Der Kanzler als Deutschlands erster Medienkritiker? Es war wohl in erster Linie eine Show, die die Koalitionsverhandlungen einleiten sollte. Die Reaktion der meisten Medien verriet jedoch, wie unangenehm ihnen die Kritik war von einem, der privilegierten Zugang zu Mikrofonen und TV-Kameras hat und auch über die eine oder andere Karriere entscheidet. Schröder setzte sich instinktsicher an die Spitze einer weit verbreiteten Stimmung, die über "die Politik" nörgelt und damit nicht nur die Politiker im engen Sinne dieser Berufsbezeichnung meint, sondern alle, die in diesem Umfeld tätig sind; sozusagen die Gesichter, die sonntäglich bei Christiansen zu sehen sind: Chefredakteure, Parteienforscher, Verbandsvertreter, all die, die sich landläufig für Leistungsträger halten und denen gemeinsam ist, dass sie ein Monatseinkommen von mindestens 10.000 Euro haben.
Wie verhält es sich aber mit der Substanz von Schröders Medienkritik? Sie waren nicht alle gegen ihn. 1998 hatte Schröder sogar die Bild am Sonntag hinter sich. Zu jener Zeit ging es im Springer-Verlag etwas lockerer zu, ein Generationsumbruch stand bevor. Sehr viele Medien sehnten sich damals nach dem Ende von Medienhasser Helmut Kohl und goutierten Schröders Rollenspiele vom Zigarren-Auftritt im Maßanzug über Künstler- und Literatentreffen im Kanzleramt bis zum Autokanzler und Genossen der Bosse. Entscheidend für den Bruch dürfte gewesen sein, dass das Konzept "Genosse der Bosse" nicht aufging. Die autokratische Kopfgeburt "Agenda 2010" war zwar inhaltlich ganz im Sinne ihrer Erfinder nicht nur im Kanzleramt und der Wirtschaft, sondern auch in den meisten Medien. Schröder darf sich kaum beschweren, dass seine missglückten Inszenierungen mit Hartz im Berliner Dom vom Fernsehen und der Presse nicht angemessen gefeiert wurden. Das Dumme war nur: das Volk war nicht eingeladen. Es hätte wohl auch nicht mitfeiern wollen. Entsprechend äußerte es sich bei zahlreichen Landtagswahlen.
In einigen Verlagshäusern merkte man, dass die Strategie nicht aufging. Alle Wirtschaftsblätter, alle Wirtschaftsredaktionen setzten auf Merkel, Kirchhof und Merz. Die Entscheidungsverläufe in Verlagen und Redaktionen muss man sich dabei heute etwas komplexer vorstellen, als noch zu Lebzeiten Axel Springers, Gerd Bucerius´, Henri Nannens oder Rudolf Augsteins. Friede Springer oder Liz Mohn verirren sich selten in Redaktionsetagen. Sie legen vielmehr Wert auf die Distinktion, dass der Laden "ganz unabhängig" von ihnen läuft. Und das tut er auch. Die Macht einstellen und entlassen zu können reicht völlig aus. In jedem Personalbüro eines Verlagshauses würden sich Hunderte, wenn nicht Tausende Bewerbungsmappen stapeln, würde mal eine Stelle tatsächlich ausgeschrieben. Diese materielle Basis, verbunden mit einer guten Allgemeinbildung und Intelligenz des Personals, tun die gewünschte Wirkung.
Man muss es ja nicht gleich so übertreiben, wie Hans-Ulrich Jörges. Jörges ist Berliner Büroleiter und stellvertretener Chefredakteur des Stern und hat das Bilderblatt wieder politisiert. Dass das dem Kanzler stinkt, verarbeitet er als Lob; so weit stimmen die Reflexe. Überschüssiges Testosteron muss die Ursache dafür gewesen sein, dass Jörges der Erste war, der nach dem TV-Duell Schröder-Merkel letztere zur klaren Siegerin auszurufen versuchte. Andere taten es weniger auffällig als er und lachen nun über ihn, der ein schönes Ziel für des Kanzlers Zorn abgibt.
