Technokrat mit Ambitionen

In Bereitschaft Frank-Walter Steinmeier ist die Zeitbombe, die Gerhard Schröder der SPD hinterlassen hat

Die SPD-Spitze musste gerade erst Berichte dementieren, nach denen Kurt Beck bereits Frank-Walter Steinmeier den Vortritt in der berüchtigten K-Frage gelassen habe. Dass "beide freundschaftlich zusammenarbeiten", wie es hieß, glaubt aber kaum jemand mehr. Der Ehrgeiz des Außenministers: Er will SPD-Kanzlerkandidat werden, damit er bleiben kann, was er ist - Vizekanzler und Außenminister unter Angela Merkel.

Einst war er ein guter Junge, bis ihn Gerhard Schröder an die Hand nahm. Morgen wäre er die größere Katastrophe für die SPD, wenn die ihn anstelle von Kurt Beck tatsächlich auf den Kanzlerkandidatenposten setzte.

Als er noch jung und Juso war, forderte Frank-Walter Steinmeier ein "Grundrecht auf Wohnraum", dessen erster Artikel lauten sollte: "Der Schaffung und Erhaltung von gesunden Wohnbedingungen für alle Menschen gilt die besondere Verantwortung des Staates." Der dritte sah sogar vor: "Eine Räumung von Wohnraum darf nur vollzogen werden, wenn zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung steht." So steht es in Steinmeiers Inauguraldissertation "Bürger ohne Obdach - zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum. Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit". Der Text wurde 1992 im Verlag Soziale Hilfe in Bielefeld auf 444 Seiten gedruckt. Vorgelegt hatte der junge SPD-Mann seine Doktorarbeit in Gießen schon 1991 unter dem noch zukunftsfähigeren Titel: "Das polizeiliche Regime in den Randzonen sozialer Sicherung."

Homo schroederiensis schlechthin

Noch im selben Jahr wandelte er sich zum Homo schroederiensis schlechthin. Steinmeier, der in Schröders Geburtsort, dem niedersächsischen Städtchen Blomberg, Abitur gemacht hatte, trat in dessen Staatskanzlei zunächst als Medienreferent ein, 1993 wurde er Leiter des persönlichen Büros des niedersächsischen Ministerpräsidenten und schließlich auch von dessen Staatskanzlei. Als Schröder 1998 ins Kanzleramt kam, nahm er den Freund mit, zunächst als Staatssekretär, und bald als Chef des Bundeskanzleramtes. Nur zu Gazprom folgte der Vertraute seinem Genossen nicht mehr - er flüchtete sich 2005 unter die Fittiche von Angela Merkel als deren Vizekanzler und Außenminister.

Steinmeier wusste, dass der Mensch ein Obdach braucht, weil "die Gruppe der Obdachlosen - selbstverständlich ungewollt - eine gesellschaftliche Funktion als ›disziplinierendes Negativbild‹ übernimmt". Das hatte er schon in seiner Dissertation erkannt. Und wenn Obdachlosigkeit in Befragungen ganz zweifellos als "letzte Sprosse menschlichen Versagens" bezeichnet werde, "dann kommt Obdachlosen gewissermaßen die Funktion zu, vor allem den von Obdachlosigkeit bedrohten Haushalten die Folgen des endgültigen Verlassen bestehender Ordnungszusammenhänge und der sie garantierenden Normordnung zu demonstrieren".

Unter der Mitregierung des Obdachlosenexperten Steinmeier ist die Armut in Deutschland kontinuierlich gestiegen und mit ihr die Gelegenheiten für immer mehr Obdachlosigkeit. Schon jeder achte Deutsche hat eine reale Chance, arm zu werden. In den siebzehn Jahren seiner politischen Tätigkeit hat Frank-Walter Steinmeier nichts für ein Grundrecht auf Wohnen unternommen. Untätig war er dennoch nicht. Wann immer Schröder befahl "Mach mal Frank", apportierte Steinmeier geschwind. Und wenn auch nichts aus dem "Grundrecht auf Wohnen" wurde - das "polizeiliche Regime", dort, wo es vertraulich ist, hat er unter Schröder entschieden vorangebracht. Er kann mit den Geheimdiensten. Er deckt den von Hitlers Spionagegeneral Gehlen mit beachtlichem SS- und SD-Anteil gegründeten Bundesnachrichtendienst auf allen seinen Wegen.

