Angeblich gibt es zwei Typen von "Vaterlandsliebhabern". Auf der einen Seite die konstruktiven Patrioten, die ihr Land lieben, ohne andere Länder abzuwerten. Sie sind sozial aktiv, finden das Grundgesetz toll und engagieren sich politisch. Auf der anderen Seite die Nationalisten, die ihre Heimat verherrlichen und alles Fremde kritisch beäugen. Sie verharmlosen die deutsche Geschichte und berauschen sich an der Exportkraft der deutschen Wirtschaft.
Ein Land, das zu Tränen rührt
Ginge es nach der Politik, ließen sich die Menschen hierzulande in diese beiden Gruppen einteilen. "Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze - sie bedingen einander", findet der Staatspatriot Horst Köhler. Und ein anderer großer Patriot, der Bild-Kolumnist Franz-Jose
ild-Kolumnist Franz-Josef Wagner, schreibt in seinem "Liebesbrief an Deutschland": "Wir haben nur ein Land, das so schön ist, dass einem die Tränen kommen. Das Land der Burgen, das Land der vier Jahreszeiten, das Land von Luther." Spätestens seit der WM 2006 ist klar: Patriotismus ist cool.Einige Wissenschaftler sehen das genauso. Sie folgen der Vorgabe der Politik und unterteilen die Menschen in gute Patrioten und schlechte Nationalisten. Nach Auffassung von Soziologen fühlt sich der Patriot Grundwerten wie Freiheit und Gleichheit verpflichtet und ist stolz auf die sozialen Sicherungssysteme seines Landes. Der Nationalist hingegen orientiert sich an Werten wie Macht, Dominanz und kultureller Homogenität.Doch eine solche Zweiteilung der Menschen ist politisch motiviert - sie dient dazu, Patriotismus als wünschenswerte Eigenschaft propagieren zu können. Eine empirische Basis für die Trennung zwischen Vorzeige- und Schmuddelbürgern gibt es nicht. Wie die Untersuchungen des Jenaer Sozialpsychologen Christopher Cohrs belegen, sind Menschen, die sich stark mit ihrem Land identifizieren, anfällig für intolerantes und ausländerfeindliches Gedankengut. "Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand", sagt Cohrs. So zeigte sich in Fragebogenstudien etwa, dass Patrioten erhöhte Nationalismuswerte aufweisen. Auch wenn es Politiker nicht gerne hören mögen, Patriotismus und Nationalismus sind stark miteinander korreliert. Viele aufrechte Patrioten sind kleine oder mittelgroße Nationalisten. Nach Ansicht des Psychologen Daniel Bar-Tal von der Tel Aviv University ist es für die positive Entwicklung eines Landes unwichtig, ob dessen Bürger patriotisch eingestellt sind oder nicht. Wichtig sei lediglich, ob sie sich als überzeugte Demokraten erweisen. Die Demokratie aber könne auch derjenige wertschätzen, der zu seinem Vaterland ein nüchternes Verhältnis habe. Genauso sieht das auch Cohrs. Die demokratische Gesinnung zählt, nicht der Patriotismus. "Die Bindung an das eigene Land fördert die Ablehnung von Fremden, die Präferenz für Demokratie vermindert sie hingegen", sagt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer vom Institut für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Demokraten nicht Patrioten sind die idealen Bürger. Nationalgefühl versus ChauvinismusNationales Zusammengehörigkeitsgefühl und Chauvinismus gegenüber Fremden sind zwei Seiten einer Medaille. Das ist in Deutschland nicht anders als in Japan oder in den USA. Der Glaube, wonach man erst seine eigene Gruppe "lieben" muss, ehe man zur Fremdliebe fähig ist, entbehrt jeder Grundlage. Nach Ansicht der Sozialpsychologin Amélie Mummendey von der Universität Jena tendieren Menschen dazu, ihren Nationalismus euphemistisch als patriotische Haltung zu beschreiben, wohingegen der Patriotismus anderer Nationen schnell als feindselig oder übersteigert wahrgenommen wird. Als aggressiv und nationalistisch würden immer nur die anderen eingeschätzt. Der Patriot täuscht sich nur allzu gerne über seine nationalistische Gesinnung hinweg. Das Bild vom konstruktiven Patrioten, der das Eigene wertschätzt, ohne jemals das Fremde abzuwerten, ist eben vor allem eines: Ein Wunschbild der Politik. Die Unterscheidung zwischen Nationalismus und Patriotismus ist ohnehin ein deutsches Spezifikum. Angelsächsische Psychologen sprechen schlicht von in-group-love, also von Liebe zur eigenen Gruppe. Aus ihrer Sicht basiert Patriotismus respektive Nationalismus auf ein und derselben Emotion - und zwar der des Stolzes. Wie sehr die patriotische Haltung durch Gefühle bestimmt wird, konnte der US-Psychologe Seymour Feshbach bereits vor einigen Jahren experimentell nachweisen. Durch das bloße Abspielen patriotischer Lieder ließ sich die "Vaterlandsliebe" von amerikanischen Studenten deutlich steigern. Mussten die Studenten aggressiv getönte Militärmusik anhören während sie einen Fragebogen bearbeiteten, dann entwickelten sie chauvinistisch gefärbte Überlegenheitsgefühle. Nationalstolz, so die Schlussfolgerung Feshbachs, ist leicht entflammbar, so wie andere Gefühle auch. Bedenkliche VergleicheEntwicklungspsychologisch betrachtet, liegt der in-group-love eine Abwertung des Fremden zugrunde, wie der Psychologe Adam Rutland von der University of Kent vor kurzem herausgefunden hat. In seinen Experimenten mussten 169 britische Schüler im Alter von sieben bis zwölf Jahren sowohl Engländer als auch Deutsche anhand von Eigenschaftspaaren charakterisieren. Dabei zeigte sich, dass bereits englische Sechsjährige die Menschen ihres Heimatlandes für freundlicher, sauberer und hilfsbereiter halten als die Deutschen. Insbesondere Kinder unter sieben Jahren zeichneten ein besonders negatives Bild von den Deutschen. Kinder, die älter als neun Jahre sind, beschränkten sich hingegen zumeist darauf, die eigenen Landsleute positiver darzustellen als die Vertreter Deutschlands. Rutlands Studie zeigt, dass der soziale Vergleich die gängige Denkfigur des Menschen ist. Er ist sein kognitives Hauptwerkzeug. Ganz gleich, ob es ums eigene Spielzeug oder die eigene patria geht, die Frage lautet stets: Ist meine Gruppe besser oder schlechter, stärker oder schwächer, klüger oder dümmer als eine andere? "Werden Menschen zu ihrem Land befragt", sagt Cohrs, "dann beurteilen sie es im Vergleich zu einem anderen". Und genau dieser soziale Vergleichs-Prozess ist nach Auffassung von Psychologen die gemeinsame Wurzel von Patriotismus und Nationalismus. Unbedenklich ist einzig jene Vaterlandsliebe, die auf einem temporalen oder normativen Vergleich gründet. Hierbei vergleicht man früheres und heutiges Deutschland miteinander ("Ich bin stolz auf Deutschland, weil es toleranter als in den fünziger Jahren ist") oder misst Deutschland an einem normativen Standard ("Ich bin stolz auf die Grundwerte, die in der Verfassung festgeschrieben sind"). Doch nationales Verbundenheitsgefühl fußt in der Regel nicht auf einem dieser beiden Vergleiche. Das Credo des Rechtsgelehrten Dolf Sternbeger - Das Vaterland ist die Verfassung, die wir lebendig machen - ist in den Denkstrukturen des Normalbürgers nicht verankert.