Mobilisierung geht anders

Wahl in Nordrhein-Westfalen I Die SPD-geführte Landesregierung hat die Probleme der Menschen nicht zu ihrer Sache gemacht. Die CDU sieht jetzt ihre Sieges-Chance

Das große Kapital ist nicht nur ein "scheues Reh", sondern es ist auch ziemlich untreu und undankbar. So empfindet es gegenwärtig die SPD, und zwar vor allem in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen. Was hat sie nicht alles geleistet: die soziale Hängematte durchlöchert, so weit wie es überhaupt möglich war; Subventionen für die Steinkohle gegen die Grünen verteidigt; den vier großen Stromkonzernen, von denen mit RWE und EON zwei in NRW sitzen, ihre Gebietsmonopole weitgehend verteidigt; die öffentlichen Kassen zugunsten privater Bereicherung fast vollständig geleert, staatliches "Tafelsilber", seien es Kommunikationsunternehmen oder Wohnungsgesellschaften, zu Billigstpreisen an milliardenschwere Investoren verhökert. Was soll die SPD denn noch machen, damit die Reichen und Mächtigen sie endlich lieb haben? Gerade der NRW-Landesverband war mächtigster Protagonist dieser Politikrichtung. Er hat seinerzeit den "Neue-Mitte"-Kandidaten Gerhard Schröder durchgesetzt und durch dick und dünn gegen seinen Rivalen Lafontaine verteidigt.

Doch es half alles nichts. Die deutschen Unternehmer wollen offensichtlich eine CDU-Regierung durchsetzen, zunächst in NRW und dann auch im Bund. Es bleibt abzuwarten, ob sie damit glücklich werden. Die CDU wäre in den letzten Jahren mit den oben genannten Leistungen sicher nicht so weit gekommen. Jetzt scheint man Hoffnung zu haben, dass die Linke so weit geschwächt ist, dass man mit der CDU und - noch schöner - den neoliberalen Radikalinskis der FDP weitermachen könne.

Muss die Mobilisierungsschwäche der Rot-Grünen noch begründet werden? Die NRW-SPD hat sich darauf verlegt, "nichts zu versprechen", was man nicht halten kann. Sie verspricht also keine neuen Arbeitsplätze. So what? Was sollte denn dann die Hartz-IV-Politik? Das wird nicht nur im Ruhrgebiet (Gelsenkirchen: über 25 Prozent Erwerbslose!) nicht verstanden und von den früheren SPD-Wählern mit wachsendem Desinteresse bestraft. Akademisches SPD-Publikum wird ebenfalls frustriert. Soweit es Arbeitsplätze hat, sei es in Schulen oder in öffentlichen sozialen Einrichtungen, wird es ausgequetscht wie eine Zitrone und mit den Problemen alleingelassen. An die durch Pisa analysierten Schulprobleme traut sich die NRW-SPD nicht ran, das System soll bleiben wie es ist. Dass die Hauptschulen bald mehrheitlich aus Migrantenkindern bestehen, deren Eltern ebenfalls erwerbslos sind (bei TürkInnen zur Zeit über 30 Prozent), das sollen die mit ihren ehemals sozialdemokratisch wählenden LehrerInnen, deren Arbeitszeit als Belohnung für ihre Leistungen verlängert wird, alleine ausbaden. Dank sozialdemokratischer Ausländerpolitik dürfen die TürkInnen außerdem - nach ausgedehnten entsprechenden Medienkampagnen des SPD-geführten Innenministeriums - ihre gerade erworbene deutsche Staatsbürgerschaft wieder zurückgeben, sofern sie sich aus der türkischen nicht haben entlassen lassen. Schade eigentlich, denn TürkInnen würden zu 60 Prozent SPD wählen, wenn sie dürften. Dumm gelaufen. Danksagungen bitte an Otto Schily!

Zu Wolfgang Clements Zeiten schmückte sich die NRW-SPD noch mit der aufstrebenden Kultur- und Medienwirtschaft. In der Tat beschäftigt diese Branche in NRW bereits zehnmal mehr Menschen als der ständig nostalgisch glorifizierte und subventionierte Bergbau. Nur leider strebt die Medienwirtschaft nicht mehr auf, sondern befindet sich heute in den Mühen der Ebene. Doch jetzt, wo die Landespolitik echtes Engagement und Interesse beweisen müsste, reagiert sie mit Desinteresse und Inkompetenz. Die Branche erzeugt nicht, wie erträumt, ein neues Wirtschaftswunder, sie schmückt sich nicht mehr mit der Glitterwelt der Reichen und Berühmten, sondern sie ist der Landespolitik jetzt lästig, sie macht Arbeit und verlangt neue Ideen. Neue Ideen waren aber noch nie eine Stärke der NRW-SPD. Medienpolitik ist anders als bei Amtsvorgänger Clement, bei Regierungschef Peer Steinbrück nicht mehr Stärke, sondern Schwäche. Im Streit um eine Rundfunkgebührenerhöhung ließ er sich von seinem CSU-Amtsbruder Stoiber mit zweifelhaften Umstrukturierungsvorschlägen aufs Glatteis gegen die öffentlich-rechtlichen Medien locken und bekam völlig unnötigen Ärger mit dem in Nordrhein-Westfalen konkurrenzlosen WDR.

Der grüne Koalitionspartner wird die SPD-Verluste nicht wie bei der Bundestagswahl aufwiegen können. Es hilft nicht, dass die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn populärer ist als alle SPD-LandesministerInnen zusammen. Die sozialpolitische Lücke, die die SPD gerissen hat, kann von den NRW-Grünen nicht gefüllt werden. Die Kreisverbände des Ruhrgebietes, die mehr als andere von den sozialen Problemen wissen, sind in der Partei eine - bei Bedarf isolierbare - Minderheit. Eine milliardenschwere Fehlinvestition, die Magnetschwebebahn "Metrorapid", konnten sie immerhin zugunsten eines Ausbaus der bestehenden Regionalsexpressverbindungen erfolgreich verhindern. In Zeiten öffentlicher Armut war das freilich kein Kunststück und ist auch nicht mobilisierend. Im Gegenteil: Grünes Kernpublikum in Sozial- und Kulturinitiativen wird bei den nächsten Landeshaushalten die meisten Opfer bringen müssen, egal wer letztendlich die Regierung stellt. Und da es ein politisch hochgebildetes Publikum ist, weiß es das auch schon.

Und was treiben die "Heuschrecken" in NRW? Sie sind besonders an mehreren 100.000 Wohnungen interessiert, obwohl doch vor allem im nördlichen Ruhrgebiet die Immobilienpreise fallen, wie sonst nur in Berlin. Lediglich die Rheinschiene Düsseldorf-Köln-Bonn ist noch gesund. Aber anders als in den USA oder Großbritannien sitzen wir in Deutschland auf keiner Immobilienblase. Und sowohl die öffentliche Hand (zum Beispiel in Gestalt der Bundesversicherungsanstalt, der Bahn und der Landesentwicklungsgesellschaften), als auch die unter immer schärferem Renditedruck stehenden Konzerne (zum Beispiel Thyssen-Krupp oder EON mit seiner jüngst verkauften Wohnungstochter Viterra) möchten so unwichtige "Randaktivitäten" wie die Verwaltung hunderttausender Wohnungen und Betreuung von Mietermassen schnell abgeben. Die "Heuschrecken" werden sich dann aufs Versilbern konzentrieren. Am besten funktioniert das, wenn eine Wohnung, die im Hundertausender-Paket billig für 20.000 Euro gekauft wurde, anschließend für schätzungsweise das Vier- bis Fünffache an die in diesem Geschäft naiven und verängstigten Mieter einzelprivatisiert wird. Was hat das mit dem NRW-Landtagswahlkampf zu tun? Das ist es ja gerade: Die Parteien, abgesehen von den Ruhrgebietsgrünen und den Mietervereinen, machen es nicht zum Thema, weil sie es nicht aufhalten können und überwiegend auch nicht wollen. Dummerweise sind die meisten betroffenen MieterInnen natürlich auch ehemalige SPD-WählerInnen. Mobilisierung geht anders.

Was würde dem Bundesland mit der CDU blühen? Spitzenkandidat Rüttgers hat das nach Kräften zu verbergen versucht. Er hat richtig erkannt: Die Mobilisierung im eigenen Lager steht, also würde Polarisierung nur den andern nützen. Den "Kinder statt Inder"-Fehler von vor fünf Jahren hat er nicht wiederholt. Doch seine Mobilisierung wird für ihn noch ein Problem werden. Sie rührt daher, dass jetzt eine Siegchance gesehen wird. Rot-Grün ist insbesondere im reaktionären Spektrum der Rechten, das in Nordrhein-Westfalen in den ländlichen Gebieten des Niederrheins, rund um die grüne Hochburg Münster über die Bischofsstadt Paderborn bis zum Sauer- und Siegerland seine Hochburgen hat, ein Hassobjekt geblieben. Dort wo wenige Nichtdeutsche leben, überlebt die Überfremdungsangst. Der ferne Moloch Großstadt mit all seinen sozialen und Kriminalitätsproblemen wird über das "Unterschichtenfernsehen" beobachtet. Kein Wunder, dass dort 20 Prozent grün wählen, denkt der wohlsituierte katholische Kirchgänger. Da muss man was gegen tun bei der Landtagswahl. So könnte Rüttgers gewinnen. Aber "das Land modernisieren" kann er so nicht.


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