Seit dem Bundesparteitag Anfang Dezember verfügt die CDU über einen neuen Shooting-Star. Bei der Wahl zum neuen Bundesvorstand errang die spontan als Ersatzkandidatin für Hermann-Josef Arentz angetretene Ursula von der Leyen mit 94 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg. Mit ihren langen blonden Haaren und einer jugendlich-dynamischen Ausstrahlung wirkt die 46-jährige promovierte Medizinerin wie ein attraktives Kontrastprogramm in der meist von älteren Männern dominierten Union. Die Mitgestalterin des Gesundheitskonzeptes der Union wird bereits als zukünftige Bundes-Familienministerin in einem möglichen Kabinett Merkel gehandelt.
Der Sozialdemokrat Peter Glotz charakterisierte Ursula von der Leyen in der Bildzeitung kürzlich als das "Idealbild einer konservativen Leitfigur". Tatsächlich steht die "konservative Modernisiererin" für ein neues Verständnis der Frau innerhalb der Unionsparteien - und als berufstätige Mutter von sieben Kindern verkörpert sie dieses neue Denken in der eigenen Person. In einem Artikel für das Magazin Cicero bezeichnet sie die "traditionelle Rollenverteilung" mit ihrem "überholten Familienbild" als "Ausdruck einer völlig verfehlten Politik". Die "systematische Benachteiligung von berufstätigen Frauen in Deutschland" sei "ein Skandal", den es zu beenden gelte. Als positive Gegenbeispiele für eine familienfreundliche moderne Politik nennt sie Frankreich mit seiner großzügigen staatlichen Familienförderung, Schweden mit seinem differenzierten Betreuungssystem für Kinder berufstätiger Eltern und die Niederlande mit einem großen Angebot an Teilzeit-Jobs für junge Mütter. Allein Deutschland habe es versäumt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Dass Kinderreichtum in Deutschland heutzutage zu Armut führe, sei "ein Armutszeugnis für unser Land". Unsere Gesellschaft könne es sich weder leisten, auf die vielen hochqualifizierten Mütter in der Arbeitswelt zu verzichten, noch auf das "Humanvermögen", das mit der Kindererziehung ausgebildet werde. Neben flexibleren Arbeitszeitmodellen und besseren Betreuungsmöglichkeiten fordert sie deshalb auch, die Erziehung von Kindern bei der Beitragszahlung für Pflegeversicherung und Renten als gleichwertig anzuerkennen.
Was die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung betrifft, verweist Ursula von der Leyen gerne auf ihr eigenes Beispiel, wohl wissend, dass sie es dabei viel leichter hat als andere Frauen, die weniger familiäre und finanzielle Rückendeckung genießen. Auch das Fundament ihrer eigenen politischen Karriere wurde ihr bereits in die Wiege gelegt. Obwohl die Medizinerin ihr erstes politisches Mandat als Fraktionsvorsitzende des Stadtrates der kleinen Stadt Sehnde bei Hannover erst im Jahr 2001 übernahm, hat sie als Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht die Politik sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Von 1976 bis 1990 hat ihr Vater das Land zwischen Harz und Heide regiert. Seine Tochter Ursula bedachte er mit dem Kosenamen "Röschen". Schon als kleines Kind habe sie unter dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten gesessen und die Gespräche "der Großen" belauscht. Angeblich steht ihr Ernst Albrecht in politischen Fragen immer noch mit Rat und Tat zur Seite.
Erst nach dem Wahlsieg Gerhard Schröders in Niedersachsen im Jahr 1990 ist Ursula von der Leyen aus Protest, wie sie sagt, in die CDU eingetreten. Vorher studierte die junge Frau Volkswirtschaft in Göttingen und später dann Medizin an der "Medizinischen Hochschule Hannover". Von 1992 bis 1996 lebte sie mit ihrem Mann, dem Medizin-Professor Heiko von der Leyen, in den USA. Ein Aufenthalt, der ihre sozialpolitischen Vorstellungen entscheidend beeinflusste. So passt die Idee von der nachbarschaftlichen Hilfe, die sie dort erlebt habe, auch hervorragend in die sozialpolitischen Konzepte der Union. Und so holte der damalige Oppositionsführer Christian Wulff die junge Frau nach ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten als Expertin in den "Landesfachausschuss Sozialpolitik".
