Kokain hat seinen Preis

Drogen Rausch für Europäer, Zwangsprostitution für Peruanerinnen: Was der Koka-Anbau in den Anden bedeutet
Ausgabe 48/2015

In einem kargen Hinterhof tanzt Maria im Kreis ihrer Freundinnen. Aus den Boxen dröhnt ein angesagtes Lied. Als eine Gruppe Jungs kurz um die Ecke blickt, kichert Maria genauso verlegen wie die anderen Mädchen. Es scheint, als sei die Anfang 20-Jährige nie fort gewesen aus ihrem Heimatort nahe der peruanischen Stadt Cusco. Später jedoch wird sie erzählen, dass sie nachts nicht gut schläft und sich ständig waschen möchte. Maria hat Schlimmes erlebt an einem Ort, den sie nur „dort“ nennt. Was genau passiert ist, hat sie einmal einer Hilfsorganisation geschildert. Seitdem spricht sie nur noch selten darüber.

Statt ihrer erzählt Marias Mutter: „Da kam dieser junge Mann. Er hat Maria schöne Augen gemacht und sie ist ihm total verfallen.“ Irgendwann habe Maria der Mutter gesagt, dass sie mit ihrem neuen Freund weggehen werde. Etwa zwei Jahre ist das her. Der Mann mit dem Namen Manuel lockte Maria mit dem Versprechen eines besseren Lebens aus ihrem Heimatdorf fort. Misstrauisch war das Mädchen nicht, dafür abenteuerlustig und sehr verknallt. Manuel nahm Maria und ihren Koffer in seinem Auto mit. Zuerst verbrachten sie ein paar Tage bei seinen Freunden, dann fuhr Manuel weiter. Maria musste bleiben. Und dann brachten die Männer die junge Frau mit einem Geländewagen zu den kleinen Dörfern nahe den riesigen Plantagen. „Willst du Geld verdienen?“, soll einer der Männer gefragt haben. Als hätte sie eine Wahl gehabt.

Plötzlich war Maria mittendrin im Kokaingeschäft und in der sexuellen Ausbeutungshölle. Auch viele andere Mädchen seien dort gewesen, so schilderte Maria es später der Hilfsorganisation. „Die haben den Mädchen kein Geld gegeben, sondern Kokain“, sagt Marias Mutter. Die peruanischen Fahnder entdeckten bei einem ihrer seltenen Erfolge gegen den Drogenanbau in den Andentälern auch jene Plantagen, zu denen Maria verschleppt worden war. Die Polizei schickte alle Mädchen zurück zu ihren Familien. Knapp ein halbes Jahr nach ihrem Verschwinden war Maria wieder zu Hause. Von Manuel fehlt jede Spur.

„Der Kokainanbau zieht viele unschuldige Menschen in den Abgrund “, sagt Andrea Lipcovich betroffen. Zusammen mit ihrem Mann hat sie Capital Humano y Social (CHS) gegründet. Die NGO mit Sitz in der Hauptstadt Lima dokumentiert Fälle von Menschenhandel und initiiert Aufklärungskampagnen an Schulen und in Kirchen, um Mädchen und Jungen besser zu schützen. Andrea Lipcovich weiß von Mädchen aus den Andenregionen, die absichtlich von ihren Familien an die Drogenbosse verkauft werden. Sie weiß, dass junge Männer auf Perus Kokainplantagen für einen Hungerlohn arbeiten oder die Drogen als Kuriere an Landesgrenzen schaffen. Mitnichten sei Menschenhandel nur im Kokaingeschäft zu finden, erklärt Lipcovich. „Zwangsarbeit und Prostitution existieren auch überall dort, wo Rohstoffe illegal abgebaut werden.“ Mehr als 20 Fälle hat CHS schon aufgezeichnet und die Akten Menschenrechtsanwälten in Lima vorgelegt. In allen Fällen haben die Behörden zwar ermittelt. Doch viel zu oft verläuft das Ergebnis im Sande. So wie im Fall von Maria.

70.000 Fußballfelder

Peru ist, neben Kolumbien, der weltweit größte Produzent von Kokablättern. Fast der komplette Anteil der Ernte wird zur Herstellung der Droge verwendet. Schätzungen zufolge sind das jährlich etwa 350 Kilogramm Kokain auf einer Gesamtfläche von knapp 70.000 Fußballfeldern. „Aber wie viel es nun genau ist, weiß letztendlich niemand“, sagt Flavio Mirella, Leiter des UN-Büros für Drogen und Verbrechen in Lima. Die Plantagen befinden sich in sehr abgelegenen Gebieten, meist von hohen Bergen und dichten Wäldern umgeben. Die Staatsgewalt ist an diesen Orten so gut wie nicht existent. Immer wieder berichtet die Drogenfahndung zwar von Beschlagnahmungen des Stoffs. Doch wo eine Plantage hochgeht, wird an anderer Stelle gleich die nächste hochgezogen. Den Menschenhandel hält das nicht auf. „Die Mädchen kommen dann nur in Gegenden, die noch abgeschotteter sind“, sagt Andrea Lipcovich.

