Schläge

MANNSEIN Die jüngste Auseinandersetzung um die gewalttätige Vergangenheit des Außenministers Fischer lieferte uns nicht nur eine interessante ...

Die jüngste Auseinandersetzung um die gewalttätige Vergangenheit des Außenministers Fischer lieferte uns nicht nur eine interessante Auseinandersetzung im Bundestag um die sogenannte 68er-Revolte, sie lieferte uns zugleich ein gutes Beispiel für die noch immer bestehenden Verwirrungen hinsichtlich des Begriffs Gewalt. Anstatt diese Situation zu nutzen und eine Debatte über oft unverhältnismäßige Gewalteinsätze seitens der Polizei bei Demonstrationen zu beginnen, beeilte sich Joseph Fischer, seiner Vergangenheit abzuschwören: Gewalt sei kein geeignetes Mittel der Konfliktlösung. Aber welche Gewalt meint Fischer damit eigentlich? Die Gewalt der NATO gegen das ehemalige Jugoslawien, die er mit unterstütze, oder "nur" die Schläge gegen den Polizisten?

Diese Einschränkung des Gewaltbegriffs auf physische, direkte Gewalt findet sich nach wie vor in weiten Teil der Debatte um den Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht. Andere Formen von Gewalt - etwa strukturelle Gewalt - und deren geschlechtsspezifische Ausprägungen werden hier oft ignoriert. Da die Ausübung direkter, physischer Gewalt in unserer Geschlechterordnung allgemein Männern zugeschrieben und von ihnen erwartet wird, ist es dann auch kein Wunder, dass - wenn nur dieser Begriff von Gewalt zugrunde gelegt wird - fast ausschließlich Männer gewalttätig sind. Allerdings wird dann häufig übersehen, dass sich Gewalt von Männern vor allem gegen Männer richtet.

Diese Begriffsverengung auf physische Gewalt von Männern gegen Frauen in heterosexuellen Beziehungen findet sich auch in dem Begriff der häuslichen Gewalt, wie er dem vom Justizministerium im Dezember letzten Jahres vorgelegten Entwurf eines sogenannten Gewaltschutzgesetzes zugrunde liegt. Dieses ermöglicht den Verweis des männlichen Gewalttäters aus der gemeinsamen Wohnung: "Der Schläger geht, die Geschlagene bleibt". Häusliche Gewalt ist aber nicht nur physische Gewalt von Männern gegen Frauen, zu häuslicher Gewalt gehört auch Erziehungsgewalt von Männern und Frauen gegen Kinder. Erziehungsgewalt ist aber nicht nur der berüchtigte Klaps auf den Po oder die Tracht Prügel, Erziehungsgewalt umfasst nach dem neuen Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung auch "seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen". Ausgehend von diesem Gewaltverständnis zeigen dann zahlreiche Studien zu familiärer Erziehungsgewalt eine "innerfamiliäre Arbeitsteilung" zwischen den Geschlechtern dahingehend, dass Frauen eher zu leichten - auch körperlichen -, Männer - entsprechend dem vorherrschenden Männerbild - zu schweren Gewaltanwendungen gegenüber ihren Kindern tendieren. Interessanterweise nimmt die vorliegende Broschüre aus dem Familienministerium keine entsprechende geschlechtsspezifische Differenzierung der Gewaltformen vor und entwickelt keine darauf abgestimmten Angebote.

Auf den drei Abbildungen misshandelter Kinder in der Informationsbroschüre werden dann zwei Mädchen und ein Junge als Opfer dargestellt. Wird damit nicht implizit suggeriert, dass vor allem Mädchen die Opfer von Erziehungsgewalt sind? Aber werden nicht gerade Jungs bis zum zwölften Lebensjahr in Familien öfter und schwerer geschlagen als Mädchen? Warum werden nicht zwei Mädchen und zwei Jungen abgebildet? Weiterhin - und dies hat bereits zu zahlreichen kritischen Einwänden gegen die Kampagne geführt - trägt das Plakat mit dem abgebildeten geschlagenen Jungen die Unterschrift "Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen" - der Junge wird also wieder als potentieller Gewalttäter unterstellt, Jungen wiederum mit der Ausübung physischer Gewalt in Zusammenhang gebracht, Gewalt bleibt männlich. Staatliche Geschlechterpolitik trägt auf diese Weise gewollt oder ungewollt zur Erhaltung fragwürdiger traditioneller Geschlechterstereotypen bei.

Diese aufzubrechen, wäre gerade ein bedeutender Schritt in der Geschlechterpolitik. Hierbei nimmt ein differenzierter Geschlechterdialog um den Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht, der ohne simplifizierende Zuschreibungen auskommt, der erkennt, dass Männer und Frauen in die vorherrschenden Gewaltstrukturen in je unterschiedlichen Formen eingebunden sind, eine Schlüsselrolle ein. Diesen zu beginnen, ist ein überfälliger Schritt auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie.

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