Fatale Logik

GEHALTSRUNDE IM ÖFFENTLICHEN DIENST Statt um die letzten 0,2 Prozent zu feilschen, sollten die Tarifparteien eine innovative Arbeitsplatzbrücke wagen

Es sieht vertrackt aus im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes. Der Schlichterspruch von 1,8 Prozent Lohnerhöhung für das Jahr 2000 und 2,2 Prozent für 2001 sowie eine Ost-West-Angleichung von derzeit 86,5 Prozent auf 90 Prozent bis 2003 wurde von den Gewerkschaften nicht akzeptiert, um nach Urabstimmung mittels Streik ein leicht verbessertes Ergebnis zu erzielen. Nach Lage der Dinge - vorausgesetzt die Gewerkschaften können ihre Mitglieder für einen nicht sehr populären Streik gewinnen - gibt es jetzt zwei Optionen für die Tarifparteien: Den Schlichterspruch Plus oder den Schlichterspruch mit einer gesichtswahrenden und legitimationsstiftenden Beschäftigungskomponente.

Dass der Schlichterspruch unverändert bleibt, wäre im Streikfall ausgesprochen unwahrscheinlich. Vieles spricht für einen Kompromiss mit einer leicht angehobenen Tariferhöhung - statt 1,8 eher 2,3 Prozent analog zum Post-Telekom-Abschluss - und einer etwas zügigeren Ost-West-Angleichung. Es ist zu befürchten, dass ein Streikergebnis sogar unterhalb dieser Linie bleibt, da der Streik in der Bevölkerung zwar ertragen, aber keine übergreifende Unterstützung erfahren wird. Das hätte für das demokratische Streikrecht, die weitere Schwächung der Gewerkschaften und die schon reichlich desavouierte ÖTV-Führung fatale Folgen.

Aus dieser Logik könnte man sich nur befreien, wenn die bisherige beschäftigungspolitische Verantwortungslosigkeit beider Tarifparteien thematisiert und daraus eine Beschäftigungs- und Tarifkonsensbrücke gebaut wird. Diese könnte ungefähr so aussehen, dass der Schlichterspruch mit dem Zusatz akzeptiert wird, ein Prozent mehr Lohn - also circa 3,4 Milliarden DM - für zusätzliche 80.000 bis 120.000 Arbeitsplätze einzusetzen. Mit diesem Argument könnten öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften das Gesicht mit einem beschäftigungsfördernden Tarifabschluss wahren, der eine hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit erreichen könnte.

Die Vorteile einer solchen Strategie liegen auf der Hand: Erstens kommen Gewerkschaften und öffentliche Arbeitgeber gemeinsam aus der unhaltbaren Position heraus, dass im öffentlichen Dienst bisher nur Stellen abgebaut werden. Stattdessen könnten dort neue Arbeitsplätze aufgebaut werden, wo sie dringend benötigt werden (Schulen, Jugendeinrichtungen, Hochschulen, multikulturelle Initiativen, Stadtteilvernetzungen). Es geht dabei eben nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um die Erneuerungsintelligenz öffentlicher Dienstleistungen. Zweitens wäre ein solcher Tarifabschluss ein Signal für die Beschäftigungschancen der jüngeren Generation, die durch das JUMP-Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit keineswegs abgedeckt sind. Gleichzeitig könnte die Altersstruktur im öffentlichen Dienst entscheidend verbessert werden. Drittens schließlich wäre ein beschäftigungspolitischer Tarifabschluss die Umsetzung dessen, was Arbeitgeber, Staat und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit im Januar für die Tarifverhandlungen 2000 fest vereinbart hatten.

Natürlich bedarf dieser Vorschlag einer wasserdichten Konstruktion, damit die vereinbarten "ein Prozent für mehr Beschäftigung" auch tatsächlich wirksam werden. Deshalb ist zum Vertrauensschutz der Arbeitnehmer im Tarifvertrag eine Cash-Klausel vorzusehen. Stellt eine paritätische besetzte Kommission von Gewerkschaften und Arbeitgebern auf den jeweiligen Ebenen fest, dass keine neuen Arbeitsplätze geschaffen worden sind, dann ist der vereinbarte Satz von einem Prozent als zusätzlicher Lohn auszuzahlen. Eine solche Klausel schützt ernst gemeinte Solidarität und befördert den Einigungszwang der Tarifpartner.

Ein Anstoß zu dieser unkonventionellen Lösung könnte von Rot-Grün und von der Öffentlichkeit kommen, weniger wohl von den Gewerkschaften. Sowohl bei der SPD als auch bei Bündnis 90/Die Grünen gibt es eine starke Minderheit, die eine Stoßrichtung "Schlichterspruch plus Beschäftigungsbrücke" befürwortet, aber dieses fast ausschließlich intern artikuliert. Man darf gespannt sein, ob jetzt ein tristes Gefeilsche um 0,2 Prozent beginnt oder ob ein Ausweg gesucht wird, der tarif- und beschäftigungspolitisch Maßstäbe setzt. Bei blockierten Tarifpartnern gibt es immerhin einen Hauch von Hoffnung.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden