Ein Anliegen der rot-grünen Koalition war, die Situation der Minderheiten in der Gesellschaft zu verbessern. Angesichts einer Verschärfung gesellschaftlicher Spannungen war absehbar, dass der rechtliche Schutz von Menschen mit Behinderungen, von Flüchtlingen, Migranten oder Schwulen und Lesben dringlicher werden würde. Es konnte aber auch kein Zweifel daran bestehen, dass gerade diese bessere rechtliche Absicherung von potenziell ausgegrenzten Minoritäten viel Angriffsfläche bieten würde, ohne einen entsprechenden Stimmengewinn bei kommenden Wahlen zu versprechen. Es handelt sich bei diesen Aktivitäten also überwiegend um bürgerrechtliche Anliegen, die auch Auskunft darüber geben, wie nachhaltig das Interesse der Regierungskoalition an prinzipiellen politischen Inhalten ist.
Staatsbürgerschaft und Einwanderung
Am brisantesten sind in diesem Zusammenhang wohl die Gesetzesvorhaben der Koalition, die auf die Eingliederung und Zuwanderung zielten. Das 1999 beschlossene Staatsbürgerschaftsgesetz dokumentiert das Zurückweichen der Regierungskoalition vor einer populistischen Kampagne der CSU/CSU am eindrucksvollsten: Statt einer klaren Absage an das alte deutsche Prinzip, dass Deutscher nur sein kann, wer von Deutschen abstammt, enthält es einen komplizierten Formelkompromiss. Als Deutscher geboren wird nur, wer in Deutschland geboren wird und sich die Eltern seit mindestens acht Jahren legal hier aufhalten. Außerdem ist eine Erklärung mit 18 Jahren erforderlich, die vom Verzicht auf eine eventuelle zweite Staatsbürgerschaft flankiert sein muss. Nicht hier in Deutschland geborene Ausländer können nach acht Jahren eingebürgert werden, wenn sie sich zum Grundgesetz bekennen und ausreichende deutsche Sprachkenntnisse haben. Dass bislang nur wenige Menschen von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, signalisiert, dass dieses Staatsbürgerschaftsrecht, von denen, die es angeht, vor allem als Anpassungsrecht verstanden wird.
Auch das neue Zuwanderungsrecht, das vom Bundestag beschlossen wurde und über dessen skandalträchtige Verabschiedung im Bundesrat derzeit Bundespräsident Rau brüten muss, gilt als Reformruine. Es hätte den Wandel vom Ausländerrecht, das bislang vor allem als Fremdenabwehrrecht begriffen wurde, zu einem weltoffenen Integrationsrecht einleiten sollen. Stattdessen hat es zentrale Vorschriften des alten Ausländerrechts beibehalten und erweist sich durch die begleitenden Vorschriften des zweiten Terrorismuspakets als bloße Fortschreibung alter Rechtspolitik. Vereinzelte Regelungen, wie beispielsweise die Anerkennung von geschlechtsspezifischer Verfolgung, stellen manche Flüchtlingsgruppen zwar besser als bisher, gleichzeitig wird allen Asylsuchenden aber der Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach drei Jahren entzogen und stattdessen eine Überprüfung ihres Flüchtlingsstatus nach diesem Zeitraum angeordnet. Das Asylbewerberleistungsgesetz, das vor allem der Kontrolle und Begrenzung der Ansprüche von Flüchtlingen dient, wird nicht, wie es NGOs seit Jahren fordern abgeschafft, sondern ausgeweitet.
Gleichstellung und Lebenspartnerschaft
Nicht sehr viel besser sieht es bei Behinderten aus. Hier hat die Koalition immerhin ein bundesweites Gleichstellungsgesetz durchsetzen können, das vor allen Dingen in baurechtlichen Fragen Verbesserungen schafft und Barrierefreiheit zum Ziel hat. Das zivilrechtliche Gegenstück dazu, dass Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen, aber auch Benachteiligungen wegen des Geschlechts, ethnischer Herkunft oder sexueller Identität (was immer das sein mag) ausschließen sollte, wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet. Die Regelung im sogenannten Antidiskriminierungsgesetz, die eine EU-Richtlinie umsetzen sollte, gleichzeitig aber über deren Regelungsrahmen hinausgeht, stieß auf so entschiedenen Widerstand in Wirtschaftskreisen und damit auch im marktfreundlichen Teil der SPD, dass sie auch in der nächsten Legislaturperiode in dieser Form keine Chance haben wird.
Bei einem anderen Großprojekt, der Verabschiedung des Sozialgesetzbuches IX, das das Sozialleistungsrecht für Behinderte bündelt und manche Verbesserungen gegenüber dem Status Quo bereithält, wird gleichzeitig aber nicht entschlossen vom Verursachungsprinzip Abschied genommen. Damit werden eben Behinderte unterschiedlich behandelt, je nachdem ob sie ihre Behinderung durch Geburt oder durch einen Unfall erworben haben.
Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz, das auf nachdrückliche Forderungen aus der Schwulen- und Lesbenszene durchgesetzt werden konnte, ist die Regierungskoalition ebenfalls zu kurz gesprungen und hat eben keine vollständige Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe durchgesetzt. Insbesondere die Erbschaftsregelungen schaffen gegenüber dem vorherigen Zustand keine Verbesserungen.
Bilanziert man diese juristischen Projekte aus der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Bundesregierung, fällt der Befund wenig erfreulich aus: Zwar hat die Bundesregierung tatsächlich vereinzelt Verbesserungen geschaffen. Damit hat sie allerdings zumeist neue EU-Vorgaben umgesetzt oder auf nachhaltiges Engagement der mittlerweile recht gut organisierten Schwulen- und Lesben-Community wie der Behindertenbewegung reagiert. Die Koalition hat weder nennenswerte Eigeninitiative entfaltet, noch an einem Punkt grundsätzliche Veränderungen im Bereich der Rechtssetzung eingeleitetet. Die neugeschaffenen Gesetze bewirken im allgemeinen eher eine Modernisierung überkommener Zustände, sie gehen aber nicht so weit, dass sie eine rechtliche Basis für die Neubestimmung des Verhältnisses von gesellschaftlichen Minderheiten und Mehrheit bieten könnten. Vereinzelt bewirken sie sogar, schlimmer noch, Verschlechterungen - das gilt insbesondere und keineswegs zufälligerweise, für die Gruppe die von den hier erwähnten Minderheiten über die schwächste Lobby verfügt, die der Flüchtlinge.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.