Sex mit dem Esel

"Bild"-Empörung Hamburgs Behörden greifen durch

Der Platoniker Lucius Apuleius starb zwar schon vor eintausendachthundertvierundzwanzig Jahren. Doch jetzt schritt die Hamburger Polizei ein und beschlagnahmte - wie Bild sich freute - "ein Ekel-Video, das während des Sex-Spektakels auf einer riesigen Leinwand flimmert."

Das "Sex-Spektakel" ist eine Aufführung der katalanischen Theatergruppe La Fura Dels Baus, die das Traktat Philosophie im Boudoir des Marquis de Sade umfunktioniert hat unter dem Titel XXX zu einer Denunziation der Porno-Industrie unserer Tage - was zu verstehen man weder der Bild-Zeitung noch der Schill-geschulten Hamburger Polizei zumuten kann.

Seit Wochen trommelte Bild-Hamburg gegen die deutsche Erstaufführung der schon in Großbritannien und Spanien sehr erfolgreichen Inszenierung für das Kampnagel-Sommerfestival. Mahnwachen der (Ex-Schill)-Partei Rechtsstaatliche Offensive zogen vor dem Kampnagel-Gelände auf und protestierten gegen Unmoral und Verschwendung von Steuergeldern.

Ein Bild-Reporter erstattete Anzeige und vergangenen Freitag konnte Bild den Vollzug melden: "Das ist eine Straftat, die laut Gesetz mit Haft von bis zu fünf Jahren bestraft wird", zitierte das Blatt einen Polizeisprecher. Und die von Spiegel-Online befragte Sprecherin der Staatsanwaltschaft Marion Zippel erklärte: "Wir prüfen, ob das Video durch die Kunstfreiheit gedeckt ist oder nicht". Sie war allerdings erstaunt, da "diese Inszenierung auch schon an anderen Orten gelaufen ist, ohne dass jemand Anstoß genommen hat".

Das "Ekelvideo", das Donnerstag vor einer Woche beschlagnahmt wurde, zeigt - ich konnte es am Abend dieses Tages auf Kampnagel nicht mehr sehen, aber ich verlasse mich auf Bild - "Eine nackte Frau, die Sex mit einem Esel hat."

Ach ja, das kann man weder Bild (und dem berichterstattenden Spiegel) noch den Hamburger Behörden zu wissen zumuten. Die Straftat findet seit geraumer Zeit statt. Schon um das Jahr 170 nach Christus hat Lucius Apuleius in seinen "Metamorphosen" - bekannt auch unter dem Titel "Der goldene Esel" - die Geschichte des jungen Lucius geschildert, den es in ein hexenbeherrschtes Thessalien verschlägt und der dort wegen seiner Wundersucht in einen Esel verwandelt wird. In dieser Eselgestalt treibt er das - was auch auf dem knapp zwei Jahrtausende später beschlagnahmten Video zu sehen ist - mit der erfahrenen Zofe Photis, die ihn überhaupt erst in die Liebeskunst einführt.

In Hamburg muss man nichts wissen von diesem ersten Roman der abendländischen Literatur, dessen Nachwirkungen weit über Boccaccio, Cervantes und Grimmelshausen hinausreichen. Solch Intellektuellenkram ist einem hochwohllöblichen Senat unter Ole von Beust völlig fern, der jetzt den Anteil der Geisteswissenschaften an der Universität auf die Hälfte herunterfahren will. Bild tadelte ("Für Dreckig-Theater haben wir Geld"), dass der Senat das gesamte Kampnagel-Festival aus Steuergeldern mit 650.000 Euro fördert. Es wäre nützlich, wenn der Senat wenigstens diese Summe einsparen könnte, denn er hat - Bild: "Die Stadt muss sparen, eisenhart" - gerade erst endgültig beschlossen, ein Hobby des Millionärs und ehemaligen Vorstandschefs des Springer-Konzerns Peter Tamm mit 30 Millionen Euro zu fördern. Die bekommt der ehemalige Herr der Bild-Zeitung, um ein Museum für seine Andenken - Schiffsmodelle aus Knochen und Marineschinken - einzurichten. Und da ist es eine gute Nachricht, wenn Bild am Freitag melden konnte: "Polizei filzt Porno-Theater."

Das Schlimmste allerdings im Hamburger pornographischen Angebot hat Bild in diesem Artikel noch nicht entdeckt: "Abartig VERSAUT!", "Hose auf! Ich stöhne für Dich solange Du es brauchst" - "Spritz es mir jetzt rein."

Solche Pornographie gibt es nicht auf Kampnagel. Auch wenn eine "Hamburgerin (gierig nach XXX) mit Auto kommt, wohin Du willst". Auf Kampnagel ist das nicht zu haben, es steht als jederzeit verfügbares Angebot samt Telefonnummer in der selben Bild-Zeitung, die unter den "perversesten Sexpraktiken" im Theater leidet, aber auch die Anzeige druckt: "Scharfe Witwe 69J. verwöhnt Dich privat". - So stand es am vergangenen Freitag auf Seite 27 von Bild-Hamburg.

"Friede Springer, Witwe des Verlagsgründers", meldet dieselbe Bild-Ausgabe auf Seite 1, "gründete jetzt eine Stiftung zur Erforschung von Herz- und Kreislauferkrankungen". Letzte Woche, in einem Prozess vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten blieb völlig ungeklärt, wer bei Bild verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes ist. Aber eines ist sicher: Die Mehrheitseignerin und Springer-Witwe verantwortet letztlich auch die pornographischen Kuppel-Anzeigen in Bild.


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