Beihilfe zum Irakkrieg

Da ist zum Beispiel Steinmeiers Beihilfe zum Irakkrieg. Im Dezember 2002 konnte Schröder, der erste Kriegskanzler seit 1945, der bevorstehenden Wahlen wegen diesen neuen Krieg nicht brauchen und lehnte ihn öffentlich ab - "nah bei den Menschen", würde das heute im SPD-Sprech heißen. Etwas weiter weg waltete Steinmeier als Kanzleramtsminister, zuständig für den Bundesnachrichtendienst. Damals war George W. Bush in einer üblen Lage. Er brauchte den Krieg gegen den Irak, im Interesse der USA. Aber mit den Kriegsgründen haperte es. Er konnte einfach nicht beweisen, dass Saddam Hussein Massenvernichtungsmittel besaß. Steinmeiers BND hatte da einen zuverlässigen Zeugen.

Es war ein Hochstapler, wie der BND schnell durchschaute. Aber da man in diesem Geheimdienst die Interessen Deutschlands definiert, fragte der damalige Geheimdienst-Chef August Hanning bei seinem Vorgesetzten Steinmeier an, ob man dem CIA-Chef George Tenet einen Gefallen erweisen dürfe. Steinmeier gestattete es. Hanning hatte Zweifel an seinem jenseits des Atlantiks hoch erwünschten Zeugen. Aber, so stellte er dem CIA-Chef anheim: Sollte Tenet "dennoch der Meinung sein, die Berichte und die gemeinsamen Bewertungsergebnisse über mobile biologische Kampfstoffe öffentlich zu verwenden", dann, schrieb Hanning, "stelle ich dir dieses Vorgehen in Erwartung der Sicherstellung des für unsere Arbeit unabdingbaren Quellenschutzes frei".

Steinmeier deckte alles

Der "Spiegel", der Auszüge aus diesem Brief veröffentlichte, schrieb: "In der Sprache der Nachrichtendienste heißt das: Macht in Gottes Namen, was Ihr wollt, aber übernehmt dafür auch die Verantwortung." Doch die letzte Verantwortung trug Steinmeier, der als oberster Chef des BND die Weitergabe einer kriegsstiftenden Fälschung erlaubte. Bush durfte sich auf das vom BND geliefert Zeugnis eines Hochstaplers verlassen, um den Angriffskrieg gegen den Irak zu eröffnen.

Und er hat ja nicht nur George W. Bush in den Krieg geholfen. Wenn dem BND immer wieder vorgeworfen wird, der CIA bei ihren Entführungs- und Folterungsunternehmen Beistand geleistet zu haben, einer hat alles gedeckt: Steinmeier. Im Fall Murat Kurnaz, der von 2002 bis 2006 festgehalten und gefoltert wurde, unternahm er nichts, als die USA dessen Abschiebung nach Deutschland anboten. Kein Wunder, später berichtete Kurnaz, zwei Männer mit deutscher Flagge auf der Uniform hätten ihn an den Haaren gerissen, seinen Kopf auf den Boden geschlagen, einer habe gesagt: "Weißt du, wer wir sind? Wir sind die deutsche Kraft. KSK". Ein Kontakt zwischen KSK und "dem Deutschen" wurde dem Verteidigungsministerium gemeldet, auch dem damaligen Chef des Kanzleramts Frank-Walter Steinmeier. Er deckte alles.

Steinmeiers Ehrgeiz ist groß: Er will Kanzlerkandidat werden, damit er bleiben kann, was er ist - Vizekanzler und Außenminister unter Angela Merkel. Gerhard Schröders Lieblingszeitung, die Financial Times Deutschland, hat das richtig beschrieben: "Steinmeier und Steinbrück haben überhaupt kein Interesse an einem Wahlsieg der SPD. Als SPD-Technokraten in den Rollen des Außenministers und des Finanzministers genießen sie eine Machtfülle innerhalb der Regierung und der Partei, die sie in einer von Kurt Beck geführten Regierung nicht hätten. Mit Angela Merkel an der Spitze einer Großen Koalition lebt es sich aus deren Sicht exzellent."

Frank-Walter Steinmeier ist die Zeitbombe, die Schröder der SPD hinterließ, nachdem er deren Destruktion nicht völlig geschafft hatte.

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