Die Stunde des Staates und der Zentralbank

Post-Corona-Ökonomie Der Wirtschaftsweise Achim Truger hält eine V-Rezession für wahrscheinlich und warnt vor den Folgen der Austeritätspolitik in Ländern wie Italien
Noch liegt die Wirtschaft danieder. Doch womöglich nahen schon bessere Zeiten
Noch liegt die Wirtschaft danieder. Doch womöglich nahen schon bessere Zeiten

Foto: Stuart Franklin/Getty Images

Als Achim Truger vor einem Jahr zum Mitglied im Rat der fünf Wirtschaftsweisen berufen wurde, mag er sich darauf eingestellt haben, in dem Gremium mit seinen wirtschaftspolitischen Ansichten auf lange Sicht in der Minderheit bleiben zu müssen: als Kritiker von Austeritätspolitik und als Befürworter eines starken Staates, der aktiv ins Wirtschaftsleben eingreift, etwa um die Konjunktur zu stützen. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind derlei Ideen nichts Ungewöhnliches mehr, selbst marktliberale Ökonomen rufen jetzt nach milliardenschwerer Rettung durch den Staat. Wir haben mit Achim Truger über die möglichen schwerwiegenden Folgen der Krise etwa für Europa, aber auch die darin liegenden Chancen gesprochen.

Der Freitag: Herr Truger, auf einmal ist wirtschaftspolitisch vieles möglich, was vorher als verwegen oder radikal verschrien war. Die Schwarze Null gilt nicht mehr, die Schuldenbremse wurde ausgesetzt, Corona-Bonds werden diskutiert. Wird das auch nach der Corona-Krise bleiben? Oder wird sich das Spektrum des wirtschaftspolitischen Möglichen dann wieder verengen?

Achim Truger: Das ist schwer zu sagen, ich bin ja kein Prophet. Aber wir erleben jetzt, dass es eine überwältigende Zustimmung für die unmittelbaren Krisenmaßnahmen gibt. Diese sind sehr weitreichend, mit hoher Geschwindigkeit beschlossen worden und auch vom Volumen her sehr groß, weswegen man die Ausnahmeregelung der Schuldenregelung zu Recht benötigt hat. Es ist also eine Menge passiert, was in anderen Wirtschaftssituationen nicht möglich gewesen wäre. Ob diese Entwicklung anhält oder sogar noch weitergeht, ist unklar: Wir sehen etwa, dass zum Beispiel bei der Frage der Einführung von Corona-Bonds, als gemeinsamen Anleihen der Mitglieder der Eurozone, keine Einigkeit herrscht. Auch wenn immer mehr Ökonomen und Politiker so etwas jetzt befürworten, vermag ich nicht zu sagen, ob sich die Idee am Ende durchsetzen wird.

Wir sehen, es ist nicht nur möglich, sondern sogar geboten, den Einkommensausfall für Menschen und Unternehmen kurzfristig zu kompensieren, indem man ihnen auf schnellem Wege direkte Hilfen auszahlt: Können wir daraus nicht folgern, dass jetzt auch die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen gekommen ist, als vorübergehende oder sogar dauernde Maßnahme?

Es ist normal, dass außergewöhnliche Situationen als Gelegenheit dafür genutzt werden, Ideen, die ohnehin schon in der Welt waren, zu stärken oder zu schwächen. Ich persönlich war nie ein Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens und ich bleibe weiterhin skeptisch. Mein Eindruck ist, dass wir in dieser Situation vor allem sehen, wie effektiv der Sozialstaat ist, den wir haben. Einrichtungen wie Kurzarbeit, Arbeitslosenunterstützung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Grundsicherung, die gibt es in anderen Staaten kaum, etwa in den USA: Da muss so etwas im Krisenfall erst geschaffen werden.

„Es liegt nahe, sich jetzt dafür einzusetzen, dass bestimmte prekäre Beschäftigungen besser wertgeschätzt und entlohnt werden.“

Aber auch in Deutschland gibt es viele, die jetzt eine Vertiefung des Sozialstaats fordern…

Ja, wir können zum Beispiel darüber nachdenken, ob die bei uns existierenden Transferleistungen ausreichend sind, und ob das Antragswesen, dem jetzt auf einmal sehr viel mehr Leute ausgesetzt sind, wirklich angebracht ist, oder ob es nicht doch einen zu sehr demütigenden Charakter hat. Das wären aus meiner Sicht progressivere Schritte als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es liegt auch nahe, sich jetzt dafür einzusetzen, dass bestimmte prekäre Beschäftigungen besser wertgeschätzt und entlohnt werden. Besonders natürlich im Pflegebereich, wo es nun überwältigende Zustimmung dafür gibt, das Pflegepersonal besser zu entlohnen. Ich glaube auch nicht, dass ein BGE unserem Sozialstaat entspricht. Außerdem halte ich die Finanzierung für vollkommen ungeklärt. Und ich glaube, es würde letztlich sogar den Sozialstaat und all die Mechanismen, die wir haben, aushebeln und schwächen.

Zur Person

Achim Truger ist Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Wir wissen, dass die Staatsverschuldung jetzt ansteigen wird. Wie kann nach der Krise die Schuldenlast wieder verringert werden? Ohne dass wieder zu einer Austeritätspolitik gegriffen wird, die nach der letzten Krise so verheerende Folgen hatte?

