Der 70. Geburtstag von Andrej Tarkowski, des herausragenden, vor 15 Jahren im Exil verstorbenen Regisseurs, wird im neuen Russland sehr breit begangen - im Zentrum Moskaus wird sogar ein Denkmal für ihn eröffnet. Das Haus, in dem er zuletzt gewohnt hat, ist bereits mit einer Gedenktafel versehen und jenes in Jurjevez an der Wolga ganz in der Nähe seines Geburtsortes, in dem er als Kind während des Krieges zusammen mit Mutter, Großmutter und Schwester in der Evakuierung lebte, ist inzwischen in ein Museum zu seinem Angedenken umgewandelt worden. Sein Heimatland versucht Wiedergutmachung für den einst Vertriebenen zu leisten. Und dabei hatte es den Anschein, als hätte ihm schon ganz am Anfang seiner Karriere eine Sternstunde geschlagen. Tarkowskis Debü
ebütfilm Iwans Kindheit, der eher zufällig auf das Festival nach Venedig geraten war, wurde dort auf Anhieb mit dem goldenen Löwen ausgezeichnet und von so großen Autoren wie Jean-Paul Sartre und Alberto Moravia bemerkt. Aber die internationale Anerkennung konnte die Arbeitsbedingungen von Tarkowski in Sowjet-Russland nicht erleichtern; bereits sein zweiter Film, Andrej Rubljow ereilte ein trauriges Schicksal und kündigte damit eine ganze Kette von Nöten, Verlusten und Enttäuschungen an. Im Ausland mit Begeisterung aufgenommen, verfolgte man den Film in der Sowjetunion mit sinnlosen Verboten. Rubljow wurde außer Konkurrenz auf dem Festival in Cannes gezeigt - ein französischer Verleiher war mit viel Mühe an den Film herangekommen - und erhielt dort den Preis der Internationalen Filmkritikervereinigung (FIPRESCI). Doch im eigenen Land half ihm das genau so wenig wie der Artikel in der kommunistischen Humanité, in dem Andrej Rubljow als ein "Film der Filme" bezeichnet wurde, so wie die Bibel das Buch der Bücher sei. Tarkowskis zweites Werk wurde für die sowjetischen Kinos auf fünf Jahre hinaus verboten - wegen seines "grausamen Naturalismus, der elitären Sprache, der volksfeindlichen Verzerrung der Geschichte etc."! Tarkowski drehte weiter Filme und auf verschiedene Weise und in verschiedenem Maße hatten alle ein schweres Schicksal, ob das Solaris, Der Spiegel oder Stalker waren, die er noch in Russland drehte oder dann Nostalghia und Das Opfer, die in Italien beziehungsweise Schweden gemacht wurden. Wie Solaris erhielten die beiden letztgenannten in Cannes sowohl den Spezialpreis der Jury, als auch den der FIPRESCI und der ökumenischen Jury. Jede seiner Arbeiten verlangte dem Regisseur einen erschöpfenden Kampf um die Realisation ab. Jedes Mal rieb er sich aufs Neue auf, um einen Ausweg zu finden, der den Behörden mehr oder weniger genehm war. So glaube ich zum Beispiel, dass er sich weniger für die Science-Fiction-Sujets als solche interessierte, als dass er sie vielmehr als Schirm benutzte, unter dem er seine eigenen Ideen und sein eigenes Weltverständnis freier zum Ausdruck bringen konnte. Warum sonst hätte er in dem Maße mit dem Ausgangsmaterial der Autoren gekämpft? Das lodernde Feuer seiner Ideen versteckte er im Gefäß des vermeintlichen Science-Fiction-Genres. Um so bitterer ist es zu erfahren, wie viele seiner bevorzugten Projekte unrealisiert blieben, weil sie keine Genehmigung erhielten: Ein Film über Dostojewski, die Verfilmung seiner Romane Der Idiot und Die Dämonen oder auch Shakespeares Hamlet, den er glücklicherweise zumindest auf einer Moskauer Theaterbühne realisieren konnte. Im Londoner Covent Garden konnte er noch Mussorgskis Oper Boris Godunov inszenieren, von Clauido Abbado dirigiert. Damit ist allerdings seine Werkbiografie leider schon abgeschlossen. Alle Kenner und Liebhaber des Kinos sind sich heute darüber einig, dass Tarkowski ein ähnlicher Platz im Pantheon der Weltbedeutung zukommt wie Fellini, Bergmann, Bresson oder jenem anderen russischen Pechvogel, Sergej Eisenstein. Die Geschichte gleicht die Großen in ihrer Bedeutung einander an und die Kunstwissenschaftler bestimmen Formen und Grenzen ihrer Ästhetik in der jeweiligen individueller Verschiedenheit und ihrem Verhältnis zu ihrer Zeit und Umwelt. Viele Bücher über Tarkowskis Stil, seine Filmsprache und seine philosophischen Vorstellungen werden nun geschrieben. Sein Buch Die versiegelte Zeit, an dem über ein Jahrzehnt mit Tarkowski zusammen zu arbeiten ich das Glück hatte, enthält seine Auffassung über die ästhetischen Besonderheiten der Filmsprache, in der Zeit als visueller, ethisch bedeutsamer Faktor fixiert wird. Weshalb dem Künstler