die Treppe hoch.

„Sie sind so unruhig, die Zwillinge, und die beiden anderen sind auch noch klein“, hörte ich sie in meinem Rücken kapitulieren. „Und das mit den Nazis ... vielleicht habe ich mit den Nazis doch übertrieben.“

„Das mit den Nazis haben Sie gar nicht gesagt.“

Ich drehte mich um.

„Aber mir ist es auch egal, wissen Sie. Ich bin Russin.“

„Ich bin Polin“, sagt sie. „Meine Mutter kommt aus Polen.“

Nellja Veremej wurde 1965 im Kaukasus geboren. Sie studierte in Moskau und Novi Sad. Seit 1994 lebt sie in Berlin

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