Die „Mama Coca“, wie die Kokainpflanze von der indigenen Bevölkerung in der Andenregion genannt wird, ist seit jeher ein wichtiger Teil der peruanischen Kultur. Traditionell werden die Blätter gekaut, sie enthalten Vitamine und Mineralstoffe. Zudem mindern sie das Hunger- und Kältegefühl. Der Terror beginnt dann, wenn aus Blättern Pulver wird. In zum Teil hochprofessionellen Dschungel-Labors bearbeiten meist Männer die getrockneten Kokapflanzen mit einem Gemisch aus Kerosin, Aceton, Schwefelsäure und anderen Stoffen. Durch weitere Verfahren wird aus der Kokapaste später das bekannte weiße Pulver. Versteckt in Schiffscontainern, im Bauch von Drogenkurieren in Flugzeugen oder als Minidosen in Postsendungen erreicht die Droge ihre Hauptabsatzmärkte Nordamerika und Europa. Kokain gilt als Medien- und Edeldroge: Sie macht wach, tanzwütig, kreativ und glücklich. Und sie ist ein Teufelszeug.

Die Folgen reichen von depressiven Stimmungen über durchgeätzte Nasenwände bis hin zu Organversagen. In US-amerikanischen Experimenten der 1980er konnten Forscher beobachten, wie Labormäuse selbst kleine Mengen Kokain in allen Fällen Wasser, Nahrung, Schlaf und Sex vorzogen – und damit auch den eigenen Tod in Kauf genommen hätten.

In Deutschland gelten etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung als wirklich kokainsüchtig. Etabliert hat sich das Pulver eher als Gelegenheitsdroge bei jenen 25- bis 40-Jährigen, die sie auf den Toiletten angesagter Großstadtclubs schniefen. „Koks-Taxis“, die die Ware zur Party, ins Büro oder nach Hause bringen, würden florieren, ist von der Berliner Polizei zu hören. 50 bis 100 Euro legen die Deutschen durchschnittlich pro Gramm auf den Tisch. Die Milliarden fließen letztendlich zu brutalen Drogenbossen in Peru, Kolumbien oder Bolivien. Es sind jene Länder, die den globalen Bedarf von 170 Millionen Kokainsüchtigen weltweit decken. „Aber wenn die Technologie sich entwickelt, ist nicht auszuschließen, dass Kokain bald auch ganz woanders angebaut wird“, sagt der UN-Drogenbeauftragte Mirella.

Koka wächst prächtig an den Hängen der Andentäler, die humane Temperaturen und nicht zu feuchte Böden bieten. Mit Hilfe von neuen Anbaumethoden kann die Pflanze nun aber auch in der peruanischen Amazonas-Region gedeihen. Wer verstehen möchte, warum sich friedliche Dörfer auf brutale Drogenbosse einlassen, muss die Situation vor Ort kennen. Viele Dörfer in den Anden wie im Regenwald sind arm. Die Männer haben keine Arbeit, Jugendliche keine Perspektive. „Das bietet einen idealen Nährboden für illegale Geschäfte mit Drogen und Rohstoffen“, sagt Menschenhandel-Expertin Lipcovich.

Korruption und Wachstum

Besonders schutzlos seien die Indigenen, da sie überdurchschnittlich oft von Armut betroffen seien. Als die Drogenbosse mit ihren Vorschlägen auch in die Regenwalddörfer zogen, hätten das viele Bauern begrüßt. In den Dörfern florierten jetzt die Prostitution und der Schwarzmarkt für Alkohol. Geraten Drogenbanden aneinander, landen exekutierte Gegner in den Flüssen. Bestechliche Polizisten vor Ort decken solche Vorfälle genauso wie Prostitution und illegale Bars. Auch Korruption im Militär kommt immer wieder vor. „Mit Kokain wird so viel Geld gemacht, da wollen alle mitmischen“, sagt Drogenexperte Mirella.

Und tatsächlich erlebt die Wirtschaft dort, wo Plantagen und Camps stehen, einen Aufschwung. Gewalt und Ausbeutung sind der Preis. Die immensen Summen aus dem Kokaingeschäft werden zudem überall dort gewaschen, wo sich Möglichkeiten bieten. Von diesem milliardenschweren Kuchen bekommt die peruanische Bevölkerung jedoch kein Stück ab. Kampflos fügt sich Perus Regierung nicht. Neue Scanner bei Straßenkontrollen und an Häfen sollen die chemischen Bestandteile von Kokain erkennen, eine extra geschulte und überdurchschnittlich bezahlte Polizeieinheit soll die Zucht bekämpfen und illegale Startbahnen in abgelegenen Regionen zerstören. Solange Kokain allerdings Milliarden bringt, schützen viele das Geschäft – trotz all der Gewalt.

Die Solidarität wird in Legenden rund um die Drogenbosse oder in Liedern zum Ausdruck gebracht. So singt die peruanische Band Sociedad Privada etwa: „Pflanzt weiter Koka an, damit es Geld gibt. Sonst gibt es kein Geld, Brüder.“ Beginnt das Geschäft bald auch im brasilianischen Regenwald, könnte Peru seine Vormachtstellung im globalen Kokaingeschäft verlieren. Den Menschenhandel aber wird das nicht eindämmen. Peru ist reich an Koka, Gold und Kupfer. Für die Menschen des Landes aber sind diese Rohstoffe ein wahrer Fluch.

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