Souffleuse der Intelligenz

Medientagebuch Ein Comeback an Krücken: Die Schweizer "Weltwoche" erscheint neuerdings im Magazinformat

Der Marketingaufwand, mit dem der Zürcher Jean-Frey-Verlag das Wiederflottmachen seines Flaggschiffs orchestriert, ist beträchtlich. Da war zunächst die breit gestreute Plakataktion mit den Testimonials von zehn eidgenössischen Prominenten, die ihre Erwartungen an den zum nationalen Medienereignis aufgebauschten Relaunch der Weltwoche formulierten (jetzt überklebt mit Zusicherungen, welche Erwartungen wie erfüllt werden sollen). Und nun folgt bereits eine weitere Kampagne mit drei Sujets und dem Slogan Was für ein Comeback. Wobei man davon ausgehen darf, dass die fast siebzig Jahre als Zeitung erschienene Weltwoche eher ein so solides Comeback anstrebt, wie Nelson Mandela und John Travolta es erlebt haben. Der dritte in der Revival-Reihe, Cassius Clay alias Muhammad Ali, versank nämlich schon bald darauf in physischer und intellektueller Dämmerung; ein Zustand, deren erste Anzeichen böse Zungen auch bei der Weltwoche beobachtet haben wollen.
Solche Anfeindungen wehrt Chefredakteur Roger Köppel routiniert ab. "Keine geschrumpfte Weltwoche, kein Nachrichten- und schon gar kein Hochglanzmagazin, sondern etwas Eigenständiges", will der 37jährige Schweizer Shooting Star aus der papiernen Institution machen. Nach seinem Willen soll der gut 100 Seiten starke Titel "Unaufgeregtheit", "Klasse" und ein "Substanzgefühl" vermitteln und damit wieder (wenn nicht Kult- so doch wenigstens) "Prestigecharakter" erreichen.
Ästhetisch äußert sich dieser Anspruch beispielsweise in der Typografie - Titel- und Grundschrift sind beide sehr gediegen - und an den zurückhaltend gesetzten, matten Bildelementen. Trotzdem ähnelt das Heft nicht, wie angekündigt, eleganten angelsächsischen Vorbildern wie etwa New Republic, Atlantic Monthly oder New York Book Review, sondern wirkt vielmehr wie das Organ eines Umweltschutzverbandes oder einer Kirche: nämlich eher lustlos und spröde. Das hat zu tun mit dem biederen naturweißen Papier des Umschlags und dem leicht gestrichenen Papier im Innern.
Und mit dem Cover. Das versprach in den ersten beiden neuen Nummern allenfalls Substanz, aber sicher nicht Klasse. Was die Grafiker mit dem Titelkopf gemacht haben, ist bestenfalls gebastelt. Die markante Schrift des alten Logos hat die Serifen verloren, ist hart und schroff geworden, das "W" mit der heruntergedrückten Mitte ist ausgesprochen hässlich. Die Entwicklung von ehemals kräftiger Eleganz zur überbetonten Schlichtheit hat hier die Wirkung, dass man sich zur Pflichtlektüre aufgefordert fühlt, nicht zu einer Lesekür (was eigentlich die Absicht wäre). Überhaupt hinterlässt das von Wendelin Hess, dem derzeit profiliertesten Schweizer Zeitungsdesigner, für viel Fränkli entworfene Erscheinungsbild den Eindruck gepflegter Langeweile.
Daran ändern auch die aufgerissenen Glubscher des für die Relaunch-Nummer interviewten Ex-Botschafters Thomas Borer nichts. Angekündigt wird das vom Chefredakteur höchstselbst geführte und entsprechend zeilenintensive Exklusivgespräch mit Borer mit der Schlagzeile "Können diese Augen lügen?". Im Blattinnern lautet die Titelzeile zum gleichen Beitrag dann "Die Putzfrau hat geweint, als ich abberufen wurde". Um den (Boulevard-)Verleger Michael Ringier zu zitieren, der Anfang des Jahres beinahe Eigentümer des ehrwürdigen Intelligenzblatts geworden wäre: "Die Weltwoche braucht vor allem zusätzlichen intellektuellen Input." Wohl wahr. Denn die Borer-Geschichte führt weder die Diskussion um Sitten und Gebräuche im helvetischen Journalismus weiter, noch enthüllt sie Neues darüber, was von postmoderner Diplomatie erwartet werden darf.
Aber seien wir nicht ungerecht. Neben Langwiedrigem (Telefonprotokolle der Familie Milosevic), Banalem ("Warum ich nicht abgetrieben habe") und Mühsamem (fehlende Leserführung und ein wahrer Kolumnendschungel) gibt es auch Pointiertes (Köppels Kommentar zur Festung Europa), Wichtiges (Mafia-Recherche) und Berührendes (Tagebuch einer Erfurter Schülerin) zu vermelden. Auffällig ist, dass sich kaum eine Wirtschaftsgeschichte im neuen Blatt findet. Weicht da die kürzlich von einer Investorengruppe um den rechtsliberalen Financier Tito Tettamanti (siehe Freitag 15/2002) übernommene Zeitschrift möglichen Konflikten mit ihren neuen Eignern aus? Köppel pariert: Wirtschaftsthemen gehörten mehr zur redaktionellen Pflicht als zur (von der neuen Weltwoche angestrebten) journalistischen Kür und würden deshalb "flexibel" behandelt. Aha!
Inhaltlich hinterlässt die selbst ernannte Schweizer "Souffleuse des intelligenten Tischgesprächs" (Köppel) also zumindest einen zwiespältigen Eindruck. Konzeptionell jedoch muss man den Mut loben, aus einer siechenden Wochenzeitung eine wegweisende "Wochenzeitschrift" machen zu wollen. Mal schauen, wie weit die Hoffnung trägt, mit diesem radikalen Schnitt dem Schicksal der jüngst verblichenen Hamburger Woche oder der schon länger toten Wochenpost zu entgehen. Kein gutes Omen ist diesbezüglich, dass es nach der gut gebuchten Relaunch-Ausgabe (37 Anzeigenseiten auf insgesamt 116) schon der zweiten Nummer wieder an Inseraten mangelt - und das trotz einer Großauflage von 200.000 (statt der zuletzt 90.000 gedruckten) Exemplaren und glamourösen Eigeninseraten, die zwar alle Zweifel an einem durchschlagenden und dauerhaften Comeback der Weltwoche zerschlagen sollen, sie gerade deshalb jedoch eher beflügeln.

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