Glückwunsch, Horst Köhler!

In Demut vor Deutschland Der neue Bundespräsident steht in der Tradition und garantiert Zukunftsfähigkeit

Eigentlich war es nicht zu schaffen. Aber sie haben es hingekriegt, Glückwunsch, Horst Köhler. Gegen jedes Erwarten ist es 59 Jahre nach Kriegsende erneut gelungen, der Wahl des Bundespräsidenten doch einen repräsentativen Touch zu verleihen. 1949 - bei der ersten Präsidentenwahl - war das noch sehr leicht. Eine ganze Anzahl von Abgeordneten saß in der Bundesversammlung, die 1933 die Hand für Hitler erhoben hatten, für das Gesetz, das ihn zu all dem ermächtigte, was er tat. Der Liberale Theodor Heuss hatte dies zwar, wie er einräumte, nur widerstrebend getan, so wurde er zum ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

Sein Nachfolger für die zehn Jahre von 1959 bis 1969 wurde Heinrich Lübke. Dessen Fähigkeiten waren nicht überragend. Aber für die Planungen von KZ-Baracken hatten sie ausgereicht. Nur schade, dass sein Gedächtnis nachließ, so dass er sich als Präsident gar nicht mehr an seine humanitären Verdienste um die Unterbringung der Sklavenarbeiter des Dritten Reiches zu erinnern vermochte. Karl Carstens, unser Wanderpräsident, war zwar der NSDAP beigetreten, aber aktiv, so gab er zu, sei er nie geworden.

Heute schreiben wir seit vier Jahren schon ein neues Jahrtausend, doch dem baden-württembergischen Parlament ist es gelungen, ein Stück Tradition aufrechtzuerhalten, indem es den 90jährigen Hans Filbinger an die Spitze seiner Wahlmännerliste setzte, den einst so erfolgreichen Marinerichter Adolf Hitlers, der wegen seiner Beteiligung an Todesurteilen für Deserteure und ähnliche Leute als Ministerpräsident zurücktreten musste. Erst vergangenen September, als anlässlich der Ehrungen zu seinem 90. Geburtstag die alten Vorwürfe wieder hochkamen, erläuterte er der Badischen Zeitung, warum er die Todesurteile gefällt hatte - da sonst 1945 die "Fahnenflucht ausgeufert" wäre. "Wer meuterte", unterstrich er, "gefährdete das Ganze".

Eben Dasselbe zementierte Filbinger am Sonntag. Die Stimme des hochgemuten Marinerichters war die eine symbolhafte Stimme, die Horst Köhler im ersten Anlauf über die absolute Mehrheit hinaus brachte. Anders als der deutsche PEN sah der Kandidat im Wahlmann Filbinger keineswegs eine "skandalöse Missachtung und Beschädigung des Wahlgremiums".

Dabei hatte Horst Köhler vor Jahren noch gewisse Vorstellungen von Recht und Gesetz. Wenige Tage nach dem Anschluss der DDR am 3. Oktober 1990 hatte der Bundesfinanzminister - "im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeskanzler" - den damaligen Treuhandchef Rohwedder kurzzeitig von der "Haftung für grobe Fahrlässigkeit" bei der Enteignung des Volksvermögens der DDR freigestellt. Das bedeutete - wie die Regensburger Amtsrichterin und Bundestagsabgeordnete Erika Simm erläuterte - die Treuhand war beim Umgang mit dem DDR-Volksvermögen zur "gröblichen Außerachtlassung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt ermächtigt".

Rohwedders Nachfolgerin Birgit Breuel verlangte 1991 die Verlängerung und Ausweitung der Freistellung für die gesamte Führungsriege der Treuhand, weil sie fürchtete, anders die Überführung der DDR-Betriebe in die Hände westdeutscher Konzerne und Hochstapler nicht fortsetzen zu können.

Doch da antwortete ihr Horst Köhler als der zuständige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium am 12. Juli 1991, "angesichts der heutigen Situation - die Pionierzeit der Treuhandanstalt ist inzwischen überwunden" gebe es "große Vorbehalte, die Freistellung zu verlängern", er wollte ihr nicht länger ein "Außerachtlassen einfachster und nächstliegender Überlegungen" gewähren.

Frau Breuel ließ sich das nicht bieten, beschwerte sich beim Minister und drohte mit Arbeitsverweigerung bei der zügigen Entindustrialisierung Ostdeutschlands, ihre Mitarbeiter zögerten schon, "in gleicher Weise wie bisher die unbedingt erforderlichen zügigen Entscheidungen insbesondere bei der Privatisierung zu treffen".

Finanzminister Waigel tröstete sie mit der "nach wie vor geltenden Freistellung von der Haftung wegen einfacher Fahrlässigkeit" und sah keine "Gefahr, dass zu einem späteren Zeitpunkt Gerichte bei einem evtl. Vorwurf grober Fahrlässigkeit die heutige Ausnahmesituation nicht ausreichend würdigen".

Das war das Gesellenstück, bei dem Horst Köhler lernte, wie flexibel man im Kampf für die Erfordernisse der Wirtschaft zu sein hat. Als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigte er sich des in ihn gesetzten Vertrauens würdig. Laut rief er zur Beseitigung der Armut in der Welt auf und schritt dann zur Tat, indem er die Armen bekämpfte. Argentinien war sein Meisterstück: Abbau der öffentlichen Dienstleistungen, Privatisierung von Staatseigentum, Verelendung auch des Mittelstands zugunsten internationaler Konzerne.

Jetzt liebt er Deutschland (s. ultimo), wie er nach seiner Wahl verkündete. Ohne Ansehen der Parteien. Er will Schröders "Agenda 2010" unterstützen und dann mit einer Kanzlerin Angela Merkel noch weitertreiben. Bald sind wir echte Argentinier.


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