eine besondere moralische Verantwortung zukommt. Im Kontext dieser Verantwortung gestaltete Tarkowski sein Kino als Heilmittel für Menschen, die es nach Spiritualität verlangt, die sich verirrt haben auf den Wegen des sogenannten Fortschritts und der Zivilisation - für ihn keine absoluten Werte. Für die empirische oder Alltags-Realität interessierte er sich überhaupt nicht, sondern nur für den Menschen in existentieller Situation, der die Grundfragen des Seins zu lösen hat angesichts des ewigen und fragilen Weltgefüges, das ihn geheimnisvoll umgibt. Tarkowskis Leinwandbilder handeln nicht nur von der sinnlichen Pracht der Welt, die für sich unabhängig nach den Gesetzen des Schöpfers existiert, sondern auch von den Spuren des geschäftigen und verheerenden Treibens der menschlichen Ameise auf ihr. Tarkowski war ein wahrer Demiurg dieser Welt, der er die ursprüngliche Bedeutsamkeit wiedergab. Aber so manches Mal wurde er auch zum Opfer seiner eigenen Ideen und Ambitionen, die auf der Leinwand dann ausgedacht und belehrend wirkten. Darin lag zugleich seine Kraft und seine Schwäche, das heißt der Kern jener inneren Widersprüchlichkeit, die sein ganzes Werk bestimmt - die einen anzieht und die anderen abstößt. Besonders deutlich wird das in Opfer, wo das Privatleben von ihm bereits ausschließlich in den Parametern der persönlichen Verantwortung vor der kommenden Apokalypse betrachtet wird. Manchen erscheint das gerade heute besonders aktuell. Andere werfen ihm Übertreibung vor. Aber, als Meister seines schöpferischen und menschlichen Schicksals war Tarkowski auch das Produkt jenes Soziums, in das er hineingeboren worden war. Seine "Freiheit" der Wahl - wie auch alle anderen Freiheiten - wurde durch eine Reihe von Umständen bestimmt, die die Möglichkeiten in der Realität auf fatale Weise einschränkten. Erzogen in der russischen kulturellen Tradition und den sowjetischen sechziger Jahren wollte er an die verhasste Langeweile der Realität nicht glauben. Andrej Tarkowski war der Sohn eines der größten russischen Poeten, Arseni Tarkowski, - seine Lebensdaten: 1932-86 - verbinden ihn mit den wesentlichen Geschichtsstationen des sowjetischen Russland: Vor- und Nachkriegszeit, die Stalin-, Chrustschow- und Breshnew-Ära und schließlich seine Emigration in den Westen, - ein Akt, der heroische Anstrengungen erfordert, wenn man sich die menschliche Würde erhalten will. Diese seine Würde realisierte Tarkowskij mit den poetischen Mitteln des Autorenkinos; sich auf dem westlichen Kinomarkt einzufügen, fiel ihm im übrigen mindestens so schwer wie zuvor die Anpassung an die sowjetische Ideologie. Er war besessen von seinen Ideen, mit den Anforderungen des alltäglichen Lebens kam er nur schwer zurecht. Er benötigte genau den Schutz, den die sowjetische Gesellschaft ihren offiziell anerkannten Künstlern gab, zu denen er allerdings nie gehörte. Im Westen erhielt er jene Freiheit, die sich schnell in die Notwendigkeit zu kämpfen verwandelte - jeder gegen jeden für das Recht in der Kinoproduktion zu existieren, in der nur die harten kommerziellen Interessen zählen. Das eine wie das andere laugte ihn gleichermaßen aus. Mit seiner Kunst wollte Tarkowski sein Scherflein zur Rettung der Welt beitragen, die er am Rande einer Katastrophe sah. Die Kunst existierte für ihn aus dem einen Grund, weil es schlecht um die Welt stand ... Die Geschichte der Menscheit gleiche zu sehr einem schrecklichen Experiment, durchgeführt von einem grausamen und zum Mitleid unfähigen Geschöpf. Weiter heißt es in seinem Tagebuch: "Nur noch ein Genius kann jetzt die Welt noch retten. Nein, kein Prophet, sondern ein Genius, das ein neues moralisches Ideal formulieren kann. Aber wo ist dieser Messias?" Die eigene künstlerische Aufgabe sah er zunehmend, ganz in der russischen Tradition, als eine messianistische an. Bei Tarkowski gibt es weder Ironie, in die sich die anderen flüchten können, noch jenen Zynismus, der weiterleben hilft. Tarkowski war eher zu ernst, er nahm die Bürde der Verantwortung für die ganze Menschheit auf sich und zerbrach allzu früh unter diesem Gewicht. Ein erstaunliches Zeugnis dieser Absichten legen seine einzigartigen Filme ab. Olga Surkova hat 20 Jahre mit Andrej Tarkowski zusammen gearbeitet und mit ihm gemeinsam das Buch Die versiegelte Zeit veröffentlicht. Sie hat in Moskau Filmwissenschaft studiert und lebt seit 20 Jahren in Amsterdam.
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