"Die einen engagieren sich für ihre Stadt; die andern verdienen an ihr." So meinte der Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeiger Franz Sommerfeld die jüngst zutage getretene Spendenaffäre zwischen Müllwirtschaft und SPD analysieren zu können. Die, die die Korruption finanzieren, zählen demzufolge zur "aktiven Bürgergesellschaft" - Schmarotzer sind dagegen diejenigen, die das Geld empfangen und sich dabei, wie der Kölner SPD-Fraktionschef Rüther, von Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit erwischen lassen. Fast alle Regionalblätter in Nordrhein-Westfalen taten die Affäre - analog zu Interpretationsversuchen der SPD-Spitze - als Kölner Folklore ("Klüngel") und lokales Phänomen ab. Es wäre gut um die Republik bestellt, wenn das die Wahrheit wäre. Der möglicherweise selbst involvierte ehemalige Kölner Regierungspräsident Antwerpes kommentierte das jedoch ganz richtig: Der Unterschied zum übrigen Deutschland besteht lediglich darin, dass in Köln "offener darüber geredet" wird.
Geredet wird in Köln zum Beispiel über den ehemaligen Oberstadtdirektor Ruschmeier (SPD). Der wechselte von der Geschäftsführung der Angelegenheiten von einer Million Kölner zur Geschäftsführung des Esch-Fonds beim Bankhaus Oppenheim. Das sind nur 74 Kölner - darunter der Verleger Neven DuMont -, die mit dem Fond ihr umfangreiches Familienvermögen zu mehren versuchen. Der Esch-Fonds finanzierte unter anderem den Bau der Köln-Arena durch die Firma Holzmann (Konzernmutter RWE) und kassiert deshalb die Steuervorteile und Mieteinnahmen. Dieses Projekt hat Ruschmeier zuvor noch als Oberstadtdirektor politisch durchgesetzt. Er hat also den - selbstverständlich überteuerten - Mietvertrag faktisch für beide Seiten abgeschlossen. Zu lesen ist darüber in Köln freilich nichts, weil die ansässigen Tageszeitungen alle der Familie DuMont gehören.
Die Kölner SPD/CDU-Seilschaften, gestützt durch die Blätter des Verlagshauses Neven DuMont, setzten in den neunziger Jahren den Bau einer überflüssigen, aber immerhin 800 Millionen Mark teuren Müllverbrennungsanlage durch. Bezahlt wird sie bis heute aus überteuerten Gebühren. Sie war nach dem Eintritt der Grünen in die NRW-Landesregierung 1995 auch durch die neue Umweltministerin Höhn nicht mehr zu verhindern; alle Genehmigungen waren erteilt. Diese letzte Großanlage ihrer Art wurde von einer Gummersbacher Firma gebaut, die 30 Millionen Mark in die Schweiz transferiert haben soll, von wo aus sie irgendwie wieder in Köln verteilt worden sein müssen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Betrieben wird die Anlage im übrigen von einer Firma, an der die Müllfirma Trienekens führend beteiligt ist. An Trienekens wiederum besitzt der RWE-Konzern 50 Prozent. Letzteres erwähnen die meisten Regionalblätter, die seitenlang über die Affäre berichten, vorsichtshalber nicht. Denn RWE ist ein sehr wichtiger Anzeigenkunde.
Die Entstehungsgeschichte des RWE-Konzerns ist ein deutscher Kriminal- und Historienroman: Hugo Stinnes - der eine wichtige Rolle bei der Einführung Adolf Hitlers in die Kreise der deutschen Schwerindustrie spielte - war es, der in der Weimarer Republik die genialen Ideen hatte, die bis heute fortwirken. Mit jeder einzelnen Gemeinde schloss er Konzessionsverträge, die ihm ein Gebietsmonopol bei der Energieversorgung sicherten. Die Kommunen bekamen Anteile am Konzern und kassierten jährlich die sprudelnden Dividenden. Keine war aber so mächtig, steuernden Einfluss ausüben zu können. Den behielten Stinnes und seine Nachfolger. Die Kommunalpolitiker wurden durch Aufsichtsrats-, Regionalbeirats- oder richtige Führungsjobs im Konzern eingebunden und gewogen gehalten.
