Muss man allmählich anfangen, das scheinbar Undenkbare zu denken? Kann es sein, dass einige in der CDU, die noch vor Jahresfrist für alle Wahlgänge hochfavorisiert war, bereit sind, eigene Wahlniederlagen zu provozieren, nur um Frau Merkel loszuwerden. In Nordrhein-Westfalen leidet bereits der Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers. Traumatisiert durch seine fehlgeschlagene Wahlkampagne von 2000 ("Kinder statt Inder"), die ihm von Kohls Spendenaffäre verhagelt wurde, hat er sich diesmal an Merkel gebunden, um als Erster ins Ziel zu kommen. Wie es aussieht, schafft er es wieder nicht und soll bereits entsprechend verbittert sein.
Rüttgers wurde in der Arentz-Affäre von rechts als "Zauderer" beschimpft, während er am Ast von Laurenz Meyer, dem Ex-Generalsekretär, der sein Amtsvorgänger als Landtagsfraktionschef war und dieses Amt nur unfreiwillig abgab, selbst gesägt haben soll. Dahinter verbergen sich nicht nur inhaltslose Personalkonkurrenzen. In der CDU findet ein verdeckter Kampf um die ganze Richtung statt. Verdeckt, weil die Kontrahenten das mediale Kainsmal der "Zerstrittenheit" fürchten, das sie sich nun trotzdem eingehandelt haben. Längst ist das widerliche Bild entstanden, das man vermeiden wollte, obwohl es der Realität entspricht: Viele gemeine Männer bringen eine immer einsamer werdende Frau zur Strecke. Das wird der CDU viele Frauenstimmen kosten und sie strukturell mehrheitsunfähig machen.
Dabei schrecken die Männer vor nichts zurück. Mitten in der nationalen Barmherzigkeitswelle zugunsten der Flutopfer kritisieren sie beckmesserisch die Katastrophenhilfe der Bundesregierung. Wahrscheinlich wird man auch gegen die "FC-Deutschland-06"-Kampagne opponieren - typische Verliererthemen. In NRW begibt man sich freiwillig in die Rolle des Verhinderers einer sinnvollen Reform der Landtagsdiäten. Michael Spreng, der als Stoiber-Berater im Bundestagswahlkampf 2002 gute Arbeit geleistet hatte, gab nun als Rüttgers-Berater frühzeitig auf. Mit dem reaktionären Provinzialismus der westdeutschen CDU-Basis ist er, der ehemalige Starjournalist, nicht klargekommen.
Dieser Provinzialismus ist vor allem im westfälischen Landesteil zu Hause. In den weitläufigen Landkreisen rund um Münster und Paderborn, im Sauer- und im Siegerland ist die CDU-Welt mit Stimmenanteilen zwischen 50 und 60 Prozent noch in Ordnung. Dort unterschreiben Töchter noch den Verzicht aufs Erbteil, dort wird mit Schweine- und Hühnerfabriken viel Geld gemacht und darauf gehört, was die ortsansässigen Bischöfe zu sagen haben. Dort glaubt man, dass wer Arbeit will auch welche findet. Deswegen kam es beim Westfalen Merz und seinen Freunden ganz schlecht an, dass Rüttgers auf dem Höhepunkt der Hartz IV-Debatte eine "Generalrevision" forderte.
Das wäre der Weg links an der SPD vorbei gewesen, dort, wo jetzt so viel Platz frei ist. Die CDU/CSU hätte mit dem barmherzig-nachdenklichen Landesvater Rüttgers, dem Blüm-Nachfolger Arentz, dem scheinbar furchtlosen Lobbybekämpfer Seehofer aus Bayern und der gegen alle feindlichen Männer erfolgreichen Angela Merkel die Rolle der "mitfühlenden Konservativen" spielen können. Der Lederhosenmodernisierer Stoiber hätte mit seinen aschermittwöchlichen Bierzeltreden ein paar Millionen Stimmen von rechts gebracht. Mit einer solchen Strategie hat George W. Bush seine erste Wahl gewonnen. Daraus wird nun nichts.
Rüttgers hatte richtig erkannt, dass die CDU vor allem in den Großstädten neue Impulse braucht. In den grünen Hochburgen Münster, Köln, Aachen, Bonn und Bielefeld landet sie in manchen Wahlkreisen bereits auf dem dritten Platz. Die Akzeptanz vielfältiger Lebensstile ist dort Alltag und ein Vorteil im Standortwettbewerb. Die Ankündigung von Merz, ihn zu unterstützen, kann Rüttgers in solchen Städten nur als Drohung empfinden. Der westfälischen CDU-Basis dürfte das bewusst, aber auch egal sein. Sie hat schon zum finalen Machtkampf gerüstet und wird Rüttgers abservieren - nach der verlorenen Landtagwahl im Mai.
Dann wird auch Merkel fallen. Sie hat die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte in der Republik nicht verstanden, weil sie aus dem Diskurs des Berliner Mikrokosmos, der sich wechselseitig zu neuen Reformdiktaten hochschaukelt, die falschen Schlüsse zog. Kein Wunder, dass sie so gut mit Westerwelle harmoniert. In der FDP wären ihre Richtungsentscheidungen (Kopfpauschale in der Krankenversicherung, Hartz IV geht nicht weit genug) gut aufgehoben. Für eine oppositionelle Volkspartei sind sie der vorläufige Ruin. Das hat sogar die CSU verstanden, die immerhin weiß, wie Wahlen zu gewinnen sind.
Was wird aus der CDU ohne Merkel und Rüttgers? Sie wird im reaktionären Schneckenhaus landen: sozial- und wirtschaftspolitisch mit der FDP verwechselbar, außenpolitisch isoliert (Türkeiphobie, Kriegsbegeisterung), kulturell lächerlich und nur noch Gegenstand des Kabaretts. Die Bundestagswahl 2006 wäre für sie nur noch zu gewinnen, wenn Deutschland in der WM-Vorrunde vorzeitig ausscheidet und/oder ein Terroranschlag à la New York oder Madrid die Republik aus dem Gleichgewicht bombt. Andernfalls hat die SPD Narrenfreiheit. Wenn die CDU-Wähler demotiviert den Urnen fernbleiben, schaden der SPD ihre eigenen Verluste nicht mehr. Sie sind nur noch relativ und damit verschmerzbar. Oder kommt etwa irgendetwas von links, um den gähnend leeren Raum zu besetzen?
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