Saft für die große Weltmaschine

Energiebilanz I Energieeffizienz bedeutet Nachhaltigkeit. Ist Informationstechnik die Lösung - oder eher Teil des Problems?

Futurologen haben sich mit ihren Prognosen eher selten mit Ruhm bekleckert. Eine davon war die Erwartung, das digitale Zeitalter werde zur Entstofflichung von Medien und Wirtschaft beitragen und so die Umwelt entlasten. Dazu gehörte auch der Evergreen vom "papierlosen Büro", den das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek bereits 1975 intonierte. Die Informationstechnik aber beschleunigte die Globalisierung mit ihren gewaltigen Güter- und Rohstoffströmen, die wiederum mehr Informationstechnik benötigte und die explosionsartige Ausbreitung des Internets beschleunigte.

Ebay - der magische Energiefresser

Entstanden ist eine weltumspannende Datenmaschine, die die globale Wirtschaft lenkt und eine Milliarde Internetnutzer mit Informationen und Unterhaltung versorgt - und nun selbst Teil des Umweltproblems wird. Eine Suchanfrage bei Google etwa verbraucht innerhalb von Sekundenbruchteilen allein auf den Rechnern des kalifornischen Unternehmens umgerechnet soviel Strom wie eine Acht-Watt-Energiesparbirne in einer Stunde. Das passiert 1,2 Milliarden Mal am Tag. Das Internetauktionshaus Ebay benötigt zur Abwicklung einer siebentägigen Auktion immerhin die Energiemenge einer 20-Watt-Glühbirne, die anderthalb Stunden brennt. Rund 105 Millionen Auktionen finden derzeit zu einem beliebigen Zeitpunkt parallel statt.

"Diese eine Maschine frisst zurzeit über fünf Prozent unserer Elektrizität", hat der US-Autor und Internet-Experte Kevin Kelly kürzlich nachgerechnet - 868 Terawattstunden weltweit. Das entspricht etwa dem 100-Fachen des Stroms, den ein mittleres Kernkraftwerk produziert. Vor allem aber bedeutet das: Die Datenströme, die in Unternehmen und Privathaushalten bewegt werden, verursachen Emissionen von 520 Millionen Tonnen Kohlendioxid, etwa 1,6 Prozent des weltweiten Ausstoßes.

Die gute Nachricht: Die informationstechnische Industrie ist aufgewacht. Jahrelang war es nur darum gegangen, mit immer schnelleren neuen Computern noch mehr Rechenpower bereitzustellen. Doch die hat einen Preis, der nicht länger als nebensächlich verbucht werden kann. Für jeden Euro, der in neue Hardware investiert wird, fallen bereits 50 Cent Stromkosten an. Die galoppieren den Anschaffungskosten inzwischen davon: Das Marktforschungsunternehmen IDC schätzt, dass sie acht Mal so schnell wachsen.

Das war zwar schon länger abzusehen. Aber es bedurfte wohl erst der neu aufgeflammten Klimadebatte, damit sich etwas bewegt. Nun haben die ersten IT-Dienstleister begonnen, die Technik systematisch auf Einsparpotenziale hin abzuklopfen. Und siehe da: Die großen Computerparks haben bislang alles andere als effizient gearbeitet.

Wie eine Analyse des Netzwerkausrüsters Cisco im Mai ergab, sind in einem typischen Rechenzentrum die Speicher nur zu einem knappen Drittel, die Server - also die Hauptrechner eines Netzwerks - gar nur zu einem Siebtel ausgelastet. Dagegen hilft das, was in der Branche als "Virtualisierung" bezeichnet wird: Anstatt für diverse Datendienste jeweils eigene Recheneinheiten laufen zu lassen, fasst man mehrere Dienste auf einem Gerät zusammen. Es ist gewissermaßen das Analogon zum so genannten Car-Pooling, das inzwischen manche Metropolen zur Entlastung des Berufsverkehrs nutzen: Voll besetzte Wagen bekommen den Vorzug vor alleinfahrenden Pendlern. Laut Cisco könnten damit und mit einer effizienteren Nutzung der Netzwerkverbindungen selbst bis zu 85 Prozent Energie gespart werden.

Damit ist die Effizienzschraube aber noch nicht voll aufgedreht, wie das Beispiel des deutschen Internetproviders Strato zeigt. Bereits auf der Ebene der Prozessoren seien bei bestimmten Servertypen Stromeinsparungen von bis zu 90 Prozent möglich, rechnet der Vorstandsvorsitzende Damian Schmidt vor. Dank eines neu konzipierten Systems zur Raumbelüftung könnten in den Rechenzentren des Providers außerdem 20 Prozent der Kühlenergie eingespart werden. Hierbei wird nicht mehr der ganze Raum gekühlt, sondern nur ein Teil der Gänge zwischen den Regalen, in denen sich die Server befinden. Die Luftzirkulation aufgrund des Temperaturunterschieds lässt die wärmere Luft in den anderen Gängen nach oben steigen und zieht die gekühlte Luft nach - es muss also nicht gleich die ganze Halle in einen Kühlschrank verwandelt werden.

