Nicht mehr im Zeitplan

Antidiskriminierungsgesetz Ein neuer Bundestag wird das Projekt komplett neu beraten müssen

Die Chancen stehen schlecht, dass das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz, das die rot-grüne Koalition kurz vor ihrem absehbaren Abtritt noch durch den Bundestag gebracht hat, tatsächlich so in Kraft treten wird. Zwar ist das Paragraphenwerk keine Angelegenheit, die die Bundesländer angeht und somit im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig - die Union hat dort aber trotzdem ihre Möglichkeit genutzt, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Im Vermittlungsausschuss kann sie das Gesetz zwar nicht zu Fall bringen. Wenn sie aber auf Zeit spielt, wird es vor den Neuwahlen nicht mehr auf die Tagesordnung gesetzt werden, mit der Folge, dass ein neuer Bundestag das Projekt komplett neu beraten muss.

Das allerdings käme nicht nur vielen Wirtschafts-Lobbyisten zupass. Auch in der SPD hat das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz viele Gegner und nur wenige engagierte UnterstützerInnen. Dass eine der prominentesten VertreterInnen der Ablehnungsfront ausgerechnet die Bundesjustizministerin Zypries ist, erklärt, wieso es nach Verabschiedung der EU-Richtlinien, die das Gesetz umsetzen soll, mehr als vier Jahre gedauert hat, bis eine verabschiedungsfähige Vorlage in den Bundestag eingebracht wurde. Auch einige Befremdlichkeiten, die der Gesetzentwurf letzter Hand enthält, gehen auf die erhebliche Kompromissbereitschaft der Regierungskoalition zurück - und strafen deren gegenwärtig ritualisiert wiederholte Behauptung Lügen, sie habe in den letzten Jahren wegen der Mehrheitsverhältnisse in den Ländern gar nicht anders gekonnt, als faktisch eine CDU-nahe Politik zu machen. Die im Frühjahr ins Gesetz eingefügten Einschränkungen sind mit diesem Hinweis nicht zu erklären. Der gravierendste Einschnitt ist dabei die nach der 1. Lesung eingefügte Passage, die eine Diskriminierung bei der Vermietung von Wohnraum "im Hinblick auf die Schaffung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen und ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse" zulässt und damit Vermietern freie Hand gibt, den Einzug türkischstämmiger Familien im ruhigen Vorort ebenso zu verhindern wie die Vergabe eines Mietvertrages in einem gediegenen Mehrfamilienhaus an ein lesbisches Paar.

Dabei hatte es anfangs noch gut ausgesehen: Knapp ein Jahr nach der Verabschiedung der EU-Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/ EG, die von den Mitgliedsstaaten verlangten, umfassende zivilrechtliche Regelungen zu verabschieden, um der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft in den Bereichen Beschäftigung, Bildung, soziale Sicherheit und Gesundheitsdienste, Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und Wohnraum einen Riegel vor zu schieben, hatte das Bundesjustizministerium, damals unter Herta Däubler-Gmelin, einen Diskussionsentwurf fertig gestellt. Dass der Gesetzentwurf über die oben genannten Mindestanforderungen der EU hinausging, weil er auch Rechtsansprüche gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der Religion gewähren wollte, wurde in der Folgezeit als Vorwand genommen, das Projekt zu torpedieren: Mit immer neuen Szenarien wurde es als ernste Bedrohung nicht nur für die Privatautonomie, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland hingestellt. In diesem Zusammenhang interessierte nicht, dass in einigen anderen europäischen Staaten längst sehr viel weitergehende Regelungen zur Bekämpfung von Benachteiligungen verabschiedet worden sind, ohne dass dort grundlegende Systemveränderungen stattgefunden hätten. Schließlich geht es gegen das Gesetz an sich und gegen die Idee, den Antidiskriminierungsgedanken immer fester im deutschen Recht zu verankern. Zudem stößt gerade der umfassende Schutz vor direkter und mittelbarer Diskriminierung, der für Menschen nicht-deutscher ethnischer Herkunft sichergestellt werden soll, und der zwingend umzusetzen ist, Wirtschaft und CDU/CSU viel saurer auf, als dass auch Behinderte und alte Menschen von der Brüssler Erlasslage profitieren sollen.

Ob die CDU/CSU in einem künftigen Bundestag tatsächlich nur eine an den Mindesterfordernissen orientierte Version beschließen wird, ist gegenwärtig noch nicht ausgemacht - auch wenn es eine starke Tendenz in diese Richtung gibt. Immerhin war es der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der entscheidend unterstützte, dass das heftig umstrittene Benachteiligungsverbot für Behinderte 1994 ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Und warum es künftig zulässig sein soll, alt gewordene deutsche Vertriebene zu diskriminieren, nicht aber junge türkischstämmige MigrantInnen wird der eigenen Klientel schwer zu erläutern sein. Bleiben der Verzicht auf das Bestreben, die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung und wegen der Religion als besonderen Ausdruck der Privatautonomie weiterhin zu dulden - und der Faktor Zeit. Zumindest für die Gruppen und Diskriminierungsbereiche, die durch die Richtlinie 2000/43/EG geschützt werden, die Diskriminierungen wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft verbietet, ist das aber nur noch eine Nebensache. Am 28. April 2005 hat der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik nämlich wegen Verletzung seiner Pflicht verurteilt, diese Anti-Diskriminierungsrichtlinie ins nationale Recht umzusetzen. Damit können sich Einzelne aber vor den deutschen Behörden und Gerichten direkt auf die sie begünstigenden Vorschriften der Richtlinie berufen.


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