Aschermittwoch ist alles vorbei

POLITISCHER ASCHERMITTWOCH Auch der Rinderwahnsinn?

Während sich der Karneval von Köln auf Berlin offenbar nicht übertragen lässt, hat sich der ganz normale Menschenwahnsinn auf das Rind mittels Tiermehl als übertragbar erwiesen. Zwei Minister sind der Tierseuche inzwischen bereits zum Opfer gefallen. Der Kanzler weigert sich aber hartnäckig, die ganze Herde schlachten zu lassen. Die Vermutung der Opposition, dass es sich bei Gerhard Schröder um den eigentlichen BSE-Erreger handelte, konnte zwar nicht bewiesen werden. Ob es sich aber bei Außenminister Fischer um das letzte Trojanische Pferd Moskaus in der Bundesregierung handelt, wird noch mit dem gebotenen Ernst diskutiert.

Von dieser und ähnlicher Qualität ist die öffentliche Debatte in unserer Republik. Angela Merkel - unsere Jeanne d'Arc aus der Uckermark - weiß ganz genau, was sich seinerzeit, als Joschka Fischer noch mit Steinen warf, in der Bundesrepublik für eine makellose Demokratie abgespielt hat. Außer diesem von Helmut Kohl erworbenen Wissen bringt sie als Qualifikation für ihre politischen Ämter eine absolut gewaltfreie Kindheit und Jugend mit. Ihre politischen Erfahrungen hat sie in der FDJ und beim Laienspiel gesammelt. Mochte diese DDR auch eine Diktatur gewesen sein, das Gewaltmonopol des Staates war auch unter Pastorentöchtern heilig. Der ostdeutsche Molotow-Cocktail war die friedliche Haushaltskerze. In diesem Punkt hätte Frankfurt am Main viel von Frankfurt an der Oder lernen können. Es war eben nicht alles schlecht in der DDR. Angela Merkel jedenfalls war gut.

Was Lichterketten auch in der Demokratie gegen Gewalt ausrichten können, ist inzwischen an den immer zahlreicher werdenden national befreiten Zonen zu erkennen. Dass diese Zonen vorwiegend in Ostdeutschland liegen, beweist wiederum, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit rein ostdeutsche Probleme sind, also Erbe einer DDR, deren Geschichte gar nicht lange genug zurückliegen kann, um mit ihr alle Probleme ostdeutscher Gegenwart zu erklären. Diese Art der Problemlösung ist dem einstigen DDR-Bürger noch zu bekannt - in jener DDR wurden alle Arten von Kriminalität und Gewaltbereitschaft mit schädlichen Einflüssen erklärt, die da aus dem Westen kamen. Nun, da sich der Wind gedreht hat, kommt alles Böse aus dem Osten. Oder von den militanten Achtundsechzigern. Denen hatten aufrechte Demokraten ja seinerzeit schon geraten, nach drüben zu gehen. Hätten sie das damals getan, wären sie heute längst abgewickelt und man müsste sie nicht als Minister am Demokraten-Stammtisch bekämpfen.

Sollte zutreffen, was der bezeichnenderweise aus dem Osten stammende Thierse behauptet, nämlich dass dieser Osten auf der Kippe stehe, so ist auch das allein der in der DDR erworbenen Mentalität zu verdanken, die da noch immer wie unter Honecker arbeiten, aber wie unter Kohl leben will. Je schwieriger es ist, ein Problem zu lösen, desto einfacher muss es erklärt werden. Und wenn der Thierse seinen Sozis weiter so unpopulär zusetzt, könnte es durchaus sein, dass eines Tages eine Stasi-Akte auftaucht. Seine Akte wäre nicht die erste, die zufällig im richtigen Moment gefunden wurde. Es stimmt ja nicht, dass wir Deutschen unsere Vergangenheit verdrängten. Wir bewahren sie vielmehr sorgfältig in unseren Akten und Archiven auf und holen im Bedarfsfall genau das wieder hervor, was dem politischen Gegner im Moment gerade schaden könnte. Über den Moment hinaus zu denken, fällt besonders schwer, wenn im Moment gerade mal wieder ein Wahlkampf ansteht, und wann steht der nicht an? So geraten bei uns auch die ältesten Kamellen immer mal wieder ans Licht einer immer wieder zu verblüffenden Öffentlichkeit. Wie viele schöne, weil "Sinn stiftende" Debatten unserer weitgehend sinnfreien Gegenwart verdanken wir unserer nicht immer so schönen Vergangenheit.

Auf diesem Felde arbeiten Politik und Journalismus weitgehend Hand in Hand. Da wird eine Sache zum Thema gemacht - in der DDR hätten wir das Kampagne genannt - und schon diskutiert das ganze Land über die Schädlichkeit des verordneten Stuhlgangs für Krippenkinder. So war es mit BSE, den Kampfhunden, der DDR-Vergangenheit, der Becker-Ehe, den Rechtsradikalen, den 68ern, und so ist es mit dem Karneval. Eben lief er noch über alle Sender - nach Aschermittwoch ist er kein Thema mehr.

Und wann werden wir alle wieder Rinderbraten essen? Wenn es keinen Rinderwahnsinn mehr gibt? Quatsch, sobald BSE kein Thema mehr ist. Vielleicht schon am nächsten Rosenmontag.

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