Die erste Ausbeute ist bereits beachtlich: "Wir haben in den letzten 18 Monaten in unseren Rechenzentren eine Einsparung von 30 Prozent geschafft", sagt Schmidt. Und fügt selbstbewusst hinzu: "Wenn wir das können, kann das jeder Anbieter, der sich Gedanken darüber macht." Besondere Aufmerksamkeit in der Branche hat aber die Ankündigung von Strato erzeugt, ab 2008 ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen beziehen zu wollen. Geliefert werden soll er von der NaturEnergie AG, die am Hochrhein mehrere Wasserkraftwerke betreibt. Dann würden die 30.000 Server des Providers auch CO2-frei arbeiten.

Der User, der Übeltäter

Bei allem vorsichtigen Optimismus, zu dem der Sinneswandel der IT-Industrie Anlass gibt: Der dickste Batzen des Energieproblems liegt leider beim Nutzer. 60 Prozent des Energieverbrauchs der digitalen Weltmaschine entfallen auf Endgeräte wie Monitore, Drucker und PCs. Das liegt vor allem daran, dass etliche Millionen von ihnen rund um die Uhr eingeschaltet bleiben. Kein Mensch würde seinen Wasserhahn den ganzen Tag aufgedreht lassen, nur um zwischendurch mal einen Wasserkocher zu füllen - in der digitalen Welt ist diese "Always on"-Mentalität jedoch der Normalfall. Zwar verfügen heutige Rechner über Energiespareinstellungen und Zeitschaltungen, doch die wenigsten Nutzer dürften diesen im Gestrüpp ihres Computerbetriebssystems schon begegnet sein.

Das zweite Problem: Für IT-Geräte gibt es derzeit noch keine abgestuften Kennzeichnungen zur Energieeffizienz, wie sie etwa bei Kühlschränken seit langem üblich sind. Die 2005 verabschiedete Ökodesignrichtlinie der EU könnte das ändern - doch die für eine Umsetzung nötigen Studien sind zum Teil noch nicht einmal angelaufen. Mit aussagekräftigen Effizienzlabeln für Computer ist frühestens in zwei Jahren zu rechnen.

Wahrscheinlich wird die entscheidende Frage der Zukunft ohnehin nicht darin bestehen, wie man den Energieverbrauch der digitalen Weltmaschine von ihrem jetzigen Niveau herunter fahren kann, sondern: Wie könnte diese helfen, den restlichen Energieverbrauch und die weltweiten Treibhausgasemissionen zu reduzieren? Bislang gibt es keine systematischen Untersuchungen, wie viele Kilowattstunden durch Datendienste bereits eingespart werden - etwa wenn E-Mails Briefe ersetzen.

Eine erste Vorstellung gibt aber eine Initiative des US-Konzerns Cisco. Der hat nämlich einen ökologischen Ladenhüter reaktiviert, der seit Jahren beschworen wird: Videokonferenzen als Ersatz für Geschäftsreisen. Laut Cisco legen seine über den Globus verteilten Mitarbeiter derzeit rund eine Milliarde Flugmeilen pro Jahr zurück. Das entspricht nach Angaben des Unternehmens etwa zwei Millionen Tonnen an ausgestoßenem CO2. Mit dem Einsatz der Telepräsenz könnten diese um 20 Prozent reduziert werden. Außerdem untersucht das Unternehmen in Modellprojekten mit den Städten Amsterdam, San Francisco und Seoul, wie urbane Ballungsräume durch eine intelligente IT-Infrastruktur ihre CO2-Emissionen deutlich senken könnten. Für seine neue Strategie erntet der Netzwerkriese verhaltenes Lob: "Die Lösungen von Cisco für eine grüne IT sind ein richtiger Weg in Richtung Nachhaltigkeit", urteilt Joachim Lohse, Geschäftsführer des Öko-Instituts. Sie könnten zum "Modellfall" für einen umfassenderen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft werden.

Doch wie man es dreht und wendet: Soll die Informationstechnik in großem Stil Dienstleistungen, Verkehr und andere Wirtschaftsprozesse effizienter machen, muss sie erst einmal weiter wachsen - und damit auch ihr eigener Energieverbrauch. Wann aber wird dieser von den erzielten Effizienzgewinne übertroffen? "Nach meiner Einschätzung liegt der Peak immer fünf bis zehn Jahre vor uns", sagt Lohse. Und das, so schätzt er, wird wohl noch für die nächsten 30 Jahre so bleiben.

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