Die Medien einschüchtern

Druck auf die Berichterstattung Die Lobbygruppe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall bedrängt Journalisten

Fünf Jahre ließ die Öffentlichkeit die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mehr oder minder in Ruhe werkeln. Im Hintergrund rekrutierte die Lobbygruppe des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall seit Oktober 2.000 Botschafter aus Politik und Wissenschaft, um sie als vermeintlich unabhängige Experten in der Öffentlichkeit auftreten zu lassen. Sie führte Kampagnen gegen den vermeintlichen Reformstau und für die wirtschafts-, sozial- und finanzpolitische Erneuerung Deutschlands und setzt sich dabei im Wesentlichen für ein unternehmerfreundliches Klima ein.

Doch die INSM hat es zunehmend schwer, in Deckung zu bleiben. Immer wieder zerren die Medien die Initiative ins Rampenlicht. Kritische Beiträge häufen sich. Das gefällt den beiden Geschäftsführern Tasso Enzweiler und Dieter Rath nicht wirklich. Sie greifen an. In einer Form, die bislang im Umgang mit Journalisten unüblich war. "Die INSM sucht das Gespräch direkt bei der Redaktionsleitung", sagt Thomas Leif, Vorsitzender bei der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche und Chefreporter beim Südwest Rundfunk (SWR). Mit Beschwerdebriefen an Chefredakteure oder Intendanten wolle die Initiative die Redaktion einschüchtern und sie zur Vorsicht beim nächsten Beitrag ermahnen. Langfristiges Ziel dabei sei, der Kritik an der Initiative "die Spitze zu nehmen". Daran kann die INSM nichts Ungewöhnliches entdecken. Schließlich würde man nur die "zuständigen redaktionell Verantwortlichen" über unkorrekte Berichterstattungen informieren. Übrigens: Es kam bislang noch zu keiner Gegendarstellung. Obwohl die Initiative "natürlich" davon überzeugt sei, zu Recht Beiträge kritisiert zu haben.

Gern sagt die Initiative kritischen Journalisten Gewerkschafts- oder Parteinähe oder andere angebliche Befangenheiten nach. Damit versuchen die PR-Profis, die Qualität der Arbeit und die Glaubwürdigkeit des Journalisten in Frage zu stellen. Diese Praxis komme aus den USA, nenne sich dort "Blaming" und würde bei uns erst neuerdings angewendet werden, um Kritiker hart zu bekämpfen, erklärt Thomas Leif.

Wegen seines Beitrags beim Magazin PlusMinus versuchte die Initiative, den SWR-Redakteur Dietrich Krauß zu diffamieren, indem sie ihm unterstellte, mit der globalisierungskritischen Organisation Attac zu sympathisieren. Auf Nachfrage bestreitet die Initiative dies mittlerweile allerdings. Ein aufgebrachter Oswald Metzger, ohne Amt bei den Grünen und Botschafter der INSM, fragte den Journalisten am Ende seines Interviews allerdings noch gereizt: "Sind Sie von Attac bezahlt?" Dietrich Krauß lassen die Anspielungen kalt. Für ihn ist der Rufschädigungsversuch nichts anderes als ein rhetorischer Kniff, um keine Stellung beziehen zu müssen. "Kritische Fragen haben kein Parteibuch, sondern sind einfach Fragen", sagt der Redakteur. Das PR-Team der Gesamtmetaller schrieb auch in Krauß´ Fall an die höheren Instanzen. Ein Brief ging nach dem Senden seines Beitrags an die Intendanz, an ausgewählte Mitglieder des Rundfunkrates und den Programmbeirat. "Ich erhielt das Schreiben als Letzter - wenige Stunden vor Beginn der Programmbeiratssitzung." Die pauschale Beschwerde lautete: Krauß habe einseitig über die INSM berichtet. Nicht selten widerspricht sich die Initiative. So warf sie Krauß noch vor, kein direktes Gespräch für den aktuellen Beitrag gesucht zu haben. Ein paar Wochen später waren es dann allerdings die Kölner Lobbyisten, die auf ein Interview-Angebot des WDR-Magazins Monitor verzichteten.

Der Journalist Volker Lilienthal vom Evangelischen Pressedienst (epd) stieß mit dem PR-Flaggschiff des Unternehmerverbandes Gesamtmetall vor zwei Jahren zusammen. Lilienthal hatte über einen ARD-Fernseh-Dreiteiler, der mit der Sozialpolitik und dem Reformstau in Deutschland abrechnete, geschrieben. Finanziell ermöglicht wurde die HR-Produktion unter anderem durch die Zusammenarbeit mit der INSM - das kritisierte Lilienthal in epd medien als Fremdfinanzierung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Anwalt der Initiative schrieb daraufhin einen Protestbrief an den Journalisten. Doch die Lobbyisten erreichten nicht viel: epd-Chefredakteur Thomas Schiller stellte sich hinter Lilienthal. "Enzweiler sagte später ganz offen zu mir, dass die Initiative zu anderen Mitteln greife, wenn sie mit ihren Einwänden gegen kritische Berichterstattung nicht durchdringe", erinnert sich Lilienthal. Mittlerweile leitet der Journalist den Fachdienst epd-Medien. Netzwerk Recherche zeichnete ihn 2004 mit dem Preis Leuchtturm aus. Die Initiative hält sich jetzt zurück. Jüngst arbeitete sie dem Journalisten sogar zu. Für seinen Beitrag über die Schleichwerbung in der ARD stellte INSM ihm interne Dokumente zur Verfügung. "Es sind wohl eher die freien Journalisten, die betroffen sind", vermutet Lilienthal.

Die Journalistenverbände wundern sich unterdessen. Noch sei ihnen nichts direkt zu Ohren gekommen. "Wenn das aber alles stimmt, dann ist das ein richtiger Hammer", sagt Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes (djv). Natürlich versuchten immer wieder Leute von Außen oder auch intern die Anzeigenabteilungen, Einfluss auf Journalisten oder Redaktionen auszuüben. "Doch das reichte bislang über eine lokale Wirkung und einen begrenzten Personenkreis nicht hinaus." Auch Ulrike Maercks-Franzen, Geschäftsführerin bei der deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), sind systematische Einschüchterungen Einzelner neu.

Enzweiler und Rath sind Zocker am Tisch der PR- und Medienwelt. Sie bluffen, wenn nötig zinken sie auch die Karten oder aber halten die Spielregeln peinlich genau ein. Und sprechen immer wieder auch von Fairness beim Umgang miteinander. Wie es der Sache eben gerade dient. Das ist ihr Job. Doch wenn die INSM damit kokettiert, die Grenze zwischen Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und Journalismus auflösen zu wollen, dann ist Wachsamkeit geboten. Gerade wenn dies auch mit Druck auf einzelne Journalisten und Redaktionen geschehen soll. "Tasso Enzweiler meinte bei einem Gespräch, dass er die Kritik an der INSM nicht verstehe, weil er doch ein Dienstleister der Medien sei", sagt die freie Journalistin Brigitte Baetz. Und Dieter Rath erklärte dem epd, doch nur "Grundkenntnisse über unsere Wirtschaftsordnung" vermitteln zu wollen. Den Unterschied zwischen Marketing und Journalismus können die Initiative und ihre Sprecher dann bezeichnenderweise auch nicht beschreiben, weil es ihnen unmöglich ist, allein die Frage danach zu verstehen.


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