Hitler, die Jungfrauen-Geburt

Endlich ohne Egon Erwin Kisch Nicht bestellte Laudatio zum Henri-Nannen-Preis für Joachim C. Fest

Der Verlag Gruner + Jahr und sein stern, die beiden haben vergangenes Jahr eine weise Entscheidung getroffen. Sie haben darauf verzichtet, den von ihnen gestifteten Journalistenpreis weiterhin nach Egon Erwin Kisch zu nennen. Dessen Lebenslauf war kein Vorbild für eingebettete (Embedded)-Journalisten unserer Zeit, trat doch der jüdische Oberleutnant im Wiener Kriegspressequartier zugleich als Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat in Erscheinung, streikte für den Frieden und wurde im November 1918 Kommandant der Roten Garde in Wien. Später in Berlin schrieb er für die Rote Fahne ebenso wie für den Börsen-Courier. 1925 trat er in die KPD ein, musste 1933 nach dem Reichstagsbrand emigrieren und reiste 1938 für eine Reportage mit falschen Papieren durch die USA.

Henri Nannen dagegen, dessen Namen jetzt der Preis trägt, war zwar kein richtiger Nazi, schrieb aber immerhin ein paar Artikel zur Verherrlichung des Führers, ist als Namenspatron für einen Preis, der Joachim Fest verliehen wird, akzeptabel. So geschah es, dass Gruner + Jahr und sein stern ihren Egon-Erwin-Kisch-Preis umtauften, um 2006 in die Lage versetzt zu sein, ihn als Henri-Nannen-Preis dem Hitler-Biografen zu verleihen.

Fests Prämiierung findet an diesem Freitag im angemessenen Rahmen statt: mit einer Gala im Hamburger Schauspielhaus. Die Begründung für die Preisverleihung durch den Verlag und die Zeitschrift, die bereits die Ehre hatten, die Hitler-Tagebücher abzudrucken, sie ist - laut Presse-Kommunique - nicht weniger reizvoll:

"Der Autor und Journalist Joachim Fest wird am 12. Mai 2006 vom Verlag Gruner + Jahr und der Zeitschrift stern für sein umfassendes publizistisches Lebenswerk und seinen Beitrag für den Qualitätsjournalismus mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet." Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn zur Begründung: "Der Hitler-Biograf und ehemalige FAZ-Herausgeber Joachim Fest erhält den Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches Lebenswerk, weil er wesentliche Anstöße zur Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit gegeben hat."


Adolf Hitler war - das erkannte Joachim Fest als erster Historiker nach 1945 an, und so mancher ist ihm bis heute gefolgt - "in einem wohl beispiellosen Grade alles aus sich und alles in einem" gewesen. Kurz, Hitler war eine Jungfrauen-Geburt - die ihn hervorbrachten, sind unschuldig geblieben. Energisch wendet sich Fest gegen "konservative Politiker und marxistische Historiker", die sich "in seltsamer Übereinstimmung" dazu verleiten ließen, Hitler als "Instrument fremder Zwecke" zu sehen. Schon auf Seite 22 seiner 1.190 Seiten starken Hitler-Biografie kam Fest zu dem Fazit, dass sein Held das Wort von Jacob Burckhardt erfüllt: "Die Geschichte liebt es bisweilen, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt gehorcht." Konsequent auch die "Vorbetrachtung", mit der Fest seine Biografie programmatisch eröffnet: "Wenn Hitler Ende 1938 einem Attentat zum Opfer gefallen wäre, würden nur wenige zögern, ihn einen der größten Staatsmänner der Deutschen, vielleicht den Vollender ihrer Geschichte, zu nennen."

Fest hatte sein Werk gegen die "moralische Großmäuligkeit" und den "palavernden Antifaschismus" der 68er geschrieben, die Deutschland zum "obersten Weltbösewicht" machten. Einer von ihnen, der Organisator der ersten Wehrmachtsaustellung Hannes Heer, hat 2005 mit seinem Buch Hitler war´s (Aufbau Verlag) beschrieben, "wie Hitler noch einmal zum Führer der Deutschen wird". Das Buch wurde konsequent von den Großfeuilletons und von den für Vergangenheitspolitik zuständigen Historikern beschwiegen. Die Hauptrolle bei des Führers Renaissance erkennt Heer Joachim Fest zu, dem großen "Geschichtspolitiker", der einer von unberechtigtem "Kleinmut" befallenen Nachkriegsgeneration den Rücken stärkte und die moralische "Heuchelei" der Nachgeborenen in die Schranken weist. Die Götterdämmerung, das letzte Kapitel von Fests Hitler-Biografie, lieferte das Textbuch zum Untergang, jenem Eichinger-Film, der Albert Speer und die verbrecherischen SS- und Wehrmachts-Generale in Hitlers Bunker mit allen übrigen Deutschen in die "Masse der Guten und Gesunden" (Hanns Heer) einordnet.