Seit Februar 2003 amtiert sie als Landesministerin für "Soziales, Familien, Frauen und Gesundheit". Vorher hatte die Newcomerin in einer Aufsehen erregenden Kampfkandidatur dem alteingesessenen Unions-Politiker Lutz von der Heide den Landtags-Wahlkreis Burgdorf/Lehrte vor den Toren Hannovers abgenommen. Schon dieses unerwartete Durchstarten bewies ihr großes politisches Potenzial. In der Zwischenzeit hat sie als Ministerin zusehends an Popularität gewonnen, obwohl ihr Ressort die größten Einschnitte hinnehmen musste. Ursula von der Leyen zeichnet in diesem Jahr verantwortlich für Kürzungen in Höhe von insgesamt 34 Millionen Euro. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Sigmar Gabriel warf ihr in der Haushaltsdebatte "soziale Kälte" vor, was von der Leyen mit dem gängigen Argument konterte, eine immer höhere Verschuldung gehe schließlich zu Lasten der kommenden Generationen.
Auch das politische Vorzeigeprojekt der Sozialministerin in Hannover hat mit dem Verhältnis der Generationen zu tun: In den von ihrem Ministerium geförderten "Mehrgenerationenhäusern" werden Kinder und alte Menschen tagsüber gemeinsam betreut. Jung und alt könnten in den offenen Einrichtungen gemeinsam essen, spielen und lernen, freut sich die Ministerin. Das "Mehrgenerationenhaus" bietet den Besuchern Familienkurse, Selbsthilfegruppen, Gesundheits- und Ernährungsberatung sowie einen Kindergarten. Insgesamt zwölf "Mehrgenerationenhäuser" unterstützt die Landesregierung mit jeweils 40.000 Euro im Jahr. Als zweites Renommier-Projekt fördert die Sozialministerin die Ausbildung allein erziehender junger Frauen ohne Berufsabschluss - vielleicht auch, um das Argument zu entkräften, nur wohl situierte Frauen könnten Kindererziehung und Berufstätigkeit problemlos unter einen Hut bringen.
Ihre schärfste politische Auseinandersetzung führte Ursula von der Leyen um die Abschaffung des bisher einkommens- und vermögensunabhängig gezahlten Blindengeldes. Denn Niedersachsen streicht unter ihrer Verantwortung als erstes Bundesland komplett das Blindengeld für alle über 27-Jährigen. Diese Maßnahme betrifft rund 11.000 von insgesamt 12.000 Sehbehinderten im Lande. In Anspielung auf ihren Umgang mit dem Blindenverband meinte der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Uwe Schwarz: "Sie geht nur auf Smiley-Termine und steckt hinterher die Hütte in Brand". Wenn ein Blinder seine Bedürftigkeit nachweisen könne, habe er auch weiterhin die Möglichkeit, finanzielle Hilfen nach dem Sozialgesetz zu beantragen, konterte die Ministerin. Und das ist das zweite zentrale Argument der CDU-Politikerin neben der "Generationengerechtigkeit": In Zeiten knapper Kassen könne eben nur noch derjenige Hilfe vom Staat erwarten, der auch wirklich bedürftig sei. Die Entscheidung zur Streichung des Blindengeldes sei ihr zwar schwer gefallen, aber sie müsse "der schwierigen Haushaltslage Rechnung tragen, auch wenn das unpopulär ist".
Als "konservative Modernisiererin" gehört Ursula von der Leyen inzwischen zu einer ganzen Riege von Frauen in der Union, die den Patriarchen in den C-Parteien Stück für Stück die Herrschaft streitig machen und dennoch von vielen Männern in der Union unterstützt und gefördert werden. Sollten sie von ihren eigenen Frauen und Töchtern gelernt haben? Oder ahnen sie, dass die Union solche Frauen braucht, um nicht ins gesellschaftspolitische Abseits zu geraten?
Ursula von der Leyen bemüht gern das Wort "Humanvermögen", um das anzudeuten, was zu einer neuen Synthese für die CDU werden könnte: Der Wert des Menschen müsse auch ökonomisch verwertbar sein, und um dieses "Humanvermögen" zu erzeugen, brauche es eben die moderne Frau. Und sie selbst, der Inbegriff dieser Art Modernität, wird schon als künftiges sozialpolitisches Sprachrohr der Union gehandelt - ein erster Schritt auf dem Weg in das Bundes-Familienministerium, wenn Schwarz-Gelb 2006 die Wahl gewinnen sollte.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.