Die Folter kommt zurück. Am 24. Mai 1945 meldete sich Hitlers Geheimdienst-General Reinhard Gehlen bei der US-Army zwecks weiterer Verwendung. Er hatte kurz vor der Kapitulation eine mehrwöchige Auszeit genommen und sich mit sechs Offizieren und drei Nachrichtenhelferinnen in die verborgene Idylle der Elendsalm zurückgezogen. Dann schlug er sich mit seinen Leuten durch die französischen Linien und hatte den Amerikanern etwas Kostbares anzubieten: ein ganzes Netz von Spionen hinter den sowjetischen Grenzen und Zehntausende von Vernehmungsprotokollen sowjetischer Kriegsgefangener. Dass an Gehlens Papieren Blut klebte, dass die Kriegsgefangenen, die er hatte verhören lassen, gefoltert, ermordet oder dem Hungertod in den Lagern ausgeliefert worden waren, störte nicht. Seine so zustande gekommenen Erkenntnisse waren zu wertvoll: mit 175 voll ausgerüsteten Divisionen stünden die Sowjets bereit zum alsbaldigen Durchmarsch bis zum Atlantik. Da mochte der eigene Geheimdienst sagen, was er wollte, Gehlen glaubte man mehr.
Die "Organisation Gehlen" trat in den Dienst der USA, der Kalte Krieg wurde geboren, später entstand aus der in einer einstigen Pullacher SS-Kaserne untergebrachten Organisation der Bundesnachrichtendienst. 1947 wollten die USA auch ein so hervorragendes Instrument haben - Präsident Truman gründete die CIA.
Knapp sechs Jahrzehnte nach Gehlens Übertritt, eröffnete der US-Botschafter Daniel Coats dem deutschen Innenminister Otto Schily, das da etwas schief gelaufen sei mit einem deutschen Staatsbürger. Schily unternahm nichts. Legal, illegal, scheißegal. Nein, als Achtundsechziger dies auf den Straßen skandierten, hielt sich Otto Schily, ihr Strafverteidiger, vornehm abseits. Damals war er ein Mann des Gesetzes. Das hat aufgehört, als er Innminister wurde. Heute steht er vornehm über dem Gesetz. "Ich bin nicht der Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft", erklärte er vergangene Woche zu dem Vorwurf des CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach, dass "der deutsche Innenminister, der zugleich Verfassungsminister ist, die Entführung eines deutschen Staatsbürgers stillschweigend hingenommen" habe.
Ja, er wusste, dass deutsche Staatsanwälte im Fall el Masri ermittelten, gab ihnen keinerlei Hinweis und bekennt sich voller Stolz zu seiner Untätigkeit. Schily ist tatsächlich nicht der Erfüllungsgehilfe der Staatsanwaltschaft, und das meint: nicht der Mann von Recht und Gesetz.
"Sie befinden sich jetzt in einem Land, in dem es kein Gesetz mehr gibt", hatte der vom CIA verschleppte deutsche Staatsbürger Khaled el Masri von seinen Entführern erfahren. Gemeint war das Land, das irgendwie auch Deutschland ist, denn der alte Verteidigungsminister Struck verteidigte dort - am Hindukusch - unsere Freiheit.
Ungeklärt bleibt die Rolle des damaligen Außenministers Fischer und seines Nachfolgers, des damaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier. Die Bundesregierung, so erklärte der, habe im Entführungsfall el Masri die "Elle von Recht und Gesetz angelegt und zur Geltung gebracht". Und wenn einer das bezweifle, droht der neue Außenminister, "dann werde ich mich wehren". Da wird Steinmeier etwas gegen den Duden unternehmen müssen. Der behauptet, die Elle sei eine "frühere" Längeneinheit und entspreche "etwa 55 bis 85 cm" - mit soviel Toleranz kann man Recht und Gesetz ganz nach CIA-Bedarf dehnen und schrumpfen.
Und Gerhard Schröder selbst, will er tatsächlich weder von Schily noch von Steinmeier informiert gewesen sein? Egal, der kürzlich noch von - sein Rotwein war so gut - deutschen Geistesgrößen für den Friedensnobelpreis vorgeschlagene, erste deutsche Kriegskanzler seit 1945 hat Wichtigeres zu tun. Schilys kundiger Vorgänger und ahnungsloser Nachfolger Wolfgang Schäuble will nun nicht erkennen, "was wir zusätzlich hätten tun" können. Denn "Nachrichtendienste müssen arbeitsfähig sein" - das, tatsächlich, ist und bleibt so auch der CIA in diesem Land. Und darum findet Schäuble auch nichts dabei, dass Nachrichtendienste fliegen. Ja, der neue Verfassungsminister eröffnete am Sonntag der Frau Christiansen mit entwaffnender Offenheit: "Sie kommen doch schließlich nicht mit dem Fahrrad um die Welt."
Gewiss nicht. Da wusste Schäuble längst, der CIA unterhält sein europäisches Luftkreuz mitten in Deutschland, in Ramstein. Von dort wird das, was es, laut Condoleezza Rice, nicht gibt, in alle Welt geflogen. Denn so beschrieb es der ehemalige CI-Agent Robert Baer frank und frei: "Wenn jemand hart verhört werden sollte, schickte man ihn nach Jordanien, sollte er gefoltert werden, war Syrien dran. Und wenn jemand ganz verschwinden sollte, war Ägypten der richtige Platz." Schäuble hat recht. Mit Fahrrädern ließ sich dieses Outsourcing nicht bewerkstelligen.
Schon am Montag wusste Schilys ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast, dass vernünftige Informationen diese Woche weder von den Verantwortlichen der alten noch der neuen Bundesregierung zu erwarten seien - schon gar nicht in der Aktuellen Stunde. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den die Linkspartei will und mit dem die FDP kokettiert, wird es nicht geben, solange die Grünen aus begründeter Sorge um ihren "Joschka" das für seine Einsetzung nötige Quorum nicht herstellen.
Bleibt das zu strenger Verschwiegenheit verpflichtete Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) für die Geheimdienste. Doch das gibt es noch nicht im neuen Bundestag. Der Mann mit der größten Kompetenz, Wolfgang Neskovic, langjähriger Bundesrichter, ist für dieses Gremium nominiert und im Parlament umstritten, weil er von seiner Partei, der Linkspartei, benannt wurde. Wollen die Herrschaften unter sich bleiben? Das läge wohl in ihrem Interesse. Im Interesse dieses Landes wäre es allerdings nicht.
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