Eine wahre Tragödie

KINDERBÜCHER Theodore Taylors Roman über die Atomtests auf Bikini

Bikini ist ein schönes Wort. Nicht schlecht gewählt für den spärlichen Damenbadeanzug, der in den fünfziger Jahren Furore machte. Das Makabre ist nur: Zu jener Zeit war die kleine Südseeinsel, deren Namen man entliehen hatte, war das gesamte Bikini-Atoll unbewohnbar geworden, ein leer gefegter Ort des Grauens, eine atomar verstrahlte Endlagerstätte von Schiffswracks und anderem Schrott. Noch immer kann hier niemand leben. Ob mit oder ohne Bikini.

Der amerikanische Autor Theodore Taylor hat den Menschen, die auf dem Archipel im westlichen Pazifik einst zu Hause waren, ein Jugendbuch, gewidmet. Es verknüpft die realen Ereignisse, wie sie wirklich geschehen sind - und die Taylor damals als Marineoffizier miterlebte -, mit einer erzählten Fabel, einer Geschichte, wie sie vielleicht passiert sein können. Zugleich lernt der Leser die lebensspendende Bedeutung von Kokos- und Pandanus palme kennen, erlebt eine packende Haifischjagd oder vernimmt alte magische Legenden, die sich um die Insel ranken. Zwischen die Erzählkapitel hat Taylor, scharf kontrastierend, jeweils kurze Einschübe über die Entwicklung und Erprobung der US-amerikanischen Atombombe gesetzt. Das Damoklessschwert, unter das die Insulaner geraten, ist so von Anfang an sichtbar, die Bedrohung stets präsent.

Der Roman spielt 1946, es herrscht bereits seit einigen Jahren Krieg im Pazifik. Bislang sind die Bewohner von Bikini glimpflich davongekommen. Japanische Soldaten halten das Atoll besetzt. Sie haben eine Funkstation errichtet, und man darf ihnen nicht zu nahe kommen. Sie führen sich auf wie Herrenmenschen. Gefährlich sind auch ihre Minen. Ein Junge hat bereits sein Leben verloren.

Dann tauchen die Amerikaner auf. Zerstören den japanischen Vorposten. Hissen das Sternenbanner, zeigen sich freundlich und freigebig. Die Amerikaner sind anders. "Lobet den Herrn!" singen die Bewohner in ihrer kleinen Holzkirche. Einer der Offiziere bekommt eine Muschelkette umgehängt als Zeichen der Dankbarkeit.

Doch die Freude währt nicht lang. Beunruhigende Nachrichten aus "ailinkan", aus der fernen Außenwelt, erreichen das Inseldorf. Die Amerikaner haben an Hiroshima und Nagasaki ein mörderisches Exempel statuiert, mit jeweils einer einzigen Bombe. "Little Boy" hieß die Hiroshima-Bombe. All abendlich versammeln sich die Großfamilien am Lagunenstrand: Abram Makaoliej, der einzige unter ihnen, der richtig Englisch versteht und der "ailinkan" mit eigenen Augen kennen gelernt hat, berichtet die Neuigkeiten aus dem US-Soldatensender.

Abram ist der Onkel des 15jährigen Sorry Rinamu, des Helden dieser Geschichte. Sorry hat keinen Vater mehr und muss schon früh Verantwortung für seine Familie und die Dorfgemeinschaft tragen. Sorry bewundert seinen Onkel, der so viel von der Welt weiß, kritisch urteilt, mutig und charakterstark ist. Und als er schon bald einer tödlichen Krankheit erliegt, tritt Sorry sein Vermächtnis an: Er wird versuchen, die Bombe zu stoppen.

Inzwischen steht nämlich fest: Die USA haben das Bikini-Atoll als Testgebiet ausersehen. Sie stellen den Bewohnern großzügige Hilfe bei der Umsiedlung auf eine andere Insel in Aussicht - und die Möglichkeit einer baldigen Rückkehr. Im übrigen diene alles der Sicherung der Menschenrechte und des Weltfriedens. Der alte Inselhäuptling und die große Mehrheit der Bewohner lassen sich einlullen - gegen den einsamen Widerstand von Sorry, seinem Großvater und der Lehrerin Tara.

Diese drei werden es auch sein, die in den letzten Tagen vor dem 1. Juli 1946, dem von langer Hand geplanten Termin der Explosion, mit verzweifeltem Todesmut in die gesperrte Zone, direkt in die gespenstisch präparierte Lagune zurück segeln, um vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Todesmaschinerie im letzten Moment zu stoppen. Sie haben nicht den Hauch einer Chance, und als sie dies begreifen, ist es längst zu spät.

Das Ende kommt blitzschnell und gnadenlos. Eine Geschichte über die Atombombe kann kein Happy End haben. Es sei denn, sie erzählte von deren endlicher Abschaffung. Doch dazu gibt die heutige Welt noch immer keinen Anlass. Auch nicht jene Großmacht, die damals Bikini schändete.

Theodore Taylor: Der Tag der Bombe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Merk Sauerländer, Aarau, Frankfurt/M. Salzburg, 224 Seiten, 29,80 DM

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