Über Italiens neue Regierung ist noch fast gar nichts bekannt. Es gibt sie ja in Wahrheit noch gar nicht. Fest steht allein, dass das, was da gerade Form annimmt, grundsätzlich und radikal neu ist. So neu, dass es schwer zu benennen ist, und es zu seiner Beschreibung noch gar keine Begriffe gibt.
Erste Einordnungen schaffen bloß scheinbar Klarheit, wo es diese vielleicht gar noch nicht geben kann. Eine „Populisten-Regierung“ sei es, titelt der Spiegel, eine Allianz aus „rechtsextremer Lega und linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewegung“, „Hauptsache gegen die EU“.
Jedenfalls ist es ein Epochenbruch in Italiens bestehendem politischem System. Die beiden Parteien, die sich am schärfsten gegen dieses wenden, haben die Wahlen gewonnen, u
28;rfsten gegen dieses wenden, haben die Wahlen gewonnen, und sind jetzt eine höchst unwahrscheinliche Verbindung eingegangen. Schon deshalb ist es der Beginn einer neuen Ära, die, wie schon 1994, auf den Trümmern ihrer Vorgänger entsteht. Man erinnere sich: Als Italiens Erste Republik, die seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende politische Ordnung, im Korruptionssumpf von Tangentopoli Anfang der 1990er unterging, bekam Silvio Berlusconi die Gelegenheit, das hinterlassene Vakuum für die nächsten 20 Jahre zu füllen.Über die Nachfolger des Berlusconismus ist noch wenig bekannt, es sind Leute ohne Regierungserfahrung, ohne Parteiapparate im Rücken. Nichts entspricht den Konventionen selbst nur der letzten Jahre. Das politische Personal ist – wie der designierte Premier Minister Giuseppe Conte – völlig obskur, eine unbekannte Variable. Das politische System ist derart herabgewirtschaftet, dass es ein Vorzug ist, unbekannt zu sein, weil all die Bekannten das in sie gesetzte Vertrauen schon verspielt haben.Die Fünf-Sterne-Bewegung war eine digital gestützte Führerbewegung um einen sprunghaften Komiker, der eine progressive Grundstimmung vertrat. Jetzt ist sie eine politische Bewegung, die vor allem dagegen ist – was nicht schwer fällt, weil in Italien politisch ja tatsächlich vieles im Argen liegt. Was den Fünf Sternen und ihrem Spitzenkandidaten Luigi Di Maio Stimmen brachte.Das, was die designierte Regierung verspricht, ist vage und widersprüchlich. Matteo Salvini hat, ausdrücklich nach dem Vorbild des französischen Front National, seine ehemals regional fokussierte Sezessionspartei Lega Nord zu einer nationalen Rechtsaußenkraft umgewandelt. Seit der letzten Wahl hat er nicht nur Berlusconi als Anführer der Rechten abgelöst, sondern auch deren politischen Schwerpunkt deutlich nach rechts verschoben. „Prima gli italiani“ ist sein Wahlspruch, nicht mal Italien, sondern die Italiener sollen zuerst kommen.Was die beiden Regierungspartner verbindet, ist, dass sie neu sind, und genau so liest sich auch das Regierungsprogramm: verwirrend, eklektisch, teils widersprüchlich. Es gibt da neoliberale Elemente (eine Flat Tax für Einkommens- wie Körperschaftssteuer), staatsinterventionstische (eine staatliche Bank für Investitionen), es gibt Versprechen auf einen Ausbau des Wohlfahrtsstaates (unter dem Titel „Grundeinkommen“), Rechtsextremes (Kitas nur mehr für Italiener kostenlos!) und Law and Order. Oben drüber steht – ebenso vage wie der Rest – ein souveränistischer Einschlag: Italy First! – eine Art Trumpismus all'italiana.Es ist völlig offen, was davon durchgesetzt werden wird, was Priorität hat, was überhaupt realisiert werden kann. Und es ist offen, was sich aus der zweiten Überschneidung der beiden Koalitionsparteien werden kann. Sie sind ja nicht nur beide gegen Italiens politisches System, sondern auch gegen die derzeitige Verfasstheit der Eurozone und der EU.Auch das ist auch binnenitalienischer Sicht nachvollziehbar. Die Eurokrise ist nicht vorbei, die Jugendarbeitslosigkeit astronomisch hoch, das starre Korsett des Stabilitätspakts verhindert eisern, dass eine Regierung entschieden etwas dagegen unternehmen kann.Es mag gut sein, dass die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und Deutschland es schaffen, die Wut auf die EU ins Leere laufen zu lassen. Dass sie mit der Drohung, Italiens Wirtschaft im Falle einer Eskalation der Staatsschuldenkrise nicht zu unterstützen, die neue Regierung bald in die Spur zwängen. Belässt man es dabei, wäre das nicht nur deshalb gefährlich, weil die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone wohl zugleich „too big to fail“ und „too big to save“ ist, und ein Ausscheiden aus dem Euro auch dem Rest der Eurozone ordentlichen Schaden zuführen würde. Sondern auch, weil es nicht auszudenken ist, was dann politisch in Italien nach dieser Regierung noch folgen könnte.