Es geht um Schritte persönlicher Konsequenz

Blick eines Pazifisten in den Spiegel Wie sollten wir umgehen mit dem Piepsen des ethischen Detektors?

Wollen Sie etwa ein Gutmensch sein? Kant bewahre. Wenn sich edle Federn mit jovialer Geste über ungenießbare Gutmenschen erheben, dann bedarf es keiner weiteren sachlichen Begründung, um zu verstehen, dass der Pazifismus sich anschickt, die "charts" zu verlassen.

Jeder hier zu Lande - fast jeder - wurde als Kind pazifistisch geprägt, sei es über das Christkind oder die kleine weiße Friedenstaube. Und kaum einem ist jeglicher Anflug von Unwohlsein fremd, angesichts der etwas asymmetrischen weltweiten Güterverteilung, angesichts des systematischen Zugriffs auf das global Eingemachte und angesichts der brachial merkantilen wie auch diskret martialischen Absicherung unserer "vitalen Lebensinteressen". Wie aber umgehen mit diesem Piepsen des ethischen Detektors?

Gebenedeit sei, wer uns einen niveauvollen Ausweg aus diesen ethischen Dilemmata weist: Friedliche Gutmenschen waren einmal modern, in den Achtzigern vielleicht. Spätes Erwachsenwerden aus pazifistischen Träumereien gilt jetzt als postmodern. "Wer mit 17 kein Pazifist ist, hat kein Herz, wer es mit 27 noch immer ist, hat keinen Verstand". Nur jetzt nicht den Anschluss an die verlieren, die schon immer erwachsen waren. Ruckartige hinterher eilende Adoleszenzbemühungen können jedoch zu etwas linkischer vorauseilender Martialik führen. So gesehen fühlt sich der Pazifist in der Obhut eines besonnenen Generals wohler als unter dem etwas wackeligen, nassforschen Kommando nachgereifter spätberufener Bellizisten auf der Regierungsbank.

Gebenedeit sei auch der Journalist, der uns mit intellektuellem Anspruch erklärt, das geostrategische Rohstoffinteresse spiele bei dem US-amerikanischen Galopp-Ritt der letzten Monate doch wohl eher eine untergeordnete Rolle. Gebenedeit sei, wer uns von dem Verdacht entlastet, die eindeutige Zuweisung des Schurkentitels für die amerikanischen wie englischen Heerscharen einerseits und die fanatischen diktatorischen Araber andererseits könne angesichts der nur vage geschätzten Toten des Irak-Embargos und anderer Kollateral-Schäden etwas verzwickter sein als in letzter Zeit angenommen.

Ja, wir können im Ernst gegen einen Irak- Krieg sein - wenn wir es im Ernst sind

Der Blick des Pazifisten aber fällt in den Spiegel im Flur. Hier ist er selbst und guten Willens. Dort hinter dem Spiegel das Ticket nach Colombo zur Konferenz über sanften Tourismus, auf der Handschuhablage der Schlüssel für das Automobil. Der Atem des Pazifisten beschlägt den Spiegel nicht. Der Heizöltank ist voll, der Flur ist warm. Wo aber steckt das Körnchen Wahrheit in der Argumentation selbst ernannter Realisten, wenn sie ökologisch und pazifistisch orientierte Gutmenschen milde belächeln?

Wir Gutmenschen wollen bei vollem Lohnausgleich dagegen gewesen sein. Wir wollen BAT II, Fernreisen, Rundum-, Voll- und Altersversicherung sowie den sechzigfachen Energieumsatz eines Bangladeshi - und außerdem wollen wir voll für den Frieden sein. Hier scheint ein ethischer Webfehler vorzuliegen. "You can´t eat the cake and have it too", wiederholt gelegentlich Saral Sarkar, der zivilisationskritische Inder vom Ufer des Rheins.

Der praktische Hinweis auf die noch gründlichere wie effektivere Ressourcenverschredderung der Nordamerikaner mag da bestenfalls als anspruchslose Ausrede schlichter Gemüter für unsere europäische Praxis herhalten. Jan Ross sieht in der Zeit den Pazifismus im bürgerlichen Lager angekommen. Da hat er wohl recht. Wir wollen das ganze tolle Zeugs haben und gleichzeitig die bösen Konzerne, Börsen-Messdiener und Globalisatoren attac-ieren, die die moralische Drecksarbeit machen. Das entbehrt der Ästhetik des Widerstandes. Das lässt verstehen, warum anders Denkende den arrivierten Pazifismus als "politischen Kitsch" empfinden. Gandhi über dem Kanapee - der fastende Hirsch.

