Auch wenn die bellizistische Elite der Bush-Regierung nach außen hin den Eindruck von Kompetenz und Einmütigkeit zu vermitteln sucht, gibt es aus dem Vereinigten Oberkommando der US-Armee doch Bedenken und Widerspruch zur bisherigen Strategie eines Angriffs auf den Irak. Von Gefahren des »schleichenden Ausuferns« einer Invasion ist die Rede, der auch mit modernsten, noch nie im Kriegsfall eingesetzten Waffen unter Umständen nicht begegnet werden könne.
Nicht nur besorgte Alteuropäer kritisieren die Kriegsvorbereitungen der US-Administration gegen den Irak. Auch hochrangige US-Militärs können nicht immer nachvollziehen, was Washingtons Strategie-Planer derzeit in der Golfregion veranstalten: Das Pentagon, klagen die Generäle Eric Shinseki und James Jones als Mitglieder des Vereinigten Oberkommandos (JCS), gehe von einem schnellen Sieg über Saddam Hussein aus und verzichte deshalb auf eine umfassende Dislozierung von Streitkräften in unmittelbarer Nähe zum Irak. Ein solcher Ansatz unterschätze die Gefahr, die von Saddams Truppen ausgehe. Die aktuelle Planung müsse unbedingt verschiedene Worst-Case-Szenarien im Auge haben, besonders solche, die auf langwierige Straßenkämpfe und den möglichen Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe hinausliefen.
Mit dieser Analyse verleihen Shinseki und Jones jenen amerikanischen Uniformträgern eine Stimme, die hinter vorgehaltener Hand ihrem Unmut über die »weltfremden« zivilen Strategieplaner im Pentagon Luft machen: Technologie-Jünger durch und durch, sei für sie der Soldat aus Fleisch und Blut nicht länger ein kriegsentscheidender Faktor. Osama bin Laden hätte in Afghanistan gefasst werden können, wären weniger »Smart Bombs« und mehr GIs zum Einsatz gekommen. Nichtsdestoweniger setze man auch bei einem Krieg gegen Bagdad blind auf High Tech und gefährde damit nicht nur das Leben eigener Soldaten, sondern auch den Erfolg der gesamten Kampagne.
Eine Verkennung der Lage, heißt es dazu aus dem Pentagon: Die Generäle wollten immer noch die Kriege des 20. Jahrhunderts führen, in denen ein staatlich organisierter Gegner massiv unter Beschuss genommen und so langsam aber sicher zermürbt wurde. Die Kriege des 21. Jahrhunderts seien anderer Natur: extrem schnell und stärker als je zuvor darauf ausgerichtet, den Gegner psychologisch und nicht physisch zu vernichten. Da dieser Gegner zum Teil immer weniger staatlich organisiert auftrete, sei ihm mit konventionellen, von Nachschub hochgradig abhängigen Truppen immer weniger beizukommen - wohl aber mit sehr kleinen, logistisch stark autonomen Reaktionskräften.
Die von Verteidigungsminister Rumsfeld Anfang Mai 2002 autorisierten »Richtlinien zur Verteidigungsplanung« favorisierten daher folgerichtig Forward Deterrence (wörtlich: Vorwärts-Abschreckung) als strategisches Schlüsselwort und Unwarned Attacks (unangekündigte Angriffe) als zentrales taktisches Mittel der Zukunft. Ultimatives Ziel dieses Ansatzes sind globale und flexibel dislozierbare Angriffskräfte, dazu befähigt, jederzeit und an jedem Ort unilateral mit minimalem Risiko für US-Bürger in Aktion zu treten.
Smart- und E-Bombs
Praktisch bedeute dies die Fähigkeit zum »umfassenden Präzisionsschlag« dank größerer Mengen an kleinerer und präziserer Munition (»Smart Bombs«), dank neuer Technologien zur virtuellen, lasergestützten und elektronischen Kriegführung (»E-Bombs«) sowie effektiverer Mittel zur Vernichtung unterirdische Militärobjekte (»Bunker Busting«).
Von einer Geringschätzung des »Faktors Mensch« in militärischen Angelegenheiten, so das Pentagon, könne daher keine Rede sein - wohl aber von der Neudefinition dieses Faktors im Lichte veränderter geopolitischer Realitäten sowie bis dato ungeahnter wehrtechnischer Möglichkeiten. Vieles deutet darauf hin, dass die Bush-Administration Afghanistan, vor allem jedoch den Irak, als vorzügliche Chance begreift, dabei ein gutes Stück voranzukommen.
Stichwort: »Smart Bombs« oder JDAM, entwickelt nach dem ersten Golfkrieg, erfreute sich diese satellitengesteuerte Allwetter-Hochpräzisionswaffe während der NATO-Angriffe gegen Serbien 1999 derart großer Nachfrage, dass der ursprüngliche Vorrat von knapp 1.000 Stück schnell aufgebraucht war. Ende 2002 betrug die Anzahl einsatzfähiger JDAM weltweit knapp 20.000. Zu wenig für einen erfolgreichen Blitzkrieg gegen den Irak angesichts der Tatsache, dass der Feldzug gegen das militärtechnologisch weit weniger entwickelte Afghanistan mehr als 6.000 JDAM verschlungen hat. Ein im September zwischen Boeing und dem Pentagon geschlossener Vertrag soll nun sichern, dass innerhalb kürzester Zeit Luftwaffe und Kriegsmarine monatlich mit knapp 3.000 neuen JDAM versorgt werden.
Stichwort: »E-Bombs«. Seit Ende der neunziger Jahre lässt das Pentagon in der Wüste von New Mexico mit sogenannten Hochleistungsmikrowellen- oder HPM-Waffen experimentieren. Gegen feindliche Infrastruktur eingesetzt, sollen waffenfähige HPM elektrische Verbindungen kurzschließen, Computer-Festplatten beeinflussen sowie Speicher-Chips zerstören. Wird diese Waffe gegen Personen gerichtet, sind intensive Schmerz- und Panikzustände die Folge. Im Irak wollen die USA mindestens drei verschiedene HPM-Prototypen erstmals »umfassend« testen.
Grauzonen und Kriegsverbrechen
Schließlich das »Bunker Busting«. Zur Vernichtung unterirdischer Waffen-Depots stellte das Pentagon bereits 1997 die nukleare (!) Fliegerbombe B 61-11 in Dienst. Dass die USA prinzipiell bereit sind, diese Waffe gegen den Irak einzusetzen, haben Condoleezza Rice und Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz wiederholt angedeutet. Darüber hinaus möchte man Bunkeranlagen mit neuartiger, B- und C-Waffen neutralisierender Brandmunition angreifen. Diesbezüglich am weitesten entwickelt ist die intermetallische Penetrationswaffe HTI-J-1000 - ein Projekt von Kriegsmarine und Lockheed Martin.
Würde schon der Einsatz waffenfähiger Mikrowellen kriegsrechtlich in gefährliche Grauzonen führen, wäre ein Gebrauch des nuklearen »Bunker-Busters« B 61-11 ein klares Kriegsverbrechen: Mit einer Sprengkraft zwischen 0,3 und 300 Kilotonnen TNT müsste er mindestens 70 bis 80 Meter tief in die Erde eindringen, damit keine radioaktive Strahlung an die Oberfläche gelangt. Aus rund 12.000 Meter abgeworfen, sind jedoch gerade einmal sieben Meter möglich. Die Folge wäre eine starke Verstrahlung der Fläche über dem Zielobjekt.
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