Etwas komplizierter ist die Lage beim Spiegel. Er gehört zur Hälfte sich selbst, also der Gesellschaft seiner MitarbeiterInnen. Ein Viertel gehört der 75-prozentigen Bertelsmann-Tochter Gruner, ein Viertel Augstein. Nach dem Tod von Rudolf Augstein verlor seine Familie ein Prozent, die Mitarbeitergesellschaft und G bekamen je ein Halbes dazu. Das bedeutet: zwar haben die Mitarbeiter jetzt die Besitzmehrheit, der Chefredakteur benötigt jedoch 75 Prozent; er kann also nicht mehr gegen Bertelsmann bestimmt werden, wohl aber gegen die Augstein-Familie. Was alle verbindet, ist die Tatsache, dass sie gerne reich werden. Es regiert also ein Chefredakteur Stefan Aust, der, in seiner Jugend erheblich linksradikaler als der "Ich-will-hier-rein"-Schröder, die Interessen großer Anzeigenkunden durchsetzt. Kritische Berichte über die Telekom oder die vier großen Energiekonzerne müssen im Spiegel intensiv gesucht werden. Der "Genosse der Bosse"-Schröder hatte mit dem Blatt kein Problem. Der Verlierer-Schröder dagegen hatte bei der Spiegel-Lektüre nichts mehr zu lachen, wie alle Verlierer, insbesondere die sozialen Verlierer, die am Spiegel noch nie Freude hatten.
Die Konvertiten-Redaktionen Stern und Spiegel ärgerten Schröder sicher besonders, an den Rest der Medienmachtlandschaft hatte er sich gewöhnt. Die deutsche Zeitschriften-Verlagslandschaft wird von den Häusern Bauer, Springer, Burda, und Gruner beherrscht. Seit dem Machtantritt von Liz Mohn werden alle Häuser von großen CDU-SympathisantInnen geführt. Bertelsmann und Springer beherrschen außerdem das Privatfernsehen, das wiederum über die Hälfte des gesamten TV-Marktes ausmacht. Weitere wichtige und nicht minder rechte Verlagshäuser sind: Neven DuMont (Köln; der Familienpatriarch ist FDP-Mitglied und hat in Köln mehr Macht als der Erzbischof und der OB zusammen), die Häuser Ippen (München) und Holtzbrinck (Stuttgart). Der wichtige WAZ-Konzern in Essen wird zwar von Ex-Schröder-Freund Bodo Hombach mitgemanagt, gehört aber zur Hälfte einer CDU-Familie, vertreten von Kohl-Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner (in Essen so mächtig, wie Neven DuMont in Köln).
Alle großen Verlagshäuser glaubten, sie hätten richtig auf Sieg gesetzt, und dann dieses Wahlergebnis! Wenn in Zukunft also von einer Krise der Zeitungen und ihrer Verlage die Rede ist, wissen wir etwas besser, warum. Und es macht Hoffnung, dass doch nicht alles nach der Nase dieser wenigen Damen und Herren läuft.
"Die Politik", wenn sie des Kanzlers Medienkritik ernst nähme - wovon leider nicht auszugehen ist -, dürfte die herrschenden Medienmachtverhältnisse nicht hinnehmen. Sie müsste sich neben ihrer Nörgelei Medienkompetenz aneignen und gesetzlich, sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene, für mehr Medienvielfalt und erleichterten Marktzugang für neue Mitspieler sorgen. Wehren muss sich die Gesellschaft allerdings gegen "die Politik" als führende Medienkritikerin. Das ist ein sicheres Symptom für die Bedrohung der Informationsfreiheit. Viele Politiker glauben, wie der Kanzler, Grundrechte seien dann in guter Obhut, wenn sie in ihrer Verfügung seien. Das ist ein alter unausrottbarer Denkfehler, vor dem wir sie dauerhaft schützen müssen.
"Die Medien" sollten nach der Bundestagswahl gelernt haben, dass "die Musik" einer Gesellschaft nicht nur in einem Stadtbezirk der Hauptstadt spielt. Die Lektion lautet: Wenn Sie es schon nicht nach Gelsenkirchen schaffen, fahren Sie doch mal nach Wedding! Mental ist das weiter weg, als Sie sich das bisher vorstellen können. Und wenn Sie die Medienkritik, also die Selbstkritik, nicht selbst machen, dann bekommen Sie die eben in Kanzlerqualität, die Sie dann auch nicht besser verdient haben.
Und wir KonsumentInnen und WählerInnen? Wenn uns "die Politik" und "die Medien" nicht passen, wofür vieles spricht, dann müssen wir sie eben selbst machen.
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