Die gegenwärtigen Korruptionsaffären um Kohl, Schleußer, Glogowski Co. weisen auf grundlegende Defizite der politischen Kultur in Deutschland hin. In Politik und öffentlicher Verwaltung mangelt es an einer Kultur der Transparenz, wie sie insbesondere in Skandinavien und den Vereinigten Staaten seit langem nicht nur rechtlich verankert ist. Vor diesem Hintergrund fordert die deutsche Sektion von Transparency International gesetzliche und institutionelle Veränderungen, die Korruption und Machtmissbrauch entgegenwirken.
Die öffentlichen Verwaltungen wie auch der politische Bereich im engeren Sinne sind von gravierenden Transparenzmängeln gekennzeichnet. Dies betrifft vor allem die Veröffentlichung der Einkommen von Parlamentariern und ihrer Nebenbesch
rer Nebenbeschäftigungen. In diesem Zusammenhang ist auch der Tatbestand der "Abgeordnetenbestechung" (§ 108 e StGB) zu überprüfen, der bisher nur für das Abstimmungsverhalten im Bundestag gilt, nicht jedoch für die Ausschüsse, wo die wichtigsten Vorentscheidungen fallen. Pikant ist hierbei auch der Hinweis, dass Deutschland - seit Inkrafttreten der OECD-Konvention - jene finanziellen Zuwendungen, die an Abgeordnete zwecks Beeinflussung ihres Verhaltens im Ausland fließen, verfolgt und unter Strafe stellt. Dieselben Tatbestände werden im Inland toleriert.Das zentrale Problem: In der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland mangelt es an Problembewusstsein für das, was Korruption bedeutet und wie der einzelne politisch Verantwortliche davon betroffen sein kann. Die Äußerungen von Altkanzler Kohl ebenso wie des zurückgetretenen niedersächsischen Ministerpräsidenten sind insofern symptomatisch, als sie jegliche Sensibilität für die Problematik vermissen lassen.Die Fälle Schleußer und Hombach verweisen auf die Nähe zwischen Unternehmen, die sich im öffentlichen Besitz befinden, und der Politik - ein Interessengeflecht, das leicht missbraucht werden kann. Vor allem die bevorzugte Rolle öffentlich-rechtlicher Banken in der Bundesrepublik, die aus Wettbewerbsgründen auch von der EU-Kommission beanstandet wird, bedarf einer gründlichen Analyse. Zu fragen ist, inwieweit Vorstands- und Aufsichtsratsmandate von Politikern überhaupt mit der gebotenen Unabhängigkeit wahrgenommen werden können und inwieweit es hier zwangsläufig zu Interessenkonflikten kommt. Die öffentliche Ausschreibung für den Großflughafen Berlin-Schönefeld - dem größten Infrastrukturprojekt in Deutschland - zeigt, wie schnell man in einem Strudel von Korruption und Interessenkonflikten versinken kann. Beim gerichtlich angeordneten Stopp des Verfahrens im vergangenen Jahr hatte das Oberlandesgericht Potsdam explizit darauf verwiesen, dass die gleichzeitige Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten auf Seiten der Bieter und der Ausschreiber durch Mitglieder der Berliner Landesregierung ein ordnungsgemäßes Ausschreibungsverfahren unmöglich mache. Dies scheint ein nachgerade klassisches Beispiel dafür zu sein, wie solche Interessenkonflikte zu zweifelhaften Ergebnissen und auch zu immensen Kosten führen, die von der Öffentlichkeit zu tragen sind.Im europäischen Vergleich galt die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit als ein Land, in dem es zwar durchaus ernsthafte Bestechungsprobleme gibt, in dem Korruption aber kaum die höchsten politischen Ebenen erfasst. Diese Einschätzung wird im Zuge der Affäre um Altbundeskanzler Kohl zu revidieren sein. Dies gilt auch für die Rolle der Justiz bei der Aufdeckung und Verfolgung korrupter Handlungen. Das entschlossene Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Korruption in Frankreich, Italien und in der Schweiz, in geringerem Maße auch in Spanien und Belgien, ist vor allem einem neuen Selbstverständnis und einem neuen Selbstbewusstsein der Richter und Staatsanwälte zu verdanken.Durch länderübergreifende Zusammenarbeit wurde Korruption in vielen Ländern ein zentrales politisches Thema. Jahrzehntelang bestehende Netzwerke der Korruption stürzten ein. Bei der Aufklärung der CDU-Spendenaffäre, bei den Vorgängen um Elf/Leuna und beim Panzergeschäft mit Saudi-Arabien ist auch die deutsche Justiz auf eine enge und systematische Kooperation mit dem Ausland angewiesen und muss sich stärker in die bestehenden formellen und informellen Netzwerke der justitiellen Kooperation einbinden.Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen in anderen europäischen Ländern sollten die aktuellen Skandale auch Anlass sein, ohne Scheu wieder über die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Deutschland nachzudenken und sich dabei an einer strikteren Trennung von Exekutive und Judikative zu orientieren. Denn die Exekutive nimmt auch und gerade bei politischer Korruption in Deutschland immer wieder Einfluss auf staatsanwaltliche Ermittlungen - etwa bei den Verfahren gegen die Familie Strauß, gegen den bayerischen "Bäderkönig" Zwick oder gegen den früheren bayerischen Wirtschaftsminister Tandler.Peter Eigen ist Vorsitzender von Transparency International, Infos unter: www.transparency.org