Für seine von Heer gründlich analysierte Hitler-Biografie hat Joachim Fest schon vor dem Nannen-Preis verdiente Anerkennung gefunden. Marcel Reich-Ranicki schildert in seinen Memoiren, wie er von Fest zu einem Empfang des Siedler Verlages mitgenommen wurde, bei dem er nichtsahnend auf einen inzwischen frei gekommenen Kriegsverbrecher stieß, für den sich Fest als Ghostwriter betätigte: "Und dann kam man zum Anlass des Empfangs, zur Präsentation von Joachim Fests Buch, das schlicht Hitler hieß und hier auf schwarzem Samt lag. Speer blickte lächelnd auf das Buch und sagte laut: ›Er wäre zufrieden gewesen, ihm hätte es gefallen‹." Reich-Ranicki weiter: "Bin ich vor Schreck erstarrt? Habe ich den Massenmörder, der hier respektvoll über seinen Führer scherzte, angeschrieen und zur Ordnung gerufen? Nein, ich habe nichts getan, ich habe entsetzt geschwiegen."

Alles andere wäre auch unpassend gewesen. Joachim Fest hat von Speer zum Dank für seine Verdienste ein von Adolf Hitler eigenhändig gemaltes Aquarell bekommen - daneben nimmt sich der Nannen-Preis trotz Gala und einer zumindest geplanten Minister-Rede etwa schäbig aus.


Die Laudatio soll Innenminister Schäuble halten, der Schutzpatron aller Blonden und Blauäugigen. Allerdings wird man den Verlag Gruner + Jahr tadeln müssen, weil er den einzigen Historiker, der die historischen Verdienste Joachim Fests wirklich angemessen zu beurteilen vermag, nicht als Laudator gewonnen, ja möglicherweise dazu keinerlei Schritte unternommen hat: Ernst Nolte, den Emeritus der Freien Universität Berlin. Ohne den damaligen FAZ-Herausgeber Joachim Fest wäre Ernst Nolte nie geworden, was er war: der große Endecker, dass Auschwitz eigentlich eine Tat Stalins ist, weil der Archipel Gulag "ursprünglicher als Auschwitz" war und Hitler somit nur eine "asiatische" Tat vollbrachte.

Fest hat den Historikerstreit erst ausgelöst, indem er Noltes "Vergangenheit, die nicht vergehen will" mit dem bewusst falschen Untertitel ins Blatt hob: "Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte." Gehalten werden sollte die Rede bei den Frankfurter Römerberg-Gesprächen. Die Organisatoren hatten Nolte nur um einen anderen Titel gebeten, weil "Vergangenheit, die nicht vergehen will", bereits von Wolfgang Mommsen für seinen Beitrag als Titel vorgesehen war. Marcel Reich Ranicki, der damals Leiter der FAZ-Literaturredaktion war: "Doch ob es mir gefällt oder nicht, ich habe an diesem fatalen Historikerstreit gelitten. Ich habe mich geschämt, denn er ging von der Frankfurter Allgemeinen aus - und sie spielt in ihm keine rühmliche Rolle. Ich habe mich geschämt, denn er wurde von Joachim Fest inspiriert und zeitweise organisiert." (Mein Leben, S. 540) - Der sprang Nolte mit der These bei, dass die Juden selbst ja den Anlass für den in Auschwitz triumphierenden Judenhass Hitlers gegeben hätten, Fest in der FAZ: "Und dass unter denen, die der schon bald in Chaos und Schrecken auslaufenden Münchner Räterepublik vorgestanden hatten, nicht wenige Juden gewesen waren, verschaffte überdies seinen antisemitischen Obsessionen eine scheinbare und jedenfalls agitatorisch nutzbare Bestätigung."

Gegen Jürgen Habermas, der als erster Nolte widersprach und der auf einem Unterschied zwischen Gulag und Auschwitz bestand, ging Fest auf die Barrikade: "Und mit einer Empfindungslosigkeit, die schlimmste Erinnerungen heraufbeschwört, macht man sich an irgendwelchen Professoren-Schreibtischen daran, die Opfer zu selektieren." - Habermas selektiert? Habermas war der einzige Professor, der bis dahin öffentlichkeitswirksam gegen Noltes Herleitung von Auschwitz aus dem Archipel Gulag protestiert hatte. Sollte Wolfgang Schäuble an diesem Freitag wirklich die Laudatio halten - was zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses wegen einiger Terminprobleme noch nicht völlig klar war - kann er Arm in Arm mit Joachim Fest die Interessen der Blonden und Blauäugigen vertreten.


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