Zwischen Allah und Disco

JUGENDBÜCHER Azouz Begag erzählt die Geschichte eines algerischen Jungen in Frankreic

Das Absingen eines Weihnachtsliedes kann schmerzhafte Folgen haben. Béni schmettert daheim "Oh Tannenbaum" und kassiert prompt eine Tracht Prügel, verabreicht von seinem wütenden Vater. Wie das? Nun, Béni ist in Lyon geboren, doch seine Eltern stammen aus Algerien. Er möchte am liebsten sein wie die anderen Franzosen, die Eltern hingegen versuchen die arabischen Sitten und Gebräuche hochzuhalten. Dem Kind haben es Weihnachtsmann und Lichterglanz angetan, der Vater fürchtet um die höchsten Werte: "Solange ich lebe, das schwöre ich bei Allah, werden wir niemals katholisch werden!"

Béni heißt eigentlich Ben Abdallah, was so viel wie "Sohn von Gottes Diener" bedeutet, aber der Name ist ihm peinlich, er stempelt ihn, der ohnehin schon eine dunklere Hautfarbe hat, erst recht zum Ausländer. Manche Lehrer in seiner Schule bringen diesen Namen auch noch notorisch falsch über die Lippen, sagen Benbella oder Ben Alla, und jedesmal muss er dann die Sache unter dem allgemeinen Gefeixe der Klasse richtigstellen. Kein Wunder, dass Béni sich denkt: "Allah möge mir verzeihen, aber sobald ich die Mittel dazu habe und mich selbstsicherer fühle, werde ich meinen Namen ändern. Zum Beispiel in André."

Aber dazu wird es in diesem Jugendroman nicht kommen. Ebenso wenig, wie Azouz Begag, sein Autor, der wie Béni als Kind algerischer Immigranten in Lyon zur Welt kam, je seinen Namen geändert hat. Fast überall trägt autobiografische Züge, wie schon Begags zuvor erschienener, vielgerühmter (und verfilmter) Band Azouz, der Junge vom Stadtrand, worin der Protagonist noch etwas kleiner und die Wohnsituation der Familie noch erbärmlicher ist.

Begag hat eine bemerkenswerte Gabe, seinen Stoff literarisch zu verdichten und ihm zugleich eine schöne Leichtigkeit zu geben. Da ist nichts Langweiliges und nichts Überflüssiges. Eine prägnante Episode geht in die nächste über. Alles wird stimmig und liebevoll aus der Perspektive und Gefühlswelt des heranwachsenden Béni erzählt. Womit auch gleich eine Menge Witz und Komik ins Spiel kommt. Etwa wenn zwischen den Geschwistern zu Hause die Fetzen fliegen; wenn Béni sich in die Klassenkameradin France verliebt und melodramatischen Fantasien nachhängt; oder auch, wenn er, zum ersten Mal in einem Hotel, mit den Tücken eines Bidets konfrontiert wird.

Fast überall - der französische Originaltitel lautet Béni ou le Paradis Privé (Béni oder das Privatparadies) - ist ein Buch über das Spannungsverhältnis der Kulturen und die Mühen eines "Gastarbeiter"-Kindes, im eigenen Land anzukommen. Es ist auch ein Buch über den Rassismus, der nicht erst beginnt, wo zur offenen Gewalt gehetzt und geschritten wird. Béni bekommt die Diskriminierung auf unspektakuläre und dennoch peinigende Art zu spüren: bei verbalen Ausrutschern von Lehrern und giftigen Blicken von Hausnachbarn, bei voreingenommenen Ordnungshütern und - trauriger Höhepunkt der Geschichte - bei Disco-Türstehern, die ihm eines Abends kalt lächelnd und unter fadenscheinigen Vorwänden den Zutritt ins "Paradies der Nacht" versperren.

Dabei sollte es doch Bénis allererster Discobesuch werden. Er hatte sich besonders gründlich gewaschen und von seiner Schwester eigens noch die Haare glatt bügeln(!) lassen. France, das bezaubernde blonde Mädchen aus seiner Klasse, wollte tatsächlich auch kommen. Mit der kleinen Kette, die er ihr zuvor, ein wenig gegen ihren Willen, anvertraut hatte. "Heute abend", hatte er ich ausgemalt, "würde ich sie ihr bei einem Blues ganz behutsam wieder abnehmen und dabei meine glühende Liebe auf die Lippen meiner von Gott Verheißenen hauchen."

Es hat nicht sollen sein. Er muss draußen bleiben. France bedeutet übrigens auch Frankreich.

Azouz Begag: Fast überall. Die Geschichte eines algerischen Jungen in Frankreich, aus dem Französischen von Regina Keil, Verlag Nagel Kimche, Zürich 2000,187 S.,26.- DM

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