Vom Regen in die Jauche

Der "Fall Wallraff" Über Fälscherwerkstätten und sonstige Behörden

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung findet einen Satz so schön, dass sie ihn vergangene Woche veröffentlichte und diesen Dienstag erneut druckte: "Der Wallraff und der Heiner Müller glaubten beide, die Stasi über den Tisch ziehen zu können, aber sie wurden von der Stasi gefickt, wie das im Deutschen heißt." Das glaubt Wolf Biermann im Blatt für Deutschland und er fügt hinzu: "Es gibt nur einen Weg des Umgangs mit eigener Geschichte: sich immer in die Wahrheit retten."

Die Wahrheit! Die Wahrheit? Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Ich wüsste sie gern. Einen Teil der Wahrheit kenne ich - fast so gut wie Biermann, der mit seinem Interview über den von der Stasi gefickten Wallraff dem Mann ins Bett schiss, der den Liedermacher gastfreundlich aufnahm, als er 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde.

Er sei vom Regen in die Jauche gekommen, sang Biermann damals, und mit Jauche meinte er die westlichen Staatssicherheitsdienste und die Springer-Presse, von der er sich heute zum Endkampf gegen seine Freunde von damals anstellen lässt.

Biermann: "Stasi gut"

Damals, als Wallraff Biermann in seine Wohnung aufgenommen hatte, wollte der von der SED Vertriebene einen Anti-Stasi-Blues, den er im Osten gesungen hatte, nicht im Westen vortragen. Als er es in Hamburg doch einmal tat, schrieb er auf seinen Waschzettel für das Konzert rot und dick unterstrichen "Stasi gut". Und erklärte seinem Publikum: "Ein sozialistischer Staat braucht eine ›Stasi‹, braucht sie gegen die Reaktion und gegen die Aggression von außen - er darf sie aber nicht missbrauchen gegen die eigenen Genossen."

Biermann 1976 - er war tatsächlich in die Jauche geraten, in der Wallraff schon lange saß, und ich habe auch einige Spritzer abbekommen. Damals war ich für den Stern in Hamburg tätig und telefonierte einige Male mit den beiden in Köln. Eines Tages kam heraus: Der Bundesnachrichtendienst, der eigentlich nur gegen den äußeren Feind tätig werden darf, hatte sich in Wallraffs Telefonleitung eingenistet - soweit damals völlig üblich. Aber der BND hatte auch noch - für seine Freunde tut man alles - eine Parallelleitung in die Kölner Redaktion der Bild-Zeitung geschaltet. Jahre später kam es zum Prozess gegen zwei Bild-Redakteure - natürlich nicht gegen den BND. Sie kamen mit milden Strafen davon.

Ich war vor dem Kölner Gericht als Zeuge geladen, am Abend besuchte ich Wallraff mit meiner Frau. Als wir in der Dunkelheit herunterkamen, strich ein Mann um unseren Wagen. Wir fragten ihn, was er suche, es ergab sich ein einstündiges Gespräch. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er für einen Geheimdienst tätig war. Wir versuchten ihn aufzuhetzen, er solle doch der Gewerkschaft beitreten, wenn er so spät am Abend noch Überstunden machen müsse.

Für Wallraff blieb die Überwachung durch die Achtgroschenjungs von Verfassungsschutz und BND, die ihn zum Bombenlegen animieren wollten, weniger spaßig. Auch nicht, dass auf der Autobahn sein linkes Vorderrad plötzlich spazieren ging - am Rad war manipuliert worden. Oder, dass sein Archiv durch Brandstiftung vernichtet wurde. Richtig gefährlich wurde es einmal in Portugal unter General Spinola. Angeführt von einem BND-Beamten stürzte sich ein halbes Dutzend portugiesischer Geheimpolizisten auf den Mann, den sie für Wallraff hielten. Sein Glück: er war es nicht.

So war das damals, als Wallraff laut Tagespiegel der "Topagent" gewesen sein soll, auf den die Stasi "größte Hoffnungen" setzte. Die Kölner Rundschau hat einen stringenten Beweis für Wallraffs Schuld in den Stasi-Akten gefunden: "Er wird ausdrücklich als A-Quelle bezeichnet. A für ›Abschöpfen‹, ein Täter also und kein Objekt der Ausforschung." Doch wer abgeschöpft wird, dem geschieht etwas, der ist nicht Täter, sondern Objekt.