Uns beflügelt die muntere Vorstellung, dem Frieden hafte kein Preisschildchen an. Man müsse ihn lediglich fordern und er käme eilends herbei. Und falls er denn ausbliebe, könne man sich wenigstens daran wärmen, mit seiner Forderung im Recht gewesen zu sein. Das scheint ein fliegengewichtiges Hobby.

Müssen wir nicht hoffen, dass unser mit halblauter Stimme skandiertes NEIN gegen einen Rohstoffkrieg leise genug und ungehört bleibt? Können wir denn wirklich wünschen, dass man auf uns hört, dass unsere Forderung Mehrheiten gewinnt? Und unser Wohlstand womöglich ins Schlingern gerät?

Ob wir hoffen, ernst genommen zu werden, erkenne man bitte an unserer Bereitschaft, mögliche Einbußen in Kauf und vorweg zu nehmen, die denen bevorstehen, die sich nicht an dem martialischen Gedränge um die globalen Restressourcen beteiligen wollen oder können. Nicht, dass man erst durch einen Verzicht auf das Beutegut das Recht erwirbt, gegen den Krieg zu sprechen. Nein, es spreche gegen einen Krieg, wer möchte. Nur täusche sich nach dem aufmerksamen Blick in den Spiegel keiner über das Gewicht seines Wortes gegen den Krieg.

Wer erwartet im Ernst, dass es uns leichter fallen sollte, von innen her das Ausmaß eines möglichen Kollapses unserer fragilen Industriezivilisation zu vermessen? Leichter als es den Zweitplazierten im deutsch-deutschen Nachkriegswettrennen fiel, Ende der achtziger Jahre den Grad der sozialen Korrosion ihres Modells zu erkennen? Die Innenansicht eines gesellschaftlichen Explosionsprozesses ist selten beunruhigend. Die fliegenden Teilchen bewegen sich alle so schön gleichmäßig. Man nenne es wirtschaftliches Wachstum und hoffe auf seine immer währende Fortsetzung. Oh mathematische wie biologische Einfalt. Oh beneidenswerte Glaubensstärke.

Wer malt sich im Ernst aus, dass eine Stromversorgung in dem Moment ausfallen könnte, wo wir gerade das spannende neue Format gucken, bei dem ein paar waghalsige Städter versuchen, im Schwarzwald zu leben wie vor 100 Jahren - oder wie in Rumänien heute. Mobilität oder Mobilismus, wie dato praktiziert, mag verzichtbar sein. Vieles lässt sich regional abwickeln. Man kann dabei auf jahrhundertelange Erfahrung zurückgreifen. Frieren im Winter ist jedoch etwas ausgesprochen Archaisches, Ideologie fressendes. Nur wenige Ideale halten Temperaturen von unter null Grad Celsius in Innenräumen stand.

Ja, wir können im Ernst gegen einen Irak- Krieg sein - wenn wir es im Ernst sind. Wundere sich keiner, wenn er den Pazifisten mit der Axt im Wald antrifft, Brennholz schlagend. Erwarte keiner in des Pazifisten Garage ein Automobil. Und suche ihn keiner im Bauch eines Flugzeuges.

Es geht hier nicht um einen ökologisch-pazifistischen Neo-Purismus, sondern um den Versuch, den hehren Worten Gewicht zu verleihen. Es geht nicht um schwarz oder weiß, um Computerzeitalter versus Bronzezeit. Es geht um Schritte persönlicher Konsequenz, die einschneidend genug sind, um den Bellizisten allerorten Respekt vor unserem Anliegen abzugewinnen. Und sei es auch nur, um sich selbst im Spiegel in die Augen sehen zu können. - Na, und was will der Pazifist mit all dem Bemühen? Sich und anderen ein schlechtes Gewissen machen? Nein, ganz im Gegenteil: ein gut funktionierendes.

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