Unter solchen Voraussetzungen war es für RWE kein Problem, die grünen Wahlsieger der NRW-Landtagswahl von 1995 mit ihrer resoluten Umweltministerin Bärbel Höhn in die Knie zu zwingen, als es darum ging, die Option für weiteren Braunkohletagebau (Garzweiler II) zu sichern. Die Landesregierung erteilte alle Genehmigungen. Die zuständigen Ämter und die RWE-Tochterfirma Rheinbraun sind schließlich seit Jahrzehnten im alltäglichen Umgang bekannt. Jobwechsel von der einen zur andern Seite sind Gewohnheit. Man kennt sich. Grüne Parteitage segneten das ab, wie sie es später mit Kriegen taten, in der Hoffnung, dass die Geschichte - im Falle der Braunkohle die ökonomische Entwicklung des Energiemarktes - darüber hinweggehe. Wie trügerisch oder realistisch diese Hoffnungen sind, wird in absehbarer Zeit beantwortet sein.
Mittlerweile sind die Gebietsmonopole auf dem Strommarkt gefallen. Doch der RWE-Konzern als größter deutscher Stromversorger war so mächtig gut aufgestellt, dass ihm das keine Probleme bereitet hat. Im Gegenteil: den klammen Kommunen, diesen Opfern der neoliberalen Deregulierungspolitik, hat er die Mehrheitsstimmrechte abgekauft, um sein Aktienbörsen-Standing als Global Player zu verbessern.
Ein weiteres aktuelles Beispiel mag verdeutlichen, zu wessen Lasten solche Modernisierungsprozesse gefördert werden: Der in Essen ansässige ThyssenKrupp-Konzern bildet gemeinsam mit Siemens, einem der bundesweit größten Empfänger staatlicher Subventionen, das Transrapid/Metrorapid-Konsortium. Bekanntlich ringen Politiker der Bundesregierung sowie der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen darum, wer sich am engagiertesten für dieses milliardenschwere Subventionsprojekt in die Bresche wirft. Betriebswirtschaftliche Berechnungen und marktwirtschaftliche Kriterien sind dazu da, Gewerkschaften und Belegschaften vorgehalten zu werden, aber nicht, um ThyssenKrupp und Siemens zu belästigen. Das unternehmerische Risiko übernehmen Länder und kommunale Verkehrsverbünde. Finanziert wird mit Steuergeldern und öffentlicher Verschuldung.
Insgeheim wird oft die Frage gestellt, wer für solche Entscheidungen wohl wie viel bekommt. Aber heutige angeblich moderne Politiker müssen nicht gekauft werden. Nach allem was wir bisher wissen, sind sie dumm genug, die Einflüsterungen der Konzern-Marketing-Abteilungen selbst zu glauben.
Das Prinzip des deutschen Korporatismus ist bisher die legale Korruption. Subventionstöpfe werden streng rechtsstaatlich beschlossen, Genehmigungsverfahren "nach Recht und Gesetz" abgewickelt. Anschließend werden die Subventionstöpfe von den Großkonzernen streng rechtsstaatlich leergefressen, die Löcher streng rechtsstaatlich gebaggert und die Müllverbrennungsanlagen mit Müll aus Neapel befeuert. Womit wir endlich bei der Frage angelangt sind: Wie unterscheidet sich unser System eigentlich noch von der italienischen Mafia?
Bei uns gibt man sich politisch mehr Mühe mit der Legitimation "nach Recht und Gesetz". In Italien glaubt daran kaum noch jemand, auch wenn der aktuelle gesellschaftliche Widerstand gegen Berlusconi wieder hoffen lässt. Im deutschen Modell erfolgt Bezahlung nicht mit Briefumschlägen und "Angeboten, die man nicht ablehnen kann", sondern durch vertrauensvolle Zusammenarbeit, neudeutsch "Networking".
Skandale und Affären im politischen Raum haben nun so überhand genommen, dass Parteien und Politiker den Tiefpunkt ihres Ansehens in der Bevölkerung erreicht haben. Gut ausgebildete, intelligente und leistungsfähige Menschen sind zu viel Engagement für sich selbst und andere bereit, aber nicht mehr, wie noch in den siebziger Jahren, in den Parteien. Die sterben biologisch aus, ihr qualitatives Niveau wird zusehends unterirdisch. Ihre Führungen schaffen innerparteiliche Demokratie zusehends ab und stoßen dabei nicht mehr auf Widerstand. Die Parteien werden zu mittelständischen Unternehmen oder kleinen Konzernen umorganisiert, zu professionalisierten Dienstleistungsunternehmen. Das heißt: ihre Dienstleistungen sind zu kaufen. Die Bestellung einer Dienstleistung durch eine Wählerstimme scheint keine hinreichende Bedingung für zufriedenstellende Dienstleitungsqualität zu sein. Aber wer ist heute noch so naiv, daran zu glauben?