"Man mag mir Naivität und Leichtgläubigkeit vorwerfen", hat Wallraff auf seiner Pressekonferenz gesagt, Verpflichtungen sei er nie eingegangen, und seine Berichte über den Bayer-Konzern und über chemische und biologische Waffen für die Bundeswehr, die auf den Karteikarten verzeichnet sind, hat er nicht heimlich der Stasi geliefert, er hat sie in konkret veröffentlicht. Mir liegt die Nummer 17 von 1970 vor. Fünf Seiten. Titel: Konkret enthüllt: Die verbotene Aufrüstung, einschließlich einer Ehrenerklärung des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt für den Bayer-Konzern. Auch Monitor hatte über verbotene B- und C-Waffen bei der Bundeswehr berichtet. Viele Jahre später war ich für den WDR dabei, als es in Munsterlager eine Bundeswehr-Pressekonferenz gab über eine Auflösung der Kampfstoffdepots, angeblich aus dem Krieg.

Wenn die Stasi Wallraffs konkret-Artikel sammelte, war er da etwa nicht, wie der Tagespiegel verbreitet, der "Topagent" auf den im Kriegfall der Osten "größte Hoffnungen" setzte? Und hat er nicht auch das Dokumentarmaterial für seine Veröffentlichungen über die NS-Vergangenheit bundesdeutscher Politiker aus der DDR bezogen? Hat er sich damit etwa nicht zum Instrument der großen Desinformationskampagne der Stasi gemacht, die die SED gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik führte?

Auch ich habe 1986, als ich ein Buch über die IG Farben schrieb, über meinen Verlag ein Dokument aus einem DDR-Archiv bekommen, das mir im Westen nicht zugänglich war. Mit dessen Hilfe konnte ich das Datum des von der westdeutschen Historiographie bis dahin unterschlagenen Treffens zwischen Hitler und der IG-Farben-Spitze am 25. Juni 1932 rekonstruieren. Ein Treffen, das dazu führte, dass in Leuna die für einen Krieg unentbehrliche Produktion von synthetischem Benzin fortgeführt wurde.

War ich nicht auch, als ich das Dokument benutzte und damit drei ehrbare westdeutsche Konzerne, die IG-Nachfolger Bayer, BASF und Hoechst diffamierte, williges Opfer einer Desinformationskampagne des Ostens, war ich auch von der Stasi gefickt? Es gab ja schließlich erwiesenermaßen Fälscherwerkstätten.

IG Farben: Hervorragender Betrieb

1990 belegte der ehemalige Spiegel-Journalist Peter-Ferdinand Koch in einem Buch (Der Fund) eindeutig, wie der "mächtige Fälscher-Apparat der DDR" gearbeitet hat, wenn es darum ging, eine Nazivergangenheit westdeutscher Politiker nachzuweisen: "Ob das Institut für Deutsche Geschichte in Ost-Berlin, das Historische Institut in Jena, das Institut für Marxismus-Leninismus in Greifswald, das [sic:] Halenser Institut für Gesellschaftswissenschaften, selbst das Oberste Gericht der DDR mischte, in Einzelfällen, mit - von Jahr zu Jahr wurde makelloser nachgebildet, perfekter desinformiert, vollendeter nachgedruckt, beispielhaft für die Fälscherzunft ›simuliert‹."

Und was würde erst geschehen, wenn die Fälscher von damals - Koch schrieb das im Anschlussjahr 1990 - heute reden würden: "Manch angeschmierter Journalist des Westens würde die Welt nicht mehr verstehen, hatte er doch - in einer vermeintlichen Sternstunde - an die Echtheit des ihm zugespielten exklusiven Materials fest glauben wollen. Die Potsdamer (Sitz des Zentralarchivs und des Militärarchivs) Hexenküchen konnten so echt fabrizieren, dass es echter nicht mehr geht."

