Der Mann hat Ausdauer, das zumindest kann man ihm bescheinigen. Es war bei den Präsidentschaftswahlen am 5. November sein vierter Versuch (s. Übersicht). Und diesmal hat es Daniel Ortega geschafft: Ab 2007 wird er wieder Präsident Nicaraguas sein, nach 16 Jahren Opposition. "Ortega und der Sandinismus sind zurück", sagt mancher. Aber die venezolanische Zeitung El Universal titelte: Ortega, reciclado! (Ortega, recycelt)
Einst - als die Sandinisten den bewaffneten Kampf gegen den Somoza-Clan führten - war er einer von neun Comandantes der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN). Nach dem Sieg 1979 Chef der Regierungsjunta des Nationalen Wiederaufbaus und ab 1985, nach den ersten freien Wahlen, Präsident Nicaraguas. Seine Regierung stand für die Bodenreform zugunsten von Kleinbauern und Kooperativen, die Bildungskampagne für 400.000 Analphabeten, ein staatliches Gesundheitswesen, Kindergärten und erschwingliche Preise für Grundnahrungsmittel, auch für Nähe zu Cuba und den sozialistischen Ländern. Der radikale Umbau führte damals zur erbitterten Gegnerschaft bei Unternehmern, der Hierarchie der katholischen Kirche und den USA. Der Krieg der Contras, von Washington organisiert und bezahlt, mit all seinen Konsequenzen, kostete die Sandinisten schließlich nicht nur die Macht, auch die Revolution.
Jetzt sieht es nicht danach aus, als ginge es um ein Zurück zum revolutionären Projekt. Ortega hat sich mit seinen damaligen Gegnern versöhnt. Der Erzbischof Nicaraguas, Manuel Obando y Bravo, las ihm zu seinem 61. Geburtstag im November eine Messe und versicherte, "wir schließen ihn in unsere Gebete ein". Ex-Contraführer Jaime Morales Carazo wird der künftige Vizepräsident sein, und den Unternehmern bescheinigte Ortega kurz nach seinem Wahlsieg, er werde freie Marktwirtschaft und Privatkapital respektieren und "im Geist der Kooperation" mit ihnen umgehen. Der Präsident des Unternehmerverbandes Cosep, der im Wahlkampf davon gesprochen hatte, dass eine Regierung Ortega "katastrophal wäre", bestätigte denn auch nach dem ersten Treffen: "Wir haben keinerlei Besorgnis".
Prominente Gefährten der Anfangsjahre haben Ortega indessen verlassen, um eine Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) zu gründen; darunter auch drei der neun Ex-Comandantes: Henry Ruiz, Luis Carrión und Victor Tirado. Ernesto Cardenal, Kulturminister der ersten Regierungsjahre, nannte den Spitzenmann der FSLN schon während der Wahlkampagne 2001 den Vertreter "einer falschen Revolution". Sergio Ramirez, einstiger Vizepräsident der sandinistischen Regierung, der als Kandidat des MRS bei den Wahlen 1996 auf 1,3 Prozent kam, ist der Meinung: "Ortega wird eine rechte Regierung führen."
Ortega ist nicht mehr, was er war. Auch die FSLN ist nicht mehr, was sie war. Die illegale Bereicherung einzelner Führer nach 1990 hat nicht nur die moralische Integrität der Partei geschwächt, teilweise auch Revolutionäre in Neureiche verwandelt, die nun ganz andere Interessen vertreten. Ortega, der am 5. November mit knapp 40 Prozent gewählt wurde, hat seit seiner Niederlage 1990 Zugeständnis auf Zugeständnis an die bürgerlichen Parteien gemacht, Allianzen und Agreements gesucht, die man dem einstigen Guerillero verübelt.
Aber auch die Zeiten sind nicht mehr, wie sie waren. Die Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts sind vorbei. Ortega hat zwar nach seiner Wahl erklärt, er werde "Nicaragua aus der Armut holen" - diesmal jedoch innerhalb der bestehenden Strukturen. Zweifel sind erlaubt, denn Nicaragua ist das zweitärmste Land des Kontinents, nach Haiti. Fast die Hälfte der Bevölkerung bedrängt eine extreme Armut. 80 Prozent müssen mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen. Kinderarbeit auf den Straßen Managuas ist normal. Tausende und Abertausende Jugendliche haben weder Ausbildung noch Arbeit. Wer irgend kann, geht ins Ausland und versucht, mit dort verdientem Geld die Familie zu unterstützen. Wie der Präsident es also praktisch schaffen will, dass die Armen Arbeit bekommen, medizinische Versorgung und Schulbildung, wenn zugleich gegebene Verteilungsverhältnisse nicht angetastet werden, dazu gibt es bisher wenig Anhaltspunkte. Im Regierungsprogramm vom Mai 2006 heißt es: Analphabetismus null, Arbeitslosigkeit null, Hunger null. Außer dem Verweis auf die erwartete Hilfe Cubas bei der Bildung, ist keine Strategie erkennbar. Viel ist vom Gran Acuerdo Nacional, dem großen nationalen Übereinkommen, die Rede. Im Wahlprogramm der FSLN standen so nebulöse Sätze wie: "So wie der Sandinismus die Antwort Nicaraguas auf eine Diktatur war, so muss der Sandinismus heute die Antwort eines Volkes auf seine skandalöse Armut sein."
