Dem wendigen Kardinal Faulhaber

FROHE BOTSCHAFT IN WEISS-BLAU In München wird die Kollaboration des einstigen Kirchenfürsten mit dem Nazi-Regime nach wie vor durch einen Straßennamen geehrt

Wer in München vom Kultusministerium auf dem kürzesten Weg zum Erzbischöflichen Ordinariat gehen will - und das ist dort nicht ungewöhnlich - der muss durch die Kardinal-Faulhaber-Straße. Doch spätestens seit Anfang März gibt es Leute, denen es keine Freude mehr macht, durch eine Straße mit diesem Namen zu laufen. "Nach dem schockierenden Bericht über Faulhaber", schrieb ein Münchner der Süddeutschen Zeitung, "kann man der Stadtverwaltung nur raten, so schnell wie möglich den Namen der Straße, die nach diesem Mann benannt wurde, zu ändern".

Der "schockierende Bericht" war die Kurzfassung eines 104-Seiten-Buches, das soeben im Münchner Buchendorfer Verlag erschien. Titel: Kardinal Michael Faulhaber. Des Kaisers und des Führers Schutzpatron. Der Autor Rudolf Reiser hat den Lebensweg des Kirchenfürsten vom hoch engagierten Feldprobst Wilhelms II. bis zum Kardinal verfolgt - ein Kirchendiener, der die deutschen Katholiken mahnt, "in weltgeschichtlicher Stunde ein Treuebekenntnis zum Führer und Reichskanzler Adolf Hitler abzulegen". Die Fakten sind nicht ausnahmslos neu, wenn auch um viel bisher unbekanntes Material angereichert - sie werden aber gern unterschlagen. Karlheinz Deschner beispielsweise hatte schon 1962 in seiner kritischen Kirchengeschichte Abermals krähte der Hahn ein ganzes Kapitel dem "wendigen Kardinal Faulhaber" gewidmet, was freilich nicht verhinderte, dass noch 1981 Meyers Großes Universallexikon Faulhaber bestätigte: "Stellte sich entschieden gegen Rassismus und Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus."

Das hätte, wäre es 30 Jahre früher passiert, womöglich dem renommierten Nachschlagewerk eine durchaus berechtigte Verleumdungsklage des Kardinals eingebracht - doch davon gleich mehr.

Jetzt hat erst einmal das Erzbischöfliche Ordinariat in einer Pressemitteilung seinen 1952 verstorbenen Ex-Chef gegen das Reiser-Buch verteidigt: "polemisch", "unwissenschaftlich", "keine repräsentative Auswahl der Quellen", "beleidigende Formulierungen", "absurde Unterstellungen".

Und es ist wohl wahr, Verleumdungen und Fälschungen begleiten den Weg des deutschen Kardinals durch die Geschichte. 1934 etwa veröffentlichte Der Sozialdemokrat - das Blatt der sozialdemokratischen Emigranten in Prag - eine Predigt Faulhabers gegen Judenverfolgung und Rassenhass. Es handelte sich um eine erbärmliche Fälschung. Der Münchner Oberhirte protestierte und telegraphierte an das Reichsministerium des Innern in Berlin, an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, an die Bayerische Staatskanzlei, an die deutsche Botschaft in Prag, an jede Zeitung, die ihm einfiel, und wies die bösartige Unterstellung zurück, er hätte sich gegen Rassen- und Judenhass gewandt. "Predigt Faulhaber gegen Rassenhass niemals gehalten. Ersuche Falschmeldung widerrufen", telegraphierte der Kardinal beispielsweise empört an die Basler Nationalzeitung. Diese "wahnsinnigen Behauptungen" - er hätte sich für die Juden eingesetzt - seien marxistische Fälschung und eine schamlose Lüge.

Und nicht nur sich selbst, auch andere nahm er voll christlicher Nächstenliebe gegen üble Nachrede in Schutz. Im Amtsblatt der Erzdiözese München und Freising verteidigte Faulhaber 1936 sein römisches Oberhaupt: "Die persönlich gehässigste Unwahrheit gegen den Heiligen Vater, Pius XI., wurde zum ersten Tag dieses Jahres dem deutschen Volk von einer deutschen Zeitung ... vorgesetzt: Der Papst sei Halbjude, seine Mutter sei eine holländische Jüdin gewesen. Ich sehe, meine Zuhörer fahren vor Entsetzen empor. Diese Lüge ist besonders geeignet, in Deutschland das Ansehen des Papstes dem Gespött preiszugeben."

Wenn es um die Vernichtung des Feindes - des "jüdischen Bolschewismus" etwa ging, billigte Faulhaber durchaus auch den Raub kirchlichen Eigentums. Als die Nazis während des Zweiten Weltkrieges die Kirchenglocken holten und Geschützrohre daraus gossen, sagte er gern Ja: "Für das Vaterland wollen wir auch dieses Opfer bringen, wenn es notwendig geworden ist für einen glücklichen Ausgang des Krieges."

Doch mutig trat er den Nazis entgegen, wenn sie nach Luftangriffen die Opfer ohne Kreuz begruben: "Könnten die Toten heute noch reden, würden sie flammenden Einspruch erheben und sagen: Wir waren Christen, wir waren keine Juden", protestierte der Kardinal.

"Es ist falsch, einem extremen und erbarmungslosen Antisemitismus zu verfallen", predigte dann der Münchner Oberhirte nach 1945. Nicht extrem, nicht erbarmungslos - aber ein bisschen gutgemeinter und von Herzen kommender Judenhass durfte weiterhin sein?

Da München nun einmal in Bayern und nicht im Anschlussgebiet Ostdeutschland liegt, wird aus einer Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße wohl nichts werden. Unweit von München - in Regensburg - gibt es eine Straße für den Nazi-Dichter Florian Seidl. Der hatte einst in seinen Romanen Rechnungen angestellt, was Krüppel und Taubstumme kosten. Doch trotz aller Proteste müssen die behinderten Kinder, die in einem Heim in der Florian-Seidl-Straße wohnen, auch weiterhin den Namen ihres Schreibtischmörders auf ihrem Straßenschild lesen.

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