Gegurgeltes Parfum

Medientagebuch Die aktuelle Fernsehwerbung zwischen Witz, Wichtigtuerei und Pseudo-Wissenschaft

Unser Fernsehen besteht aus Werbeblöcken, um die herum Spielfilme, Nachrichten, Shows und Reportagen drapiert werden. Das weiß ich seit 1978, als ich in der Nähe von San Diego / USA in einem Motel saß und der Fernseher gerade eine Chaos-Landschaft präsentierte - rauchende Trümmer, gestresste Rettungsmannschaften, aufgeregte Reporter. Ein paar Meilen weiter war eine Passagiermaschine in der Luft mit einem Kleinflugzeug zusammengestoßen. Schnitt: Unvermittelt hielt ein feixendes Kerlchen eine panierte Hähnchenkeule in die Kamera und jubelte: "Kentucky Fried Chicken!" Der Werbespot für die Fastfood-Kette war brillant platziert, von gegrillten Menschen ging es nahtlos über zu gegrillten Hühnern.

Inzwischen sind die über 24 Stunden verteilten Spots längst zum Essential des TV-Programms auch bei uns geworden, und so erfuhr man beispielsweise, dass das Radeberger Pils in der Semper-Oper gebraut wird.

Die Lage der Nation erspürt man in den Werbespots ungebrochen, man kann sie sich nach Belieben zurechtzappen. Etwa beim Thema Schönheit. Einst hatten PR-Psychologen herausbekommen, dass das ansonsten als ziemlich blöd eingestufte Fernsehpublikum Produkte gut findet, die mit einem Hauch von Wissenschaftlichkeit angepriesen werden. Man muss dazu nur ihre Ingredienzen mit exotischen Namen belegen. Beispiel: Die legendären Jod S11-Körnchen. Heute zieht man mehr vom Leder: Da wird Nivea Visage DNAge angepriesen, ein Schmierstoff für die "Zell-Erneuerung mit zellaktiver Folsäure". Alsbald erfährt man inmitten einer Wissenschaftlichkeit assoziierenden Raumausstattung, dass Eucerin das körpereigene Hyaluron reaktiviert. Ehrlich? Wir sehen, wie im weißen Ambiente eine Dame - auch in Weiß (und blond) - gegen eine Wand tupft, auf der sofort wichtige Info-Grafiken auftauchen, welche die Dame gleich noch wichtiger erscheinen lassen. Das alles für "sichtbar weniger Faltentiefe". Die Tiefe ist also weniger zu sehen. Die Falten bleiben.

Gleichfalls zum Einbalsamieren ist eine Emulsion hilfreich, die bescheiden "Olaz complete" heißt und "everynight sunshine" verspricht, was uns aber irgendwann dazu bringen wird, eine Schlafmaske aufzusetzen. Wegen des gleißenden Lichtes zur Nachtzeit.

Die Firma L´Oréal, weltweit größter Kosmetik-Konzern, hat ein "intensiv rückstraffendes Lifting-Gel mit Pro-Tensium und Antifaltenpflege" im Angebot, "mit Pro-Retinol A - - - " wie hieß das grade? Man erfährt noch, dass da "zwei komplementäre Technologien" zum Einsatz kämen. Das freut uns sehr, denn wir sind an der Spitze wissenschaftlicher Forschung angelangt.

Was die Körperpflege angeht, konkurrieren in der TV-Werbung zwei Strategien. Einerseits die nüchtern-analytische Auflistung der Creme-Rezepturen. Andererseits die Gefühlsnummer. Die geht so: Stellen Sie sich vor, Sie wollten die Welt retten, das hat nicht geklappt, und Sie haben das Schwert Ihres übermächtigen Gegners in der Brust. Mit röchelnd-ersterbender Stimme sagen Sie nur noch: "Es ist aus!" In diesem Tonfall und mit dem Akzent einer kaum identifizierbaren Sprache lassen Firmen, die Riechwässerchen herstellen, in ihren TV-Spots eine Off-Stimme den Namen des Produkts gurgeln: "Armani" oder "Bvlgari" oder so. Das soll, so hofft man, irgendwie sexy klingen. Es klingt aber nicht irgendwie sexy sondern nur noch albern. Weil dieser akustische Gag, den ein Werbegenie erfunden hatte, von seinen plattköpfigen Epigonen gnadenlos und immer wieder nachgeahmt wurde. Denn PR-Leute verfahren gern nach dem Prinzip: Besser gut geklaut als schlecht selbst erfunden. Andernorts erfährt man: Bepanthen ist eine Wund- und Heilsalbe für eine heile Welt. Prima! Jetzt haben wir endlich die Weltformel.

Nachdem ich einige weitere Szenen meiner Lieblingsserie sehen durfte, wird ein Kurzfilm eingeblendet: Le Rouge. Eine Dame in Blond mit ohne was an räkelt sich im Bettzeug nach einem physiotherapeutischen Bewegungsmuster, das der Normbürger vermutlich unter "Erotik" einordnen soll. Das Blondchen (blauäugig auch, logo!) hat irgendwas in der Hand, was sich dann als Lippenstift erweist, den sie ausfahren kann. Dieses überdeutliche Symbol leitet hin zu ihrem Partner, von dem man nur das bekleidete Beinpaar sieht und den sie fragt: "Sag mir - ich muss es wissen: Liebst du meine Lippen?" Diese Aufforderung zu einer ontologischen Grundsatzdiskussion bleibt unerwidert. Sie kleistert sich daraufhin trotzig die Lippen zu, und mit dem uns inzwischen vertrauten Understatement sagt eine Off-Stimme "Rouge allure - Chanel", worauf der Lippenstift-Penis wieder in die Hülle zurückfährt. Wie praktisch: Da die Blonde nackert ist, muss der Buntstift ihrer Garderobe nicht farblich angepasst werden.

Apropos: Haarfarbe heißt jetzt vornehm "Coloration", und Schwarzkopf rödelt längst international herum mit "Professional Hair Care for you". (Weeßte noch, Schwarzkopp, wie de damals in Berlin-Tempelhof dein klassischet Schauma produziert hast? Und zwar uff Deutsch?)

Bei allen Wichtigtuereien und professionell aufbereiteten Blödheiten gibt es in der derzeitigen TV-Werbung doch ein paar Höhepunkte: Die "pro Age"-Werbung von Dove etwa, die mit ihren 50plus-Damen endlich die Erotikspielwiese erweitert. Oder die goldig-freche Göre Kati von Müllers Froop ("Bitte Ruhe am Set!"), gegen deren Urkraft man einfach machtlos ist. Und nachdem Saturn trotzig verkündet, dass Geiz noch immer geil sei, sah ich neulich, tief in der Nacht, bei der Wiederholung von Close to home, die witzige Replik in einem Porno-Spot: "Geil aber geizig?" Die so angepriesene Hotline offerierte ein Schmuddeltelefonat von 15 Minuten Länge für nur einen Euro. Aber - was redet man denn da so lange?


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