Cute. Auf dem Mini-Plüschsessel lümmelt er, Mini-Cowboyhut auf. Swipe, nächstes Bild: im Doktorkostüm. Dreieinhalb Millionen Likes auf Instagram. Die Rede ist vom It-Baby schlechthin: Phoenix Hilton. Einjähriger Sohn von Hotelerbin Paris Hilton und passend zu deren klebrig-rosanem Social-Media-Auftritt inszeniert. Und ausgeliefert. 26 Millionen Menschen folgen Paris Hilton auf Instagram. Und beurteilen, bewerten, fleischbeschauen den Kleinen. Zu groß der Kopf, wird kommentiert, ein „Freak“! Der Shitstorm gegen den Einjährigen macht Boulevard-Schlagzeilen. Aber die Hilton ist in guter Gesellschaft. Deren einstige Best Friend Forever, Reality-Sternchen Kim Kardashian – 364 Millionen folgen ihr auf Instagram –, inszeniert ihre vier Ki
Kinder, die sie mit der abgestürzten Rap-Ikone Kanye West hat, an ähnlich laufendem Band und auch mal gemeinsam im XXL-Bett räkelnd.Sharenting – „sharing“ (Teilen) plus „parenting“ (Elternschaft) – ist in, längst nicht nur beim Instagram-Hochadel. Studien zeigen, dass von einem fünfjährigen Kind bereits 1.500 Bilder im Netz herumschwirren. Laut einer repräsentativen Telekom-Umfrage von 2023 zeigen 86 Prozent der befragten Eltern von Kindern von null bis 14 Jahren Bilder ihres Nachwuchses im Netz. Mit potenziell katastrophalen Folgen: Bis 2030 wird ein Großteil der Fälle von Identitätsdiebstahl mit Sharenting zu tun haben. Ist ein Bild erst mal im Netz, ist es außer Kontrolle. Ausgerechnet der Kommunikations-Platzhirsch Telekom hat daher 2023 die Kampagne #ShareWithCare gestartet. Der Auftakt ist ein Videospot über eine Neunjährige, die ihren unbekümmert postenden Eltern per Deepfake-KI-Alterung eine Botschaft aus der Zukunft sendet. Vorgemacht hat es die New York Times. Die ließ schon 2020 in einem Clip Kinder ihre postenden Eltern konfrontieren. Mit wenig Einsicht auf Erwachsenenseite. „If it’s not on Insta, it didn’t really happen“, sagt eine Mutter: Wenn es nicht auf Instagram ist, ist es nicht passiert.Vorbei sind die Zeiten, als man durch Fotoalben blätterte. Heute übernehmen Insta und Co. die Rolle des Familienarchivs. Bloß: Dieses ist furchtbar indiskret. Eine Recherche des Reportageformats STRG_F und des ARD-Magazins Panorama zeigt: Vermeintlich harmlose Schnappschüsse in den sozialen Netzwerken sind eine Selbstbedienungstheke für Pädokriminelle. Mindestens 20 Prozent der Bilder auf einschlägigen Seiten sind von Social-Media-Konten geklaut. Unter vermeintlich harmlosen Kinderfotos stehen Hashtags wie #SexyKids. Es gibt Ratings von null bis fünf Sternen, etwa in puncto „Fuckability“.Dank künstlicher Intelligenz wird das alles künftig noch unberechenbarer. Ein einziges Foto und ein paar Prompts in Tools wie Midjourney und Co. entstellen, verzerren, missbrauchen Identitäten. Deepfake-Pornos machen selbst Megastars wie Taylor Swift angreifbar. Wie wenig Schutz haben dann Kinder? „Robocalls“ durch KI-Sprachnachahmung sorgten unlängst in den USA für Empörung, als im Wahlkampf ein KI-Fake-Präsident Joe Biden in Millionen Haushalten angerufen hat. Für den ohnehin grassierenden Enkeltrick dürfte die boomende KI-Technologie der heilige Gral werden.Die Kids von heute sind die erste Generation, die von klein auf im Netz existiert. Dank der Offenherzigkeit der eigenen Eltern, ob sie wollen oder nicht. Für die Kinder gibt es, solange sie minderjährig sind, keine Möglichkeit, aus diesem „Interfamilial Privacy Divide“ auszubrechen. Die Entscheidungsmacht der Eltern schlägt oft das Kindeswohl. Die meisten Eltern fragen ihre Kinder nicht einmal, bevor sie Bilder ins Netz stellen. Dabei haben natürlich auch die ein Recht auf Privatsphäre und am eigenen Bild – festgeschrieben etwa in Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention. Wenn Eltern Bilder ungefragt oder gegen den Willen der Kinder ins Netz stellen, verletzen sie deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nur: Wer will schon gegen Mama und Papa klagen? Und bei den Kleinsten: Wie kann sich ein Phoenix Hilton schon wehren, wenn Mama ihn mal wieder in das supertighte Doktorkostüm steckt und vor die Kamera zerrt?Wer nicht riskieren will, dass das eigene Kind irgendwo in einem Pädo-Forum auf seine „Fuckability“ hin bewertet wird oder seine Stimme beim nächsten Enkeltrick auftaucht, sollte sich schon ernsthaft fragen, ob das die Likes wert sind.