Bewahren". Die XV. Abteilung in der Ausstellung "Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung" trägt diesen Titel. Das Deutsche Historische Museum, das sie zeigt, befindet sich im Berliner Zeughaus, seit 1731 Aufbewahrungsort für Kriegsgerät und Trophäen. Ausstellungsgegenstand XV/13 heißt, laut Katalog: "Stahlhelm eines englischen Soldaten und Stahlhelm Ernst Jüngers."
Der Helm des Engländers ist - wie der abgeschnittene Kopf unter den Primitiven - Jüngers Siegeszeichen, seine "Trophäe". So nannte er ihn in seinen "Stahlgewittern". Der Stoßtruppführer hatte sich 1917 aus Abenteuerlust einer anderen Patrouille anschlossen und war in Kampf geraten mit einer britisch-indischen Truppe. Erst am nächsten Tag entdeckte er, dass dabei ein englischer Oberleutnant durch einen Kopfschuss getötet worden war. Zum Andenken ließ er sich neben der Leiche fotografieren und nahm den Stahlhelm, der dem Engländer nichts genutzt hatte, am Ende mit nach Hause, wo ihn - damit schließen Jüngers "Stahlgewitter" - die Nachricht ereilt, dass Seine Majestät der Kaiser ihm den höchsten deutschen Orden Pour le Mérite für "Verdienste im Krieg" verliehen hat, den er nunmehr noch acht Jahrzehnte lang in Würde tragen wird.
Die beiden Stahlhelme kommen aus Jüngers Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach, auf die Präsentation des dazugehörigen Ordens hat das Deutsche Historische Museum verzichtet. 1917 war Jünger 22 Jahre alt. Sein toter Feind dürfte im gleichen Alter gewesen sein, damals. Jünger wurde 102 Jahre alt, geehrt noch von Kanzler Kohl. Dem Mann, dem das "Stahlgewitter", der Vernichtungskampf zum "inneren Erlebnis" wurde, lebte fünfmal so viel Leben wie der Feind - und so mancher Soldat.
Jüngers Helm ist gerettet, er schützte die "Ideen von 1914" - das Deutsche Historische Museum kann ihn ausstellen. Weniger gut geht es der deutschen Uniformhose von 1914. Beim Presserundgang schilderte der Düsseldorfer Historiker Gerd Krumeich vom Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung, wie verzweifelt man sich bemüht habe, eine deutsche Uniform-Hose von 1914 für die Vitrine II/5-9 zu beschaffen. Es war keine mehr auffindbar. Jedenfalls keine in ausstellungsgeeignetem Zustand.
Selinski-Kumant-Gasmaske
"Als Museumsverein freuen wir uns darüber", schreibt Vorsitzender Prof. Dr. h.c. Dieter Stolte über diese Sonderausstellung zum 90. Jahrestag des - wie er meint - "Ausbruchs" des Ersten Weltkriegs. Der heutige Welt-Herausgeber, der als ZDF-Intendant die Verknoppung der NS-Geschichte erfand, hofft nunmehr, dass die Weltkriegsausstellung "eine große Resonanz in unserer Gesellschaft findet". Das ist ihr nicht nur aus seiner Sicht zu wünschen. Auch aus solchen Paradestücken wie Jüngers und seines toten Feindes Helmen lässt sich einiges lernen.
Mehr noch ließe sich aus dem Gaskrieg einsichtig machen, den die Deutschen am 22. April 1915 vor Ypern eröffneten, doch da zeigen sich die Ausstellungsmacher sparsam. Gewiss, die Ausstellung informiert, dass die Deutschen am 22. April 1915 zum ersten Mal Giftgas einsetzten und damit einen "kriegsvölkerrechtlichen Tabubruch" begingen. Die Otto-Dix-Radierung Gastote ist in der Abteilung XVI "Erzählung" als "verstörende Erfahrung" (Ausstellungsmacher Rainer Rother) zu sehen. In der Abteilung V "Material" steht - weniger verstörend - das Modell eines deutschen "Pressgasminenwerfers mit Zweikammersystem und Munition", der wegen der Verwendung von Pressluft statt Pulver einen "Vorteil" hat. Erläuterung: "Der Vorteil bestand darin, dass so der Standort des Minenwerfers vom Feind weder durch einen lauten Knall noch durch Rauch- oder Feuerentwicklung zu lokalisieren war."
So gesehen zeigt gleich darauf die Abbildung der Selinski-Kumant-Gasmaske einen - man muss es sagen - "Nachteil": sie diente in der russischen Armee zum Schutz vor dem deutschen Pressgasminenwerfer und den anderen deutschen Gaswaffen.
Das ist unser Doktor!
Die eigentliche Information zum Giftgaskampf - und das ist dann auch schon wirklich alles - liefert unmittelbar danach die "Schautafel 51/52 zum Gaskrieg". Sie stammt aus einer Sammlung von beidseitig beklebten Tafeln aus dem Wehrgeschichtlichen Museum in Rastatt und von ihr geht - wie das Deutsche Historische Museum seine Besucher informiert - "eine irritierende Spannung aus".
Warum? Das ist schwer zu verstehen. Ein Oberstleutnant Herbert von Stumm aus der Gastruppe des Chemikers Fritz Haber hat - so erläutert die Museumslegende - "persönliche Kriegerinnerungen" aufgeklebt: "unter anderem ein privates Erinnerungsfoto von Haber, einen französischen Zeitungsbericht über den Einsatz von Gas durch deutsche Truppen sowie eine Auflistung der Befugnisse und Aufgaben des Inspekteurs des Gasregiments."
Doch was wirklich zu irritieren imstande ist, das ist das in der Museumslegende nicht benannte "andere": das Foto einer mächtigen Villa und ein ordentlich gereimtes Gedicht. Das Foto trägt die kaum erkennbare handschriftliche Aufschrift: "Bei Duisberg in Leverkusen".
Neugierig? Das Deutsche Historische Museum wahrt vornehme Diskretion. Es handelt sich schließlich um die private Villa des Geheimen Regierungsrates und Vorstandsvorsitzenden der Farbenfabriken Bayer in Leverkusen Carl Duisberg. Dem Mann, der zu den einflussreichsten Unternehmern des Ersten Weltkriegs gehört und dessen Name in der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums nur in dieser kryptischen Fotobeschriftung vorkommt.
Und das Gedicht? Es fragt:
"Wer leitet den Krieg mit strategischem Blick? Und schrickt vor der Feinde Zahl niemals zurück? Wer bricht durch die Linien und rollt sie dann auf, dass die Feinde entfliehen in eiligem Lauf?"
Und antwortet:
"Das ist unser Doktor."
Und so fünf Strophen lang ("Wer ist so gebildet, dass alles er kennt - jede Schlacht mit dem Datum und Jahreszahl nennt?"), immer mit den Refrain: "Das ist unser Doktor."
Welcher Doktor? Es kann nur der Major Max Bauer sein, dem die Friedrich-Wilhelm-Universität, die zur Zeit immer noch ihren DDR-Namen Humboldt-Universität tragen muss, ihren Ehrendoktor verlieh: den Doktor der Philosophie für Bauers Verdienste um die Entwicklung der Krupp-Kanone Dicke Berta. Die Urkunde, die sich hoffentlich noch im Archiv der wenige Meter entfernten Universität befindet, wäre eine wahre Zierde der Ausstellung gewesen, ein Sinnbild für die Ideen von 1914, für die unzertrennbare Einigkeit von deutscher Philosophie und deutschem Kriegshandwerk.
Dieser Philosophiedoktor Max Bauer war der einflussreichste deutsche Militär, der eigentliche strategische Kopf im militärisch-industriellen Komplex des Ersten Weltkriegs. Kopf? Nein, er war das Hirn der Kriegführung in der Obersten Heeresleitung, die spätestens ab 1916 Deutschland beherrschte, Ludendorff war der Kopf und Hindenburg die repräsentative Figur. Max Bauer arbeitete für Hindenburg und Ludendorff die Pläne aus, bestimmte den Einsatz der technischen Kampfmittel und hielt intensiven Kontakt zur Rüstungsindustrie. Von ihm stammt das Hindenburg-Programm zum totalen Einsatz der Zivilbevölkerung. Er führte auch zusammen mit Fritz Haber und Carl Duisberg den Gaskrieg an. Er betrieb aktiv den Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. Er versuchte im Februar 1918 den ihm vertrauten Kronprinzen Wilhelm für einen Putsch gegen den Kaiser zu gewinnen.
Nach der Revolution hielt er engen Kontakt zur Garde-Kavallerie-Schützendivision und gründete mit Waldemar Pabst die Nationale Vereinigung, die das Führungszentrum des Kapp-Putsches wurde. Als der Putsch gescheitert war, floh er ins Ausland, wurde Berater verschiedener Regierungen und starb 1929 als Militär- und Wirtschaftsberater von Chiang Kai-schek in Schanghai.
Doch diesen für die deutsche Kriegführung im Ersten Weltkrieg so bestimmenden Militär nimmt das Deutsche Historische Museum für seine Weltkriegsausstellung nicht zur Kenntnis, obwohl es die interessantesten Dokumente und Briefe ausstellen könnte.
Belgien, das große Menschenbassin
Im Bundesarchiv - ich setze voraus, dass dessen Existenz dem Deutschen Historischen Museum bekannt ist - findet sich der Nachlass Bauers, der dessen, ja schon intimen Briefwechsel mit Bayer-Chef Duisberg in Leverkusen enthält, der sich freut, wie schon 1914 der "Munitionsmangel ... uns zusammenführte und uns nicht nur menschlich näher brachte, sondern auch praktisch in die Speichen des Kriegsrades eingreifen ließ."
Deutschland hätte spätestens im Frühjahr 1915 wegen der Rohstoffblockade aus Munitionsmangel kapitulieren müssen, viele Millionen Menschen wären nicht umgekommen, wenn die deutsche chemische Industrie - Carl Bosch von der BASF an der Spitze, aber auch Duisberg von Bayer - die synthetische Düngerproduktion nicht zur Herstellung von Munition umgestellt hätte. Aus den wertlosen Abfällen deutscher Chemieprodukte entwickelte Duisberg zusammen mit Bauer - Jubelbriefe gibt es da! - die deutsche Gaswaffe.
Schließlich führte Bayer-Chef Duisberg die mit der BASF, Hoechst und anderen gegründeten Interessengemeinschaft Farben an, deren Weg 1941 nach Auschwitz führte. Vornehmlich belgische Zwangsarbeiter wurden schon 1916 zum Bau der Leuna-Werke bei Merseburg eingesetzt. "Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien", verlangte Duisberg von Hindenburg und Ludendorff. Bauer tat, was er konnte. Nicht nur das neue IG-Werk Leuna wurde mit Zwangsarbeitern aus ganz Europa aus dem Boden gestampft.
"Sähen Sie jetzt einmal, wie es hier in Leverkusen aussieht, wie die ganze Fabrik umgekrempelt und umorganisiert ist, wie wir fast nichts mehr als Kriegslieferungen ausführen ... so würden Sie als Vater und Anstifter der Produktion Ihre helle Freude haben." So bedankte sich Duisberg bei Bauer, welch ein Ausstellungsstück wäre dieser Brief.
Unbekannt kann er eigentlich nicht sein. Schon vor 38 Jahren zitierte der US-Historiker Gerald D. Feldman ausführlich aus diesem Briefwechsel. Er folgerte daraus, dass für die militärisch-industriellen Männerfreunde Duisberg und Bauer Deutschlands Diktatoren Hindenburg und Ludendorff ausführende Organe wurden: "Sie akzeptierten ganz einfach das Munitionsprogramm, das von Bauer und den Industriellen bevorzugt wurde... Das Hindenburg-Programm wurde ebenso von der Gewinnsucht der Industriellen und von Bauers Streben nach Macht bestimmt wie von dem Wunsch, aus dem Produktionskampf als alleiniger Sieger hervorzugehen, doch es waren Geld und Macht, die auf die Gestaltung des Programms entschieden einwirkten."
Welch ein Thema wäre dies für die Weltkriegsausstellung eines Deutschen Historischen Museums gewesen. Aber Jüngers Stahlhelme sind auch recht schön.
Aus dem Literaturangebot:
Neben dem Katalog zur Ausstellung von Rainer Rother Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung (374 S. 40 Euro) ist eine Fülle von Literatur zum 90. Jahrestag des Weltkriegsbeginns erschienen.
Über Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten schrieb Brigitte Hamann bei Piper den reich illustrierten Band Der Erste Weltkrieg (192.S. 29,90 Euro).
Wolfgang J. Mommsen hat für ein Fischertaschenbuch Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters (Nr. 15773, 220.S., 13,90 Euro) seine Aufsätze zum Thema zusammengestellt - besonders wichtig das Kapitel über den sogenannten "polnischen Grenzstreifen". Durch eine "völkische Flurbereinigung" sollten die Polen schon damals in die Ukraine umgesiedelt werden, um einen rein deutsch zu besiedelnden Grenzstreifen zu schaffen, "eine Art von ethnischer Militärgrenze". In der Ausstellung ist dies, wie überhaupt die deutsche Kriegszielpolitik, völlig unterbelichtet.
John Horne und Alan Karamer vom Trinitiy College/Dublin haben in der "Hamburger Edition" des Reemtsma-Instituts eine umfangreiche Studie Deutsche Kriegsgreuel 1914 (742 S., 40 Euro ) über die Verbrechen der Deutschen in Belgien und Nordfrankreich herausgebracht - mehr als 6.000 Zivilisten wurden zu Kriegsbeginn von den vorrückenden deutschen Truppen ermordet.
Wer umfassend und solide gerade auch über den militärischen-industriellen Komplex informiert werden will, ist am besten mit den rund 200 Seiten bedient, die Hans-Ulrich Wehler im vierten Band (1914-1949) seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte (Beck-Verlag, 1173 S. 49,90 Euro) dem Ersten Weltkrieg widmet.
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