Einmarsch der Junker

Die Hyänen sind unterwegs Wie Christian Wulff für die Merkel-Nachfolge startet

Schönbohm und Stoiber - das ist bekannt - sie wollen, dass ihre Union nur von gründlich desinfizierten Ostlern gewählt werden darf. Und sei es auch um den Preis der Niederlage Angela Merkels, die sich am Montag bei ihrer Kundgebung in der CDU-regierten Hansestadt unterwürfig als "geborene Hamburgerin" andiente. Aber nun kommt Christian Wulff. Der niedersächsische Ministerpräsident - von den einschlägigen Medien als beliebtester Politiker Deutschlands gehandelt - steht schon lange bereit, Merkel - wenn sie fällt - kräftig zu stoßen, damit er als nächster Kanzlerkandidat antreten kann. Wulff hat in aller Stille - doch nicht allzu diskret - einen explosiven "Brief zur Bodenreform" geschrieben. Springers Welt freute sich am Wochenende: "Wulff hat das Thema nie aus den Augen verloren. Es gibt keinen Anlass, keinen öffentlichen Druck, keine offene Rechtslage. Nur die Einsicht, dass zur Solidarität mit den neuen Ländern gerade die bereit sind, die dort ihre Wurzeln haben."

Die Zitzewitze also, die einst als Großagrarier unendlich viel Platz für ihre Wurzeln hatten. Der Kommentator der Welt ängstigte sich denn auch vor der Reaktion im Osten auf den Wulff-Vorstoß: "Ich sehe schon die Schlagzeilen vom Einmarsch der Junker". Doch diese Schlagzeilen gibt es nicht. Seit dem Ausbruch der Pressefreiheit bei den SED-Bezirkszeitungen, seit ihrer Übernahme durch westdeutsche Konzerne sind solche Überschriften obsolet. Nur in der Chemnitzer Freien Presse durfte Stefan Hilsberg, der nicht übermäßig einflussreiche "Sprecher" der Ost-SPD-Abgeordneten im Bundestag, ein wenig gegenhalten: die von Wulff angekündigte Bundesratsinitiative führe zu einer "tiefen Verunsicherung der ostdeutschen Bevölkerung". An den mit der Bodenreform geschaffenen geschichtlichen Tatsachen komme niemand vorbei. Hilsberg erinnerte an den Einigungsvertrag, der verlange, "die Bodenreform politisch nicht anzutasten". Dieser bislang in allen Parteien bestehende Konsens dürfe nicht aufgekündigt werden, meinte Hilsberg. Er forderte Kanzlerkandidatin Merkel auf, ein Machtwort zu sprechen: "Wulff öffnet die Büchse der Pandora."

Das Machtwort kam nicht. Obwohl das Bundesverfassungsgericht die Ansprüche der von der Bodenreform enteigneten Nazis und Großgrundbesitzer zurückgewiesen hat. Und sich erst im März der von ihnen angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg diesem Urteil anschloss. Das will Wulff mit seinem "Brief zu Bodenreform" nun anfechten. Juristisch ist der Vorstoß aussichtslos, aber als Stimmungsmache gegen den Osten und als Sprungbrett für eine Merkel-Nachfolge hervorragend geeignet.

Für die Großagrarier, die sich der Wut der Neueigentümer nicht aussetzen möchten und nicht zurück, sondern möglichst schnell abkassieren wollen, sind die Hyänen auch schon da: "Unser Unternehmen löst dieses Problem", meldete sich gleich nach Wulffs Initiative die Talleur-Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu Wort. "Wir geben Betroffenen die Chance, den Anspruch auf Entschädigung sofort und einfach zu Geld zu machen." Die Talleur GmbH errechne "kostenlos" die Höhe der Entschädigung und zahle sie dann - mit einem Abschlag - "kurzfristig" aus. Denn: "Das Unternehmen verfolgt den Anspruch nach der Auszahlung weiter und setzt diesen gegenüber den Behörden durch. Zusätzlicher Vorteil: Die Erfahrung der Talleur-Mitarbeiter stellt sicher, dass der Anspruch optimal geltend gemacht wird." - Die Talleur GmbH gehört zur MPC Münchmeyer Capital AG. Der verstorbene Bankier Münchmeyer war einst erfolgreich im Arisierungsgeschäft tätig, und seine tüchtige Tochter Birgit Breuel räumte als Treuhandpräsidentin die besiegte DDR von ihren für die westdeutsche Konkurrenz schädlichen Industrieanlagen leer.

Niedersachsens Ministerpräsident ist der "Brief zur Bodenreform" so nützlich, wie er Merkel schadet. Während der professorale Besen aus Heidelberg, mit den 412 Geheimkunststückchen für Zauberlehrfrau Merkel zusehends zum Kirchhof ihrer Hoffnungen erblüht, Kanzlerin in Berlin zu werden, hat sich Wulff mit seinem Freund, dem einst von Merkel verdrängten Fraktionsvorsitzenden Merz als Finanzminister in spe am Montag in Bild schon einmal aufgebaut. Der Professor mit dem Geheimprogramm wird durch den Schwadroneur mit dem Bierdeckelrezept ersetzt. Wulff tönt: "Angela Merkel wird mit unser aller Unterstützung eine exzellente Kanzlerin sein." Mit. Ohne eben nicht. Darauf verlässt er sich. Und hält sich bereit.


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