Getürkt

Alltag I Die Faszinationsgeschichte einer Maschine

Als Schachweltmeister Garri Kasparow im Mai 1997 von Deep Blue geschlagen wurde, witterte er Betrug. Keine Maschine hätte solch geniale Züge in ihrer zweiten Matchpartie finden können. Dass die IBM-Ingenieure ihre Programmierkunst nicht offen legen wollten, bestätigte die russische Diva in ihrem Verdacht. Kasparow, der angetreten war um die Ehre der Menschheit zu verteidigen, vermutete einen Menschen zwischen den 418 parallel laufenden Mikroprozessoren, die im Mittel 200 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnen konnten.

Mensch gegen Maschine und Mensch in Maschine. Diese Bilder bestimmen den Automaten-Diskurs seit der Urahn aller Schachcomputer im Jahre 1770 den ersten Zug mit seinem linken Arm machte. Es handelte sich um eine menschengroße Figur, die hinter einem tischhohen Kasten mit Schachbrett saß. Der "mechanische Schachspieler" sollte Kaiserin Maria-Theresia die Zeit vertreiben und setzte fast alle Gegner matt. Der "Türke", wie er wegen seines orientalischen Kleidung genannt wurde, entstand im Kontext der höfischen Aufklärung, in der Technik nur als geistreiches Divertissement reüssieren konnte, war doch das 18. Jahrhundert das Zeitalter der Automaten, die Flöte spielen und Sätze schreiben können. Aber eine Maschine, die das Spiel der Spiele meisterlich beherrscht und den Kopf schüttelt, wenn der menschliche Gegner einen ungültigen Zug macht, gleichsam unbelebte Vernunft?

Der Erbauer des "Türken", Wolfgang von Kempelen, in Personalunion hoher habsburgischer Staatsbeamter, Ingenieur und Schausteller, behauptete freilich nie, dass die Maschine wirklich Schach spielte. Aber wie funktionierte die Täuschung? Der Staatsmaschinist inszenierte das mechanische Rätsel als geistreiches Gesellschaftsspiel und legte geschickt falsche Fährten. Vor jeder Vorführung öffnete Kempelen den Kasten und erlaubte dem Publikum einen Blick in das Räderwerk im Innern. Während des Spiels zog ein Assistent immer wieder mit einem Schlüssel das Räderwerk auf, während Kempelen im Saal umherging und die Zuschauer sich fragten, ob er auf verborgene Weise mit dem Türken kommunizierte.

Schon zu Kempelens Zeiten provozierten die Auftritte zahlreiche Pamphlete, die behaupteten, des "Türken" Kern entschlüsselt zu haben. War Magnetismus im Spiel? Gar ein Zwerg im Kasten verborgen, wie es noch von Walter Benjamin kolportiert wurde? Die selbst erklärten Aufdecker lagen mal mehr, mal weniger daneben. Die Lösung ist auch reichlich kompliziert: Dank doppelter Böden konnte sich ein Erwachsener im Kasten verstecken. In den Figuren waren Magnete angebracht, die entsprechende Metallstäbchen an der Unterseite der Felder bewegten, so dass der Spieler die Züge bei Kerzenschein verfolgen und auf seinem Miniaturbrett nachvollziehen konnte. Über eine Storchschnabel-Mechanik, die bis dato nur zum maßstabsgetreuen Übertragen von Grundrissen in der Architektur verwendet wurde, vermochte er gleichermaßen präzise wie elegant den linken Arm des Türken zu bewegen und die Figuren zu ziehen.

Der "Türke" hat eine außerordentlich vielfältige Rezeption erfahren: Jean Paul und E.T.A. Hoffmann ließen sich durch den Schachautomaten zu ihren unheimlichen Maschinenfiguren inspirieren. Mit Maelzel´s Chess Player fand Edgar Allan Poe 1836 die verrätselte Form für seine Erzählungen. Der geniale Bluff wirkte aber weit über die Literatur hinaus.

Angeregt durch die Auftritte des "Türken" in London, versuchte der englische Computerpionier Charles Babbage Mitte des 19. Jahrhunderts intelligente Maschinen zu konstruieren. Alan Turing schrieb um 1950 das erste Programm für einen funktionstüchtigen Schachcomputer. Dabei erwähnt er auch den Automaten Kempelens als einen Vorläufer. Das war ironisch gemeint, enthält aber mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn der "Türke" war nie nur eine Maschine sondern stets auch eine Metapher, die später zu einer innigen Verbindung in der Entwicklung von Schachcomputern und Artificial Intelligence führte.

Die Faszination des "Türken", der 1854 in Philadelphia verbrannte, währt bis heute. Zum 200. Todestag Kempelens 2004 hat etwa das Nixdorf-Forum in Paderborn die Pseudo-Maschine zur Gänze nachbauen lassen. Die Wiener Kulturwissenschaftler Brigitte Felderer und Ernst Strouhal haben sich auf den Greifarm beschränkt und klären mit einer unterhaltsam-belehrenden Performance das Publikum darüber auf, wie man richtig täuscht.

Im modernen Turnierschach haben sich die Kräfteverhältnisse längst umgedreht. Der Betrugsverdacht lautet heute nicht mehr Mensch in Maschine sondern Maschine im Mensch, also etwa der heimliche Einsatz eines Taschencomputers. Selbst die Supergroßmeister haben den neuesten Schachcomputer kaum mehr etwas entgegenzusetzen. In einem Schauwettkampf über sechs Partien holte der damalige Vizeweltmeister Michael Adams im letzten Jahr gegen "Hydra" gerade mal ein Remis. Hydra stammt wie sein Urahn aus Österreich und wurde von Chrilly Donninger programmiert. Der Sponsor ist wiederum ein Blaublüter, freilich nicht aus dem Hause Habsburg: es ist ein Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.


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