Trotzdem sind mit Daniel Ortega Hoffnungen verbunden. Und nicht nur in Nicaragua. Aus Buenos Aires, Montevideo, Santiago de Chile, La Paz, Brasilia, Caracas kamen nach seinem Sieg postwendend Glückwünsche. Natürlich auch aus Havanna. Die mehr oder weniger linken Regierungen in Lateinamerika können jeden Verbündeten brauchen. Es geht mehr als je zuvor um eine gemeinsame Vertretung eigener Interessen gegenüber den USA - eine Politik des nationalen Aufschwungs, von dem die Mehrheit partizipiert. Beim III. Gipfel der Gemeinschaft Südamerikanischer Nationen (CSN) Anfang Dezember im bolivianischen Cochabamba sagte Ortega: "Wir kämpfen, bis wir ein einiges Lateinamerika haben, das uns stärker macht, das uns freier macht und das die Armut ausrottet."
Aber der Weg ist ein anderer als in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Am konsequentesten in den Staaten, die einen Aufbruch beginnen, ist bisher der Mann aus Caracas, Hugo Chávez, der gerade recht überzeugend für weitere sechs Jahre als Staatschef bestätigt wurde. Da Venezuela dank seiner Ölschätze ein reiches Land ist, verfügt Chávez über beträchtliche Möglichkeiten, Entwicklungen zu beeinflussen. Er soll dem Nicaraguaner mit den Worten zur Präsidentschaft gratuliert haben: "Jetzt vereinigen sich die Sandinistische Revolution und die Bolivarische Revolution wie nie zuvor, um die Zukunft, den Sozialismus aufzubauen". Ortegas Antwort: "Sie zeigen uns den Weg."
Sicher hofft der Ex-Comandante, dass der ökonomisch potente Partner mehr schultert. Ein Zeichen ist der Vertrag mit der staatlichen Petróleos de Venezuela, nach Ortegas Amtsantritt vier Kraftwerke in Nicaragua zu installieren, um die täglichen Stromabschaltungen von zuweilen zwölf Stunden zu verringern. Ortega hat inzwischen Hugo Chávez und den bolivianischen Präsidenten Evo Morales persönlich zu seiner Amtseinführung am 10. Januar nach Managua eingeladen. Er dürfte großes Interesse haben, dem Wirtschaftsprojekt ALBA näher zu treten, dessen Mitglieder - Bolivien, Cuba und Venezuela - sich einem Handel des kooperativen Miteinanders verschrieben haben. Gleichzeitig wird er aber die Türen für den CAFTA-DR, den neoliberalen Handelsvertrag zwischen den USA, Mittelamerika und der Dominikanischen Republik, offen halten. Denn rund 35 Prozent des nicaraguanischen Staatshaushaltes kommen aus dem Ausland. Versiegt dieser Geldstrom, kann Ortega sein Versprechen, den kleinen und mittleren Unternehmen preiswerte Kredite zu gewähren, damit sie Arbeitsplätze schaffen, vergessen. Auch wenn er sich den IWF-Konditionen pur unterwerfen muss, kann er ein solches Vorhaben wohl abschreiben, alle sozialen Träume dazu.
Die USA, die vor den Wahlen gedroht hatten, bei einem Sieg Ortegas sämtliche Geldüberweisungen, auch die der Arbeitsemigranten, die etwa 800.000 Dollar im Jahr nach Hause überweisen, zu sperren, haben sich erst einmal besonnen. Wahlverlierer Eduardo Montealegre, dessen Kampagne die USA unterstützt hatten, teilte mit, er wollte Kontakte nutzen, damit die Beziehungen mit den USA funktionieren. "Wir können Ortega nicht den Vorwand liefern, dass seine einzigen Verbündeten Chávez und Castro sind." Es geht eben mit der Präsidentschaft Ortegas um keine Revolution. Es geht auch nicht um Washington oder Caracas - es geht um Washington und Caracas.
Präsidentschaftswahlen in Nicaragua 1990 - 2006
54,7 %
51,0 %
56,3 %
38,0 %
40,8 %
37,4 %
42,3 %
28,3 %
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