Ein Wort für die Komödiendichter

Etymologie Was bedeutet Integration eigentlich? Eine gelehrte Anmerkung zum Mitreden

Dereinst blieb Thilo Sarrazin mit einer Fünf in Latein sitzen. Es wird kolportiert, dass dieses Erlebnis ihn zu seinen nachfolgenden Höchstleistungen motiviert habe. Nun hat sich eben jener Mann durch eine hitzige Debatte zum Thema Integration um Kopf, Kragen und Arbeitsplatz geredet. Das gibt Anlass, einmal etwas klassische Bildungstünche zu verspritzen (oder ­zumindest Latein-Nachhilfe zu geben): Schließlich ist das Wort Integration selbst als verbaler Migrant aus dem ­Lateinischen in die deutsche Sprache eingewandert und hat sich hierzulande, wohl in Sarrazins Sinne, anständig und unter bereitwilliger Aufgabe seiner ­ursprünglichen Identität integriert.

Die Integration des Wortes Integration geht so weit, dass es sogar sein Aussehen verändert hat, nur um uns Deutschen besser zu gefallen. Im alten Rom hieß das Wort noch integratio (also ohne auslautendes N), ein Hauptwort abgeleitet vom Verb integrare. Dieses Verb hängt semantisch zusammen mit dem Eigenschaftswort integer. Als Lehnwort auch im Deutschen bekannt (wenn auch nicht oft in der Integrationsdebatte anzutreffen), setzt sich integer zusammen aus der verneinenden Vorsilbe in- (vergleiche Deutsch: un-) und der Wortwurzel tegr, welche wiederum vom Verb tangere (berühren) herzuleiten ist: integer bedeutet unberührt, folglich unbeschadet, komplett oder neu. Etymologisch geht integratio also auf dieses Bedeutungsfeld zurück, impliziert aber zugleich einen transformativen Vorgang, eine integer-Machung sozusagen. Dies ist widersinnig – allenfalls kann man ja etwas bereits Bestehendes in einen unberührten, unbeschadeten Zustand zurückführen, sprich erneuern. Folgen Sie mir noch? Gut!

Es kommt nämlich noch besser. Das Wort integratio ist nicht nur semantisch widersinnig, es gibt auch im Lateinischen in den erhaltenen Texten vom dritten Jahrhundert vor, bis zum fünften Jahrhundert nach Christus kaum eine Handvoll Belege für das Wort. Der älteste findet sich beim Komödiendichter Terenz als eine Ad-hoc-Prägung in seinem Erstling, der Andria. Da ergeht sich jemand in Gemeinplätzen und sagt: „amantium irae amoris integratiost“ – oder: „Ein Streit unter Liebenden bedeutet Erneuerung ihrer Liebe“. Später finden sich einige Belege, in denen integratio auf materiellen Besitz angewendet wird, der wiederhergestellt wird.

Integration – Erneuerung von etwas Wertvollem, womöglich durch Konflikt, mitunter aber als Herzensangelegenheit? Ein hübscher Gedanke – wäre das Wort Integration nicht bereits zu gut mit abweichender Bedeutung ins Deutsche integriert (worden)! Denn bei uns geht es bei der Integration deutlich weniger romantisch zu. Unter Integration verstehen wir allgemein den effektiven Einbau von in der Regel als distinkt wahrnehmbaren Elementen in ein System (Browser mit „integriertem“ Flashplayer). Hierher gehört dann eben auch volkstümelnd volkstümlich das Aufgehen fremder Individuen oder Gruppen in ein ansonsten als intakt verstandenes Ganzes, im Sinne einer Verschmelzung, regelmäßig begleitet von der Forderung assimilatorischer Aufgabe des Trennenden zugunsten der Mehrheitseigenschaften.

Vielleicht wäre es da nicht das Schlechteste, sich in der Integrationsdebatte einmal auf Terenz und die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Integration – Erneuerung – zurückzubesinnen, um dann zu begreifen: Deutschland schafft sich nicht ab, es erneuert sich.


Peter Kruschwitz lehrt klassische Altertumswissenschaft an der University of Reading

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