Die Sturmzeichen waren unübersehbar, doch wurde zunächst mit Schäfchenwolken gespielt. Als ver.di und der Beamtenbund (DBB) für die Tarifrunde 2008 des öffentlichen Dienstes kurz vor Weihnachten mehr als acht Prozent Tariferhöhung für die Bundes- und Kommunalbediensteten mit dem Beipack 200 Euro Mindestbeträge, Tarifanpassungen Ost-West, Ausbildungszulagen und Arbeitszeitverkürzung forderten, reagierten die öffentlichen Arbeitgeber mit demonstrativer Gelassenheit: Völlig unangemessen angesichts dramatischer Kassenlage, als wäre so - weihnachtlich angemessen - ein zugespitzter politischer Konflikt plätzchengerecht entsorgt.
Einen Monat später beginnen die Verhandlungen zwischen den Tarifparteien, um zunächst - wie zu
- wie zu erwarten - das stereotype Ritual von der völligen Unvereinbarkeit der vorhandenen Positionen zu bedienen. Ein Plus von acht Prozent kostet die Kommunen 6,9 Milliarden Euro - den Bund 0,7 Milliarden. Sollte der Tarifvertrag für die Beamten übernommen werden, wären weitere 2,1 Milliarden fällig. Von daher dürfte es in wenigen Wochen zum Streik kommen - die spannende Frage wird sein, ob es den Tarif- und Haushaltsstrategen auf beiden Seiten dann gelingt, den Tarifkonflikt in klassisch ritualisierter Weise einzuhegen, um mit einem 3,7 Prozent-Ergebnis vor die Kameras zu treten. Oder ob es zu einem streikintensiven, eher grundsätzlichen Konflikt kommt, bei dem es um Cash und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen geht. Ein Konflikt, der einen Hauch von politischem Streik haben könnte.Die öffentlichen Arbeitgeber wollen auf dem von ihnen beherrschten Terrain der Lohnprozente, Entgelttabellen und Arbeitszeiten bleiben. Kaum ein Kommunal- oder Bundespolitiker von Rang riskiert derzeit eine prinzipielle Kontroverse über die Zukunft des öffentlichen Dienstes - schon gar nicht Merkel oder Schäuble, die auf einen lautlos moderaten Lohnschub setzen. Selbst der kampf- und tarifpolitisch erprobte Oskar Lafontaine ist verschämt zurückhaltend.Der Schlüssel zum notwendigen gesellschaftlichen Konflikt liegt deshalb bei den Gewerkschaften. Wird es ihnen wie der Lokführer-Gewerkschaft (GDL) gelingen, ihre Tarif-Forderungen mit gesellschaftlichen Zielen zu verbinden, so dass die Öffentlichkeit dem mehrheitlich folgt?Das ist aus mehreren Gründen offen, aber chancenträchtig. Die achtprozentige Lohnforderung geht nach jahrelanger Zurückhaltung pauschal in Ordnung und klingt donnernd aufstampfend - wirklich schlau und strategisch ist sie nicht. Wer den gesellschaftspolitischen Konflikt will, der muss seine Tarifforderungen anders ausrichten: Vernünftige Gehaltserhöhungen anstreben und etwas für gute öffentliche Dienstleistungen tun! Wie ständen die Gewerkschaften da, wenn sie sagten: Wir haben zwar eine recht hohe Tarifforderung, aber wir denken nicht nur an unsere Taschen, wie jene zu recht gescholtenen Manager, sondern wir wollen von den acht Prozent bis zu 1,5 Prozent in Kitas, Schulen, Förderprogramme für Migrantenkinder, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen investieren. Wir, die Gewerkschaften, sind für eine Ausweitung qualitativ notwendiger öffentlicher Dienstleistungen. Wir wollen eine Tarifrunde für mehr Beschäftigung. Wir würden freilich - könnten die Gewerkschaften fortfahren - einen solchen neuen Typus von Tarifvertrag nur unterzeichnen, wären wir sicher, dass es diese Dienstleistungen tatsächlich gibt. Das wäre machbar, würden öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften das Finanzvolumen und die Schwerpunkte für Bildungsinvestitionen gemeinsam festlegen. Dem Bundestag und den einzelnen Kommunen bliebe überlassen, wo die sinnvollsten Projekte finanziert werden. Werden von den acht Prozent Lohnforderungen 1,5 Prozent für Bildung und Arbeitsplätze abgezweigt, ergibt das 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro - die Beamtenanpassung noch nicht eingerechnet. Wenn die Gewerkschaften dann noch einbringen, dass der höhere Dienst mit acht Prozent nicht unbedingt an die Diäten-Erhöhung der Bundestagsabgeordneten (9,4 Prozent) heranreichen müsste, könnte durch eine maßvolle Abschöpfung (zwei bis drei Prozent) ein zusätzlicher Beitrag für Bildungsinvestitionen herauskommen. Ministerialbeamte und Stadtreferenten schurren ja nicht an Hartz IV, wenn sie ohne volle Gehaltserhöhung bleiben. Als Gegenleistung könnte die 39-Stunden-Woche festgeklopft werden. Ver.di würde die öffentlichen Arbeitgeber, SPD und CDU herausfordern und damit gewiss auch öffentlich Wirkung erzielen.Für eine solche Offensivstrategie in der Defensive sprechen existentielle Überlebensfragen, die sich für die Gewerkschaften stellen. Die GDL hat Maßstäbe gesetzt. Ver.di muss in die Offensive, will sie ihre geschwächte kommunale Basis (Busfahrer oder Müllwerker sind oft schon privatisiert) durch andere Kommunalbedienstete ersetzen, will sie junge Mitglieder motivieren - will sie politisches Verantwortungsbewusstsein zeigen . Die Basis wird nur bei einem starken Auftritt der Gewerkschaftsspitze zu mobilisieren sein. Der davon ausgelöste gesellschaftspolitische Konflikt ist überfällig!Peter Grottian (65) ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Sprecher der attac-AG ArbeitFairTeilen.