Aber Thierse trotzt

Kommentar Geruchsproben sind stinknormal

Einmal vom rechten Weg abgekommen - es ist niemals gutzumachen. Da hat der Kulturwissenschaftler, als er aus der bekannten zweiten deutschen Diktatur in die Freiheit geraten war, sich über 17 Jahre ehrlich bemüht. Zuerst im Neuen Forum, der unabhängigen politischen Bürger-Vereinigung, die Demokratie überall durchsetzen wollte. Dann trat er der SPD bei und verteidigte die freiheitlich-demokratische Grundordnung vehement gegen die alten Seilschaften der SED.

So überzeugend war Wolfgang Thierse in unserem Staat angekommen, dass er Präsident des Deutschen Bundestages werden durfte und sich bis heute als Vizepräsident halten konnte. Stets war auf ihn Verlass. Und nun passiert ausgerechnet ihm das: Wegen einer Routinemaßnahme unserer Sicherheitsbehörden - es handle sich um eine "normale, wenn auch noch seltene Ermittlungsmethode", erläutert die Bundesanwaltschaft - dreht er völlig durch.

Was also stinknormal ist in unserer Demokratie, setzt er einem völlig unzulässigen Vergleich aus. Unsere Sicherheitsbehörden haben wirklich ganz routiniert Geruchsproben von Verdachtspersonen genommen, von denen eine Gefahr für den G 8-Gipfel ausgehen könnte. "Eine solche Praxis erinnert mich an Stasi-Methoden", behauptet da Wolfgang Thierse und warnt vor "Hysterie, die zu Polizeistaats-Methoden à la DDR führen" könne.

Welch ein Unsinn. Thierse vergleicht ganz einfach Metallröhren mit Einmachgläsern, um unseren Staat zu diffamieren. Geruchsproben sind - laut Bundesanwaltschaft - ein wichtiges "Indiz in der Gesamtwürdigung" von Terroristen und anderen Globalisierungsgegnern. Hierfür gibt es, wie sie Focus-Online erläutert, ein standardisiertes, wissenschaftliches Verfahren: "Man muss nur ein paar Minuten lang eine Metallröhre in der Hand halten. Diese wird dann in einem Glasbehälter luftdicht verpackt und gelagert." Der Abgleich erfolge durch speziell abgerichtete Spürhunde.

In der zweiten Diktatur dagegen war das ganz anders. Dem Honecker-Regime waren bei der Unterdrückung und Überwachung der Bevölkerung bekanntlich alle Mittel recht. Da wurden Geruchsproben auf Lappen in ausrangierten Einmachgläsern mutmaßlich sogar ohne standardisiertes wissenschaftliches Verfahren aufbewahrt. Allenfalls die schon damals eingesetzten Spürhunde könnten, da gegen sie natürlicherweise keine ideologischen Bedenken bestehen, in den Bundesdienst übernommen worden sein.

Unsere wissenschaftlich einwandfreien Geruchsproben sind, wie der Bundesinnenminister bestätigt, ein probates Mittel, um mögliche Tatverdächtige zu identifizieren. Es gehe darum, die Sicherheit auf dem G 8-Gipfel zu gewährleisten. Doch Thierse - Ossi bleibt Ossi - lässt unseren Staat im Stich und vergleicht die zweite deutsche Demokratie mit der zweiten deutschen Diktatur.

Ob man ihm den 2004 verliehenen Ehrendoktor der Uni Münster aberkennen kann, wird zu prüfen sein - so schnell wie Thierse hat sich jedenfalls noch keiner aus der Gemeinschaft der Demokraten selbst ausgeschlossen. Niemand hat das besser formuliert als Guido Westerwelle, der letzte große deutsche Liberale - wir erinnern uns aus Möllemanns Zeiten an seinen mutigen Auftritt bei Christiansen mit der in die Kamera gehaltenen 18 unter der Schuhsohle. Dieser mutige Westerwelle hat auf Thierses unzulässigen Vergleich sofort mit der gebotenen Härte reagiert: Wer sich derartig äußere sei für herausragende Staatsämter "völlig ungeeignet".

Wenn er nicht Abbitte leistet, wird Thierse von seinem Amt zurücktreten müssen, wie auch der immer hellwache CDU-Generalsekretär Pofalla ausdrücklich bestätigt: "Ein Bundestagsvizepräsident, der Ermittlungen in unserem Rechtsstaat mit Stasi-Methoden vergleicht, ist in diesem Amt fehl am Platz."

Beschämend, ja empörend ist es, dass diejenigen die den Unrechtsstaat am besten kennen müssen, nun plötzlich Zweifel an seiner Unrechtsstaatlichkeit säen. Es sei ohnehin völlig unklar, in welchem Umfang die Stasi seinerzeit ihre "Duftabwehr" im Arbeiter- und Bauernstaat vorangetrieben habe, erläuterte ein Sprecher der Stasi-Unterlagen-Behörde. Man könne "nicht genau sagen, ob es sich um einen Routinevorgang oder nur um Einzelfälle handelte", erklärte er dem Focus. "Das ist ganz schweres Terrain. Bei schweren Straftaten wie Mord oder Totschlag hat die Stasi ja mit der Kriminalpolizei zusammengearbeitet". Eine "seriöse wissenschaftliche Aussage" könne man nicht liefern.

Ja, soll denn auch noch die ganze Unrechtsstaatlichkeit des Ostens flöten gehen, nur weil wir so etwas jetzt im Westen ganz dringend brauchen?

Otto Köhler ist Schriftsteller und Publizist.


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