Lotte spielt Lotto und landet einen Volltreffer

Fernsehduell Naumann gegen von Beust Die SPD will nicht die Kinder abschaffen, da ist ihr Kandidat nahezu sicher

Arglose Hamburger, die vergangenen Sonntagabend erst gegen neun das III. Programm ihres Vertrauens einschalteten, um sich wenigstens den letzten Teil des in der Programmzeitung angekündigten Ohnsorg-Theaters (Lotte spielt Lotto - und landet gleich einen Volltreffer) reinzuziehen, erlebten die Stunde der Offenbarung.

"Wir wollen bekanntlich regieren", sagte der wohlgepflegte ältere Herr auf dem Bildschirm mit Nachdruck: "Wir Sozialdemokraten stehen für soziale Gerechtigkeit. Wir wollen die Kinder und Bildungs- und Studiengebühren abschaffen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kinder wieder" - er zögert, irgend etwas geht durch seinen Kopf: Kinder abschaffen, habe ich jetzt wirklich Kinder abschaffen gesagt? Egal ich muss weiter - "wieder Zeit haben zum Spielen, zum Sport."

Und wenn ich´s doch gesagt habe, nein, weiter, immer weiter, jetzt nicht lang überlegen. "Wir werden die Studienpläne, Entschuldigung, wir werden die Pläne an den Schulen, oh Gott, wir werden die Schulpläne an den ..."

Es geht einfach nicht mehr, er hat sich völlig verheddert. Große Pause. In seiner Verzweiflung schaut er - ein Alptraum für den mitfühlenden Zuschauer - nach rechts zu Ole von Beust.

Jetzt aber ganz langsam und ganz ruhig, Wort für Wort. "Wir - werden - die - Schulstunden - entrümpeln." Na, es geht ja, da ist der richtige Text wieder voll da. Nun aber schnell durch. "Die CDU hat die Krankenhäuser, die Immobilien, den Hafen verkauft." Pause. "Teile der Hafens." Pause, dann mit Emphase: "Aber Hamburg ist keine Aktie und ist auch keine Börse. Wir werden dafür sorgen, dass das aufhört. Ich persönlich stehe dafür, dass Hamburg wieder seinen Besitz behält." Das klingt doch ganz energisch, der Kandidat hat sich wiedergefunden und will nun auch schnell zum Schluss: "Wir werden ganz einfach dafür sorgen, dass Hamburg wieder zu sich selbst kommt." Geschafft.

Das ist eine Schweinerei, analysiert Günter Grass

Es war auch zu viel in den vergangenen Wochen für Michael Naumann, dem nach den gestohlenen Stimmkarten doch noch gefundenen Kandidaten der SPD, wirklich zu viel: Diese aufsteigende Kurve der Linkspartei. Aber der NDR hat sich in die Bresche geworfen. Zuerst mit Panorama, das die frischgewählte DKP-Frau auf der niedersächsischen Linkspartei-Liste zum Tänzchen aufs Stasi-Glatteis führte und - pardauz - da lag sie. Und nun am Sonntagabend das schnell ins Programm geschobene Duell, das mit seinem "Blackout" (Hamburger Abendblatt) so schrecklich endet.

Am Montagmorgen im Nordwestradio eilt Günter Grass zu Hilfe. Wer diese "so genannte Linke" ins Parlament wähle, der verspiele die "Chance eines Wechsels". Diese dauernde Unterstellung, dass die SPD mit der Linkspartei - "das ist eine Schweinerei", analysiert Günter Grass. Aber das ist Michael Naumanns unlösbares Problem, wie kann, wie soll er - angesichts der Zahlen - ohne die Schweinerei Bürgermeister werden?

Da hilft auch nicht die erneute Polarisierung. Am Dienstag geht dieses Ohnsorg-Theater weiter - das steht schon im Programm: nach dem Gesundheitsratgeber Visite (Thema: Schweißausbrüche, Herzrasen, Übergewicht) und nach Räum Dein Leben auf! ist im NDR noch einmal solch ein Ohnsorg-Theater angesagt: Er oder ich. Hamburg hat die Wahl, heißt der Titel der Sendung.

Die NDR-Wahlfälschung - Michael Naumann gegen Ole von Beust. Ist das alles, was es zu wählen gibt? Da gibt es doch noch zwei, vielleicht drei weitere Parteien. Und mit den zwei größeren - mit den Grünen (GAL) und der Linkspartei - stehen zugleich mindestens drei Michael Naumann zur Wahl, aber sicherlich kein Naumann, der umstandslos Sieger wird. Das ergeben die Umfragen, die der NDR zu Beginn seiner Sondersendung am Sonntag kurz mal einblendet, 39 Prozent für die CDU, 35 Prozent für die SPD, für Grüne und Linkspartei je neun. Und ob die FDP mit um die fünf Prozent in die Bürgerschaft einzieht, ist unsicher, ändert aber so gut wie nichts.

Wir laufen mit dem stärkeren Bataillon, sagen die Grünen

Da gibt es, als erste Variante, den Verlierer Naumann. Wenn es ihm gelingen sollte, die Linkspartei gerade einmal unter die Fünf-Prozent-Grenze wegzudrücken, dann bliebe von Beust immer noch der stärkste. Für Naumanns Wahl zum Bürgermeister fehlten aber die 4,9 Prozent, mit denen die Linkspartei verloren hätte. Die Grünen, das hat ihre Vorsitzende klar gemacht, werden dann auf jeden Fall mit dem stärkeren Bataillon laufen. Und das hat Ole von Beust - in Umfragen, wen die Hamburger lieber als Bürgermeister hätten, liegt er weit vor Michael Naumann. Ohne Linkspartei in der Bürgerschaft hat Schwarz-Grün die Mehrheit. Naumann sitzt in der Opposition, die er, wie er schon sicherheitshalber ankündigte, anführen will.

Da gibt es, zweitens, den Gewinner Naumann. Das heißt, er spielt - Schwarz-Rot - als zweiter Bürgermeister das fünfte Rad an der Wirtschaftskarosse des Ole von Beust. Die darf er dann fleißig aufpolieren. Die soziale Gerechtigkeit, die sein Programm ist, geht darüber perdu. Und dann gibt es drittens den Naumann - aber er verspricht, dass es den nicht gäbe - der als Erster Bürgermeister von Rot-Rot-Grün ein Programm der sozialen Gerechtigkeit (das hat er fest versprochen) durchzuführen versucht.

Jede Stimme für Naumann, die der Linkspartei entgeht und sie unter die fünf Prozent drücken könnte, ist damit eine Stimme für von Beust. Wer Naumann wählt, wählt von Beust.

Als die NDR-Kameras am Sonntagabend schon ausgeschaltet sind, sagt Michael Naumann - laut Hamburger Abendblatt - verzagt zu Ole von Beust: "Damit haben Sie die Wahl gewonnen." Irrtum, der Bürgermeister ("Hamburg boomt") für die gekürzten Sozialausgaben könnte sogar noch einige Mitleidsstimmen aus seiner Partei an Naumann abgeben. Und die Linkspartei, das ist Naumanns großer Erfolg vom Sonntagabend, wird noch stärker. Dann ist die rot-rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft da. Michael Naumann muss - ohne ein Koalitionsblackout mit der CDU einzugehen - nur eines tun: beherzt zugreifen und sich ohne Regierungskoalition mit der Linkspartei von dieser Bürgerschaftsmehrheit zum Bürgermeister wählen lassen. Und das bleibt er, solange er sein Sozialprogramm einhält, da sind ihm die Stimmen der Linken sicher.

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