Das hängt von der jeweiligen Lage des Landes ab, und von den rechtlichen Rahmenbedingungen. In Japan gibt es eine sehr hohe Staatsverschuldung von mehr als 230 Prozent des BIP, die offenbar – genau wie jene der USA – unproblematisch ist. In Deutschland hatten wir nach der letzten Krise einen Anstieg der Staatsverschuldung von etwas über 60 Prozent auf über 80 Prozent. Die ist aufgrund des starken Aufschwungs, den es gab, ohne größere Verwerfungen wieder abgebaut worden. Aber ich mache mir tatsächlich Sorgen um Europa: Wenn in einem Land wie Italien die ohnehin bereits hohe Verschuldung noch einmal erheblich zunimmt, dann muss das zwar nicht ökonomisch untragbar sein, wie das Beispiel Japan und die dortige Unterstützung durch die Zentralbank zeigt. Aber die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beschränken die Handlungsoptionen für Euro-Staaten. Das würde dazu führen, dass etwa in Italien die Sparauflagen noch strenger würden, und das Land nach über einem Jahrzehnt heftiger Kürzungen und Sparpakete auch weiterhin einen derartigen Kurs verfolgen müsste, mit Folgen, die weder ökonomisch noch sozial noch politisch auszuhalten sind. Für Europa könnte das zu einem ernsten Problem werden, weil so eine erneute Staatsschuldenkrise droht, die sogar zum Auseinanderbrechen des Euros und am Ende möglicherweise der EU führen könnte. Allzu viele Vertagungen und Verschiebungen dieses Problems wird es nicht mehr geben können.

Ist jetzt die Stunde der Modern Monetary Theory, also der Finanzierung von Staatsausgaben durch die Zentralbank, wie Ihr Vorgänger als Wirtschaftsweiser Peter Bofinger meint?

Ich will das nicht an einer bestimmten Theorie festmachen, aber es ist völlig klar, dass jetzt die Zentralbanken durch angekündigte oder tatsächliche Käufe von Staatsanleihen die Finanzmärkte beruhigt und damit die Staaten unterstützt haben. Das ist eigentlich der Normalfall in so einer Krise. Nur in Europa hat es lange gedauert, bis das 2012 endlich passiert ist, wodurch letztlich auch der Euro zusammengehalten und der Aufschwung in der Eurozone ermöglicht wurde. Dass es also eine Unterstützung der Finanzpolitik der Staaten durch die Zentralbank braucht, ist klar. Jetzt allerdings wird die Schuldenlast für einzelne Länder wieder so groß, dass sie im geltenden Rahmen in ökonomisch, sozial und politisch nicht durchhaltbare Austeritätspolitik getrieben werden. Das setzt die Staaten unter erheblichen Druck, was wiederum zu Spekulation an den Finanzmärkten führen kann.

„Eine Möglichkeit wäre, dass die EZB am Ende einen Teil der ohnehin aufgekauften Staatspapiere bei sich stilllegt oder in sehr langfristige Anleigen umwandelt und bei sich behält“

Was wäre eine Antwort darauf?

Es gibt von vielen Seiten, neben Peter Bofinger etwa von Ökonomen wie Jordi Gali oder Paul de Grauwe, Vorschläge, wie in einer so besonderen Situation die Zentralbank noch direkter für die Finanzierung der großen Krisenlasten aufkommen kann. Eine Möglichkeit wäre, dass die EZB am Ende einen Teil der ohnehin aufgekauften Staatspapiere bei sich stilllegt oder in sehr langfristige Anleihen umwandelt und bei sich behält, sodass es de facto kein Ausfallrisiko mehr gibt.

Droht so etwas nicht, die Inflation anzuheizen, wie viele in Deutschland argwöhnen würden?

Wir hatten in der Eurozone seit der Finanzkrise 2008/2009 sehr niedrige Inflationsraten, tendenziell sogar ein Deflationsrisiko. Solange die Wirtschaftsaktivität nicht wieder merklich anspringt, wird die Inflation niedrig bleiben. Sollte die Inflation dann irgendwann im Aufschwung doch wieder steigen, kann die Zentralbank problemlos einschreiten.

„Wenn die Krise sich woanders länger hinzieht, dann wird sie auch für uns länger dauern.“

Wird Klimaschutz in Zukunft zweitrangig sein, weil es jetzt drängendere Problem gibt?

Solchen Ideen sollten wir jetzt nicht nachgeben. Stattdessen können wir eine Erholungs- und Aufschwungsstrategie mit der Bekämpfung des Klimawandels verknüpfen, etwa einen Green New Deal. Damit würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Wirtschaft erholt sich und gleichzeitig kommt man den Klimaschutzzielen näher.

Glauben Sie immer noch, dass wir eine kurze tiefe Rezession erleben werden und dann einen ebenso steilen Wiederanstieg der Konjunktur? Wie auf der sogenannten V-Kurve?

Die Möglichkeit einer V-Erholung sehe ich weiterhin. Aber wir haben aus gutem Grund in dem Gutachten des Sachverständigenrats auch andere Szenarien entwickelt, in denen die Erholung länger braucht. Was für eine V-förmige Erholungskurve spricht, ist, dass im Moment sehr viel unternommen wird, um dauerhafte Schäden zu vermeiden. Die Politik hat viel getan, um Produktionsausfälle zu überbrücken, um Konkurse von Unternehmen zu vermeiden und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bremsen: alles, damit es nicht zu dauerhaften Schäden kommt. Wenn das funktioniert, und es spricht viel dafür, dann kann es auch sehr schnell wieder aufwärts gehen. Die Bedingung ist natürlich, dass das gesundheitspolitisch zu verantworten ist und die Erholung gleichzeitig möglichst überall auf der Welt und rund um uns in Europa geschieht. Dann funktionieren auch die Lieferketten wieder und die Exportnachfrage kehrt zurück. Wenn die Krise sich woanders länger hinzieht, dann wird sie auch für uns länger dauern. Umso mehr ist es im deutschen Interesse, sich auf EU-Ebene für gemeinsame Lösungen einzusetzen.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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