Ex-Bundespräsident Heinrich Lübke und Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke wurden so in wahren "Glanzstücken" von der "DDR-Fälschungsszene" verleumdet. Einzelheiten nennt Koch nicht. Aber in einem Fall, in dem ich wohl auch mit einer Stasifälschung gearbeitet haben muss - ein verdienter Industrieller wird in eine Verbindung mit Auschwitz gebracht - da wird Koch sehr konkret: "Otto Ambros, ehedem bei der I.G. Farben, wurde mit einem gefälschten Briefkopf ›Dr. Otto Ambros‹ in die Nähe der SS gerückt: Er habe im Dritten Reich keine Einwände gehabt, auf die Einschaltung des ›wirklich hervorragenden Betriebes des KZ-Lagers zugunsten der Buna-Werke‹ zurückzugreifen. Der DDR kam es ausschließlich auf diesen einen Nebensatz an. Der Ambros-Briefkopf war auf Papier der enddreißiger Jahre nachgedruckt und mit Hilfe einer damals gebräuchlichen Schreibmaschine ›betextet‹ worden, Ambros ›archivierte‹ Unterschrift im Nu kopiert. Immerhin hielt Ambros das Schreiben für möglich, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte. Die Fälscher hatten perfekt gearbeitet - und trotzdem einen Fehler gemacht. Ambros erhielt, viel später, die Nachricht, seine Mitteilung aus dem Jahr 1941 habe sich als ›Totalfälschung‹ herausgestellt, denn ein Vergleich mit den Originalen zweier Ambros-Briefe aus jener Zeit hatte ergeben, dass das DDR-Schreiben einen banalen Fehler aufwies: die unter dem Namen stehende Zeile ›I . G. FARBENINDUSTRIE AKTIENGESELLSCHAFT‹ war auf dem Falsifikat um sechs Millimeter zum Namen hochgerutscht. Bei den echten Briefköpfen war der Abstand ein anderer. Da hatte der DDR-Metteur wohl nicht aufgepaßt."

Eine Quelle für diese Erkenntnisse gab Koch auch an: "Dem Autor liegt eine umfangreiche Ausarbeitung über die Fälscherstrukturen der DDR vor; die 42 Seiten berücksichtigen etwa den Zeitraum bis 1982."

Der ehemalige Spiegel-Journalist Peter-Ferdinand Koch, der dies alles schrieb, ist ein lieber netter Kollege, dem man nichts vormachen kann. Vom wem aber stammt diese 42seitige Ausarbeitung? Vom BND, sagte mir Autor Koch und schien verwundert, dass es da irgendeine Frage geben kann.

Otto Ambros: Segensreiche SS

Der BND machte allerdings einen etwas schlichteren Fehler als etwaige Stasi-Metteure: Der Ambros-Brief lag schon drei Jahre, bevor die DDR überhaupt gegründet wurde, beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess vor. Ambros konnte sich damals noch besser erinnern, bestritt nicht, dass er den Brief geschrieben hatte, in dem nicht nur von dem "hervorragenden Betrieb des KZ-Lagers" - gemeint ist Auschwitz - die Rede war. Es stand dort auch der Satz: "Außerdem wirkt sich unsere neue Freundschaft mit der SS sehr segensreich aus." Das KZ lieferte Tausende von Zwangsarbeitern, die - nachdem ihre Arbeitskraft bei schlechter Ernährung aufgezehrt war - von der IG Auschwitz zur Vernichtung an das KZ Auschwitz rücküberstellt wurden.

Für den BND gab es nun einmal - Fälschung sollte man dies nicht nennen - ein dringendes staatsbürgerliches Interesse, dass der Ambros-Brief von 1941 eine nachträgliche Stasifälschung gewesen sein musste. Nach seiner Entlassung aus dem Kriegsverbrechergefängnis wurde Ambros Berater des ebenfalls wieder in die bessere Gesellschaft aufgenommenen Kriegsverbrechers Friedrich Flick, und so kam es, dass 1983 sein Name von dem Flickvertrauten Eberhard von Brauchitsch vor dem Flick-Untersuchungsausschuss des Bundestages erwähnt wurde.

Da fragte Otto Schily - der damalige - als Abgeordneter der Grünen: "Ist es richtig, dass Herr Dr. Ambros auch an Aktivitäten der Firma I.G. Farben in Auschwitz beteiligt war?"

Der Ausschussvorsitzende: "Herr Schily, diese Frage hat mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun!"

Schily: "Doch!"

Der Vorsitzende: "Ich kann sie nicht zulassen."

Fünfmal ließ der Ausschussvorsitzende und Reserveleutnant Manfred Langner entsprechende Fragen nicht zu. Langner ist 1941 in Kattowitz - unweit von Auschwitz - geboren, wo sein Vater, mit dem er später in Weilburg eine Rechtsanwaltskanzlei betrieb, schon als Jurist tätig war.

All das sind so alte Geschichten. Aber bitte, wenn´s denn sein soll: Akten auf den Tisch, aber alle, die der Stasi und die des Verfassungsschutzes und des BND, für die mancher Journalist eine Nebentätigkeit entfaltet. Dann werden wir sehen, wer alles auf wen "größte Hoffnungen" setzte und noch immer setzt.

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