Prototyp einer Generation

Zum Tod von Jürgen Möllemann Allzweckwaffe und Enfant terrible der FDP

Als "political animal" titulierten die NRW-Grünen Jürgen Möllemann in einer Pressemitteilung anlässlich seines Ablebens. Schröder und Fischer wurden in der Frankfurter Rundschau vor einiger Zeit kenntnisreich als "Alphatiere" beschrieben. Fischer war in seiner Zeit als - dicker - Fraktionschef im grüninternen Slang schlicht "das Tier". Was wollen uns diese Tierweltvergleiche über unsere politische Klasse sagen? Ist ihr der Sinn für Demokratie, für soziales Verhalten, sind ihr Kultur und Philosophie, also all das, was Mensch und Tier unterscheidet, verloren gegangen?

Möglicherweise war Möllemann der Prototyp einer Politikerentwicklung, dieser Entwicklung aber die entscheidenden Schritte, die über Leben und Tod entscheiden, voraus. Widerlich wie immer ist die allfällige Heuchelei der "Trauernden" in diesen Tagen. In Wahrheit sind sie froh, dass sie ihn los sind. Sie erschrecken sich allenfalls, weil der Tod so nah neben ihnen einschlug. Es hätte auch den einen oder anderen daneben erwischen können. Und wird es auch noch. Der Typ Möllemann war ihr Produkt: das seiner politischen "Freunde" und Gegner und das der diese Klasse bespiegelnden Medien. Die politischen Freunde sind wohl besonders erleichtert, nicht nur, weil einige Ermittlungsakten jetzt zugeklappt werden. So können sie ihren Waffenhandelsgeschäften ungestört von einer Möllemann-Affäre weiter nachgehen.

Hans-Dietrich Genscher schreibt heute Kolumnen zur deutschen Außenpolitik, meistens als ausdrückliche Unterstützung des heutigen Außenministers. Bis heute wird er von vielen Menschen für seine Verdienste um die deutsche Einheit verehrt. Er überlebte die "Flick-Affäre", in der sich seine FDP in den achtziger Jahren den Lohn für ihren Wechsel von der SPD zur CDU hat auszahlen lassen, anders als sein damaliger Schatzmeister Lambsdorff, unbeschadet. Auch mit den diversen Affären seines Kanzlers Kohl hatte er scheinbar rein gar nichts zu tun. Dieser Genscher war der erste und wichtigste Förderer Möllemanns. Und sein Eingreifen als Politpensionär war entscheidend, Möllemanns Politikerkarriere zu beenden.

An der Wende der sechziger zu den siebziger Jahren muss die Kampfeslust Möllemanns gegen linke Uni-Aktivisten den damaligen Bundesminister Genscher stark beeindruckt haben. Man konnte ihn immer ein paar Meter in Minenfelder vorausschicken, um heraufziehende Gefahren früh genug zu erkennen und ihnen dann wendig ausweichen. In einem Hunderudel ist wichtig, dass die Hierarchie funktioniert, "animals" eben. Dieses Grundverständnis hat Genscher und Möllemann über mehrere Jahrzehnte verbunden. Möllemanns erste Aufgabe erledigte er mit Bravour: 1972 verhinderte er durch eine erfolgreiche Gegenkandidatur auf der NRW-Landesliste der FDP den Einzug der Jungdemokratin Ingrid Matthäus in den Bundestag. Auch später machte sich Möllemann als Kämpfer gegen die seinerzeit FDP-nahen, aber kapitalismuskritischen Jungdemokraten verdient. In der NRW-FDP, die nach 1945 gezielt von Nazis unterwandert worden war, fiel ihm das nicht schwer. Der stellvertretende Nazi-Kommandant von Paris, Rechtsanwalt Ernst Achenbach, regierte noch in den siebziger Jahren in Feudalherren-Manier den FDP-Bezirk Ruhrgebiet. Die alten Herren waren froh, einen talentierten Jungstar in ihren Reihen zu finden, der nicht so revoluzzerhaft drauf war. In einem antisemitisch grundierten Verein war es damals kein Tabubruch, Sympathien für den seinerzeit noch als "Terroristen" klassifizierten PLO-Chef Arafat zu artikulieren. Hier konnte Möllemann frühzeitig realohafte Außenpolitik mit populistischen Versatzstücken verbinden.

Als die FDP 1982 aus der Koalition mit der SPD zur CDU wechselte, hatte sie zunächst einige Flügelkämpfe zu bewältigen und flog anschließend aus zahlreichen Landtagen heraus. Aber sie überlebte, unter anderem dank solcher Leute wie Jürgen Möllemann. Er wurde in dieser Phase Landeschef in NRW, Staatsminister in Genschers Außenministerium und übrigens auch Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Jetzt war er wichtig. In diese Zeit fällt wohl auch sein Eintritt in den internationalen Waffenhandel. Hier lässt sich Wichtigsein mit schönen Provisionszahlungen verbinden. Das konspirative, halbseidene Milieu, die dabei üblichen Schmeicheleien und Vergnügungen haben das Ego des studierten Lehrers wohl so eingenommen, dass er darin sowohl zum Star aufblühen als auch darin verglühen musste.

Das Verglühen ließ allerdings auf sich warten. Vor zehn Jahren glaubten alle, er sei erledigt. Als Bundeswirtschaftsminister stolperte er über ein Werbebriefchen, das er mit Amtsbriefkopf für einen Verwandten geschrieben hatte. Es ist kaum glaubhaft, dass allein das der wahre Grund war. Wahrscheinlicher sind ernsthafte außenpolitische Gründe im Zusammenhang mit seinen Waffenhandelsaktivitäten, die nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollten wurden. Dabei hätte schließlich das Ansehen des wiedervereinigten Deutschland auf dem Spiel gestanden, in einer Zeit, als bei uns rassistische Treibjagden keine Seltenheit waren.

Mit dem Abstieg der Regierung Kohl und ihrer Abwahl 1998 schlug noch einmal Möllemanns Stunde. Die FDP schien jegliche politische Funktion verloren zu haben. Dennoch gelang es ihm schon zwei Jahre später bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, mit einem populistischen Wahlkampf 9,8 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Seine folgenden, antisemitisch grundierten Aktivitäten im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 sind ausführlich diskutiert worden. In NRW war er mit dieser Strategie durchaus erfolgreich und objektiv "unschuldig" am bescheidenen FDP-Bundesergebnis. In den sozialen Problemzonen des Ruhrgebietes, einstigen SPD-Hochburgen, gelang ihm sogar eine Verdopplung der FDP-Zahlen.

Auch nach dem Tod Möllemanns leben die Probleme, die er in seiner Person scheinbar genial typisiert hat, fort. Ob er nun verunglückte, ermordet worden ist oder von eigener Hand gestorben, ist unwesentlich. In den Branchen, in denen er tätig war, wird hin und wieder gemordet. Merkwürdig bleibt allerdings, dass die gegen ihn gerichtete Durchsuchung schon einen halben Tag vorher allen Politikern und Medienleuten bekannt war. So wäre auch ohne seinen Tod wohl sicher gewesen, dass bei anderen nichts gefunden wird.

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