Piraten plündern. Sie fallen über das Eigentum anderer her, mit Messern, Pistolen. In den letzten Jahren haben sie sich einer neuen Waffe bemächtigt: »Moving Picture Experts Group-1 Layer 3« wird sie genannt. Kurz: MP3. Diebesgut ist Musik und Umschlagplatz das Internet. MP3 kann Songs in winzige Dateien komprimieren und binnen Sekunden vom einen Ende des Webs zum anderen schicken. Deshalb wankt eine ganzes Gewerbe, fürchtet den Bankrott: die Plattenindustrie.
Mit MP3 - Die digitale Revolution in der Musikindustrie zeigt Bruce Haring, wie die Idee Songdateien online anzubieten die bestehenden Verhältnisse im Musikgeschäft umgewälzt hat. Mit mp3.com und Napster wurden Portale geschaffen, auf denen kostenlos Songs zum Download angeboten wurden. Lab
boten wurden. Labels und Musiker gingen dabei natürlich leer aus. Vordergründig leuchtet es ein, dass sich Plattenindustrie und einige Musiker als Opfer fühlen. Was aber steckt hinter dieser scheinbaren Einheit von Plattenfirmen und Musikern? Ein Abhängigkeitsverhältnis, so Haring, das die Künstler in enge Verträge zwinge. Die Musiker würden gepusht, um bei ausbleibendem Erfolg wieder fallen gelassen zu werden. Die Rechte an ihren Werken gehörten den Labels. Seit das Onlinegeschäft des MP3-Tauschens boome, sei für Bands und Interpreten aber eine Plattform entstanden, auf der sie mit ihrer Hörerschaft in unmittelbaren Kontakt treten können. Die Labels als Vermittler zwischen Musiker und Zuhörer würden immer unbedeutender. Deshalb sei zwischen der Vereinigung der amerikanischen Plattenindustrie RIAA und den MP3-Portalen ein unerbittlicher Kampf ausgebrochen. Der Prozess gegen Napster - eine Onlinebörse, auf der Millionen Menschen MP3s kostenlos tauschten - hielt die Öffentlichkeit für mehrere Monate in Atem. Besonders heiß diskutiert werde die Frage, ob es sich bei Liedern um das Eigentum der Musiker und Labels handele. Die in dem Buch abgedruckte Rede, die Perry Barlow - ehemaliger Songwriter der Greatful Dead - auf dem MP3-Gipfel 1999 im kalifornischen San Diego gehalten hat, verdeutlicht das: Für Barlow soll das amerikanische Urheberrecht nicht den Künstlern die exklusiven Rechte an ihren Werken sichern. Das hätten sie nur solange wie sie die Ideen für sich behielten. Das Urheberrecht sei vielmehr geschaffen worden, um Übertragungsmedien zu schützen, die notwendig für die Verbreitung von Kunst und Musik seien. »Es liegt auf der Hand, dass ohne die Plattenindustrie bestimmte Musik niemals in unser Bewusstsein gelangt wäre.« Ob Musik öffentlich gemacht wurde, habe aber immer von der Beurteilung der Labels abgehangen. Bands seien oft abgelehnt worden, wenn nicht die Aussicht bestand, dass sie 100.000 Einheiten oder mehr verkaufen würden. Die Labels hätten zuviel Macht erlangt, sagt Barlow. Seit dem Beginn der MP3-»Revolution« könnten Musiker selbst entscheiden, was sie veröffentlichen wollen und ihre Werke einfach online stellen. Die Frage, wie Musiker ohne die Labels zu Geld kommen sollen, stellt Barlow zwar, bleibt dem Leser jedoch eine klare Antwort schuldig. Einerseits räumt er ein, dass Autoren von Liedern einen Anteil erhalten sollten, wenn ihre Werke kopiert und kommerziell genutzt werden. Dann sagt er aber, dass es andere Bereiche gebe - Live-Auftritte etwa - um an Geld zu kommen. Hier offenbart sich die Naivität von Barlows Forderungen. Auch in den übrigen Kapiteln des Buches, beantwortet der Autor Haring die Frage nicht, wie zum Beispiel Bands die Produktion ihrer Alben überhaupt finanzieren sollen um sie dann selbstlos in das Internet zu stellen, wenn sie nicht die Vorschüsse der Plattenfirmen erhalten. Er äußert sich wie Barlow kompromisslos. Das ist bedauerlich, denn ihr Anliegen, mit dem sich die Musikindustrie auseinandersetzen muss, ist legitim. Trotzdem ist Bruce Harings Buch eine informative Darstellung der jungen Geschichte des MP3-Geschäfts, obwohl es wegen der vielen Abkürzungen an einigen Stellen schwer ist, den Faden nicht zu verlieren. Ob die Musikindustrie aber wirklich vor ihrem Ende steht, wie es das einleitende Statement von Public Enemy-Rapper Chuck D prophezeit, bleibt dahin gestellt. Deutlich wird aber die Unverhältnismäßigkeit, mit der Musiker oft von ihren Labels abgespeist werden und sich ihre Kreativität den Plattenfirmen beugen muss. Dass die großen Labels zu mächtig sind, ist offensichtlich. Eine wirkliche Alternative zu ihnen zeigt das Buch aber nicht.Bruce Haring: MP3. Die digitale Revolution in der Musikindustrie. Deutsch von Patrick Schnur. Orange-Press, Freiburg 2002, 186 S., 15 EUR