Vielleicht ließe sich das Problem der Parteispenden ja so lösen: Spenden an einzelne Parteien werden verboten. Stattdessen kann, wer am demokratischen Allgemeinwohl interessiert ist, an einen Fond spenden, der das Geld entsprechend der Wahlergebnisse auf die Parteien verteilt. So würde die Demokratie nicht durch Spenden ausgehebelt. Dem kann entgegen gehalten werden, dass dann kaum jemand mehr spenden wolle. Nun, wenn das so wäre, dann sähen wir dem Ansehensverlust von "Allgemeinwohl" (Art. 14 Grundgesetz) und Politik in unserer Gesellschaft direkt ins Angesicht.
Gerade der Politikertypus der "Neuen Mitte" hat diese Entwicklung vorangetrieben. Schröder geniert sich nicht im geringsten, Interessen der Autoindustrie in Niedersachsen, Deutschland und Europa durchzusetzen. Clement begreift sich als Dienstleister für RWE, ThyssenKrupp und Bertelsmann und bietet seine Dienste auch Murdoch oder AOL/Time-Warner an. Stoibers Existenz ist eng mit BMW, Siemens und Kirch verbunden. Ein ökologisch bedeutsames öffentliches Unternehmen wie die Deutsche Bahn wird von allen gemeinsam von der Kundschaft weg zu den Aktienbörsen hin gesteuert. Diese Politiker entsprechen intern dem Typus des cholerischen Chefs, der sich von Lakaien umgeben sieht, die ihm intellektuell unterlegen sind.
Vermutlich stimmt das auch. Denn es sind diese Politikchefs, die den Bedeutungsverlust demokratisch bestimmter Politik zugunsten der ökonomischen Interessen einzelner oder mehrerer Unternehmen vorantreiben. Insofern machen sie für diese Auftraggeber einen guten Job. Die Politik soll ihre Kreise nicht mehr stören, ist allenfalls zu lahm bei dieser Flucht aus Verantwortung. Darum drückt ein Clement immer aufs Tempo und wird Schröder für seine "ruhige Hand" beim umkrempeln der Arbeitsmarktpolitik kritisiert. Wichtiger aber ist die erfolgreiche Entfremdung ihrer Parteien und Koalitionen von ihren Wählern. Letztere werden entmutigt und demotiviert. Sie wissen nicht mehr, wo ihre Interessen überhaupt noch politisch vertreten werden. Die aktuell gängige Form der "rücksichtslosen Aufklärung", die zwar die nehmenden Politiker in den Blick nimmt, nicht aber die zahlenden und sich dahinter verbergenden Konzernnetzwerke, begünstigt und beschleunigt diesen Prozess.
Nicht nur der Glaube an die Politiker ist erschüttert; es entsteht ein gesamtgesellschaftliches Moralvakuum. Die Neoliberalismus-Gläubigen aus der hochgepusteten Medien-, Kommunikations-, Werbe- und Internetwirtschaft sind hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Die Spekulationsblase dieser Branchen war schon vor dem 11.9., dessen ökonomische Auswirkungen den Prozess noch beschleunigten, geplatzt. Jetzt können die eigenen Interessen doch nicht so individuell, wie einstmals geträumt, durchgesetzt werden. Die geschwächten Gewerkschaften, allen voran Verdi und IG Metall, suchen nun das Bündnis mit den gerade mal 5.000 Mitgliedern des Attac-Netzwerkes. Was sagt uns das, wenn Millionen-Organisationen dort politische Hilfe suchen? Der Anteil der unter 25-Jährigen bei Attac scheint alle aussterbenden politischen Massenorganisationen, Parteien und Gewerkschaften zu faszinieren, das genaue Gegenteil ihrer eigenen Verfasstheit. Doch die Hoffnung auf die Jugendlichen ist trügerisch. Die bilden in unserer Gesellschaft nämlich eine dahin schmelzende Minderheit. Die saturierte Alterskohorte der Neuen Mitte, die so gerne gesellschaftliche Verantwortung delegieren möchte und angeblich die Mehrheit im Land bildet, findet niemand mehr, an den sie